Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Analyse

„Blaues Auge“ statt „blauer Welle“? 5 Erkenntnisse zur Kommunalwahl in Thüringen

Die Kommunalwahlen in Thüringen am 26. Mai 2024 wurden schon seit Monaten als Stimmungstest für das Wahljahr 2024 erwartet – gerade in Hinblick auf das Abschneiden der AfD. Bereits die Landratswahl in Sonneberg im Juni 2023, zum Oberbürgermeister von Nordhausen im September 2023 und die Landratswahl im Saale-Orla-Kreis im Januar 2024 haben große Aufmerksamkeit erfahren, insbesondere, da in allen drei Fällen die Kandidaten der rechtsextremen Thüringer AfD in die Stichwahl einzogen. Außerdem gelten die Kommunalwahlen als Gradmesser dafür, inwieweit die jüngsten Gerichtsverhandlungen, Enthüllungen und Skandale der AfD an der Wahlurne geschadet haben.

Dementsprechend liegt der Fokus unserer Kolleg*innen vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena zu den Kommunalwahlen in Thüringen auf der Einordnung der Stimmergebnisse für rechtsextreme Parteien und Bündnisse. In dieser Kurzanalyse werten wir die Ergebnisse der Kommunalwahlen vom 26. Mai 2024 aus – mit Fokus auf die AfD und andere rechtsextreme Akteur*innen sowie in Hinblick auf die Auswirkungen der Wahlen für die Zivilgesellschaft. Abschließend leiten wir Erkenntnisse und Empfehlungen für künftige Wahlen ab. Die vollständige Kurzanalyse steht hier zum Download bereit.

Die wichtigsten Erkenntnisse vorab:

  1. Die Kommunalwahlen 2024 in Thüringen sind weder als voller Erfolg noch als Niederlage für die extreme Rechte zu werten.
    In einigen Regionen konnten die AfD und andere extrem rechte Parteien und Bündnisse große Gewinne verzeichnen, teilweise blieben sie jedoch hinter den Prognosen zurück.
  2. 9 Kandidat*innen der rechtsextremen Thüringer AfD gehen in die Stichwahl um die Landratsämter – in Hildburghausen der Neonazi Tommy Frenck für sein „Bündnis Zukunft Hildburghausen“. In 9 von 22 Kreistagen/Stadträten stellt die AfD nun die größte Fraktion, in 10 die zweitgrößte. Damit hat sich die Etablierung und Normalisierung der AfD in Thüringen fortgesetzt.
  3. Die kritische Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Kandidat*innen, die in Thüringen bereits im Kontext der Landrats- bzw. Oberbürgermeisterwahlen in Sonneberg (Juni 2023), Nordhausen (September 2023) und im Saale-Orla-Kreis (Januar 2024) stattfand, hat der Partei bei den aktuellen Kreistagswahlen offenbar nicht geschadet.
  4. Die Regierungsparteien in Bund und Land haben flächendeckende Verluste verzeichnet.
  5. Gerade dort, wo rechtsextreme Parteien/Bündnisse besonders stark in den Kreistagen sitzen und (potenziell) Landräte stellen, steht zu befürchten, dass die Zivilgesellschaft und Menschen, die von Rechtsextremen abgewertet, bedroht und angegriffen werden, künftig noch stärker unter Druck geraten.

Schlussendlich zeigt sich: Auch wenn keine „blaue Welle“ für die AfD zu beobachten war, ist keine Entwarnung gegeben. Die Partei wurde zwar in der Fläche des Freistaats gestärkt, gleichwohl ist ihr ein „Durchmarsch“ gründlich misslungen. Dieser Trend ist allerdings nicht starr auf die bevorstehenden Kommunalwahlen in anderen Bundes-l ändern übertragbar. Vergleichsweise niedrige Wahlergebnisse für die AfD lassen sich zwar teilweise mit der demokratischen Kultur vor Ort und überzeugenden demokratischen Gegenangeboten erklären – in anderen Fällen sind es aber weitere extrem rechte Parteien und Bündnisse, die der AfD vermutlich Stimmen gekostet haben. Hinter den hohen Wahlergebnissen für all diese Kandidat*innen stehen demokratie- und menschenfeindliche Einstellungen, die auf die demokratische Kultur vor Ort einwirken und bereits jetzt eine enorme Herausforderung für die demokratische Zivilgesellschaft darstellen. Wie demokratische, zivilgesellschaftliche Strukturen nachhaltig und effektiv unterstützt werden können, haben wir in einem Positionspapier des IDZ bereits herausgearbeitet. An dieser Stelle wollen wir noch einmal wichtige Punkte hervorheben, die vor allem mit Blick auf die Ergebnisse der Kommunalwahlen und die Stichwahlen am 9. Juni besonders relevant sind.

Die demokratische Zivilgesellschaft braucht (mediale) Aufmerksamkeit, Anerkennung und Unterstützung in der Fläche: In den nächsten Tagen und Wochen sollte die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit nicht allein auf besonders skandalträchtigen Personen oder Ereignissen wie dem Neonazi Tommy Frenck stehen, der vermutlich nur geringe Chancen haben wird, zum Landrat in Hildburghausen gewählt zu werden. Dadurch könnten andere Orte wie das Altenburger Land oder der Saale-Holzland-Kreis aus dem Blick geraten, in denen das Risiko weiterer extrem rechter Landräte verhältnismäßig hoch ist. Um die Wahl von Landrät*innen extrem rechter Parteien zu verhindern, braucht es neben der medialen Begleitung aller Stichwahlen eine überregionale Unterstützung der lokalen Zivilgesellschaften bis zu den Stichwahlen und darüber hinaus.

Es ist wahrscheinlich, dass sich im Zuge der Stichwahlen zu Landrats- und Bürgermeister*innenämtern, an denen die AfD beteiligt ist, ähnlich wie bei den vergangenen Wahlen in den Landkreisen Sonneberg und Saale-Orla-Kreis sowie in Nordhausen breite demokratische Bündnisse bilden, um die demokratischen Kandidat*innen zu unterstützen. Diese breite Unterstützung sollte jedoch nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Vielmehr beinhaltet sie den Auftrag für eine inklusive, pluralistische und bürger*innennahe Politik und erfordert eine klare Abgrenzung von der AfD und anderen extrem rechten Kräften – sowohl in der konkreten parlamentarischen Zusammenarbeit als auch in den inhaltlichen Positionierungen.

Auf zivilgesellschaftlicher Ebene braucht es für die Schaffung solcher Bündnisse über die Stichwahlen hinaus eine weitere Vernetzung über Regionen, Altersgruppen, Themen und Milieus hinweg. Gerade wirtschaftliche Unternehmen und lokal verankerte Organisationen wie Feuerwehren oder Heimat- und Brauchtumsvereine sind hier gefragt, sich klar demokratisch zu positionieren und gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen für eine starke demokratische Kultur einzustehen. Überregionale Vernetzungen wie „Weltoffenes Thüringen“ bieten dafür jetzt schon wichtige Anknüpfungspunkte und Infrastrukturen, über die gemeinsam Kampagnen und Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden können.

Wie sich die Wahlergebnisse im Detail bewerten lassen und welche Auswirkungen diese u. a. auf die Zivilgesellschaft haben, ist in der Kurzanalyse nachzulesen.

Publikationen

Weiterlesen

449404093
Kommentar

Kommentar: Lohnt sich Demokratieförderung überhaupt?

Als die Correctiv-Recherchen Anfang 2024 publik wurden, gründeten sich bundesweit Initiativen, die zu Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus aufriefen. Sie mobilisierten Hunderttausende. Seitdem sind neue Initiativen und Bündnisse entstanden und Netzwerke gewachsen. Die Zivilgesellschaft in Ostdeutschland blüht auf, wie lange nicht. Trotzdem erringt die rechtsextreme AfD starke Ergebnisse. Das enttäuscht und war doch vorhersehbar. Es braucht Zeit, die über Jahre entstandene rechtsextreme Hegemonie wieder aufzubrechen. Ein Kommentar.

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.