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Zahlreiche antisemitische Vorfälle auf Demonstrationen am „Nakba-Tag“

Der aktuelle Konflikt zwischen Israel und den Palästinenser:innen sowie der radikalislamischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen trägt in diesem Jahr in hohem Maße zur Zuspitzung des Gedenkens an die sogenannte Nakba (deutsch: Katastrophe) bei. Am „Nakba-Tag“, der jährlich am 15. Mai begangen wird, gedenken vor allem Palästinenser:innen, aber auch Muslim:innen in der ganzen Welt sowie Antizionist:innen der „Flucht und Vertreibung“ von rund 700.000 Palästinenser:innen aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina zwischen 1947 und 1949. Weitere Informationen zum Thema finden sich hier.

Unabhängig von den Hintergründen und Umständen der Flüchtlingsbewegung brannte sich „al Nakba“ als traumatisches Erlebnis ins kollektive Gedächtnis der Palästinenser:innen, mit dem viele von ihnen bis heute den Verlust ihrer früheren Heimat verbinden. Entsprechend steht der „Nakba-Tag“ auch heute symbolisch, aber auch praktisch, für den Aufruf propalästinensischer und antizionistischer Akteur:innen zum „Widerstand“ gegen die als illegitime Besatzungsmacht angesehene israelische Regierung – und entsprechend für eine „Rückeroberung“ ehemals palästinensischer Gebiete, was sich beispielsweise in der antizionistischen Parole „From the river to the sea (Palestine will be free)“ ausdrückt. Mit dieser wird explizit das Existenzrecht Israels geleugnet und die Forderung auf Rückkehr der Palästinenser:innen auf dieses Gebiet bekräftigt.

Am sogenannten „Nakba-Tag“ kam es in europäischen (Groß)Städten und auch in ganz Deutschland zu zahlreichen antiisraelischen Demonstrationen und antisemitischen Vorfällen. Zusätzlich verschärft wird die Lage unter dem Eindruck der aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinenser:innen beziehungsweise der radikalislamischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen. Im Folgenden werden Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten gelistet, in denen es zu zahlreichen antizionistischen und antisemitischen Vorfällen kam. Einige dieser Demonstrationen wurden wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz (Abstand, Maskenpflicht) aufgelöst, was beispielsweise in Berlin zu gewalttätigen Reaktionen vonseiten der Demonstrierenden gegen die Polizei führte.

Berlin: Laut „taz“ versammeln sich anlässlich des „Nakba-Tages“ um 15 Uhr am Hermannplatz in Berlin-Neukölln tausende Menschen. Viele Gruppierungen, die an diesem Tag zur Demonstration aufrufen, sind laut JFDA und Democ fest im antizionistischen und antiimperialistischen Spektrum verankert, einige werden dem Umfeld terroristischer Vereinigungen zugeordnet. Auf vielen Schildern wird Israel dämonisiert und die Shoa relativiert, indem Israel ein „Genozid“ oder gar „Holocaust“ an den Palästinenser:innen unterstellt wird. Im vorderen Bereich der Demonstration werden antisemitische Parolen und Vernichtungswünsche skandiert, teilweise auf Arabisch: „Oh Qassam, oh Liebling – schlag zu, zerstör Tel Aviv“. Dieser Satz nimmt Bezug auf die sogenannten Kassam-Raketen, mit denen die Hamas regelmäßig (und auch aktuell) israelische Städte beschießt. Während der Demonstration werden Journalist:innen mehrfach bedroht und sogar zum Kampf aufgefordert. Als die Polizei die Demonstration wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz auflösen will, eskaliert die Situation: Polizist:innen werden als „Juden“ beschimpft, Demonstrierende werfen zudem Böller, Steine und Flaschen auf sie. Eine Journalistin, die auf Hebräisch von der Demonstration berichtet, wird gezielt mit einem Knallkörper beworfen. Auch ein weiterer Demonstrationszug von etwa 2.500 Personen, der in Kreuzberg in Richtung Neukölln gestartet ist, fällt durch antisemitische Parolen (Forderung einer „Dekolonisierung“ Israels sowie „1,2,3,4 – Israel no more!“) auf.

Bielefeld: Propalästinensische Demonstrierende skandieren am Bielefelder Hauptbahnhof antisemitische Parolen wie „Kindermörder Israel“. Dieser Vorwurf knüpft eine deutliche Parallele zur christlich-antijudaistischen „Ritualmord“-Legende an, nach welcher Jüdinnen:Juden angeblich (christliche) Kinder entführten und ihres Bluts wegen für ein satanisches Ritual opferten. Zudem dämonisiert die Parole den Staat Israel, weil sie ihm unterstellt, gezielt und kaltblütig unschuldige Kinder zu ermorden.

Bochum: Laut WAZ versammeln sich rund 1.500 Personen für zwei propalästinensische Demonstrationen im Stadtgebiet. Ein Foto, das einen Ausschnitt einer Demonstration vor dem Bochumer Rathaus zeigt, dokumentiert ein Plakat mit der Aufschrift „Stop doing what Hitler did to you“. Mit dieser Aussage wird dem Staat Israel beziehungsweise Jüdinnen:Juden unterstellt, sie vollzögen einen Genozid an den Palästinenser:innen – eine Relativierung der Shoa sowie antisemitische Täter-Opfer-Umkehr, die im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts von antizionistischen Akteur:innen häufig vollzogen wird.

Frankfurt am Main: In der Frankfurter Innenstadt findet eine Demonstration statt, auf der Schilder mit der Parole „From the river to the sea Palastine will be free“ [sic!] Hiermit wird zum einen das Existenzrecht Israels negiert, zum anderen zumindest implizit der Wunsch geäußert, das israelische Staatsgebiet vom Mittelmeer bis zum Fluss Jordan (und damit den jüdischen Staat an sich) von der Landkarte zu tilgen.

Flensburg: Laut dem „Humanistischen Pressedienst“ nehmen rund 150 Personen an einer propalästinensischen Demonstration auf dem Flensburger Willy-Brandt-Platz teil. Dazu aufgerufen hatte der Palästinensische Verein Flensburg, gleichzeitig findet am selben Ort eine Gegenkundgebung mit etwa 25 Personen statt. Der irakisch-kurdische Aktivist Amed Sherwan, der 2014 wegen seiner religionskritischen Haltung aus dem Irak fliehen musste und bis heute als Ex-Muslim angefeindet wird, hatte zu letzterer aufgerufen. Im Verlauf der Demonstration wird Sherwan von einem mutmaßlichen Teilnehmer der propalästinensischen Demonstration körperlich angegriffen, wobei der Täter versucht, ihm eine Israel-Flagge zu entreißen. Als Polizist:innen dazwischen gehen, soll der Angreifer Sherwan als „Scheiß Jude“ beschimpft haben.

Freiburg: Eine propalästinensische Gruppe veranstaltet in der Freiburger Innenstadt eine Kundgebung gegen die israelischen Militäraktionen im Gazastreifen. Dass diese ausgerechnet auf dem Platz der Alten Synagoge stattfindet, auf dem sich ein Gedenkort für die in der Zeit des Nationalsozialismus zerstörte Freiburger Synagoge befindet, bezeichnet die Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde in Freiburg, Irina Katz, als „gezielte Provokation“. Die Wahl des Veranstaltungsortes durch die propalästinensische Gruppe rückt die eskalierende Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt bewusst in die Nähe der Shoa beziehungsweise der NS-Verbrechen – und dämonisiert so den jüdischen Staat, indem er eine Täter-Opfer-Umkehr andeutet. Einige Stunden zuvor findet am selben Ort ein öffentliches Gebet für Israel statt, dazu aufgerufen hatten die Israelitische Gemeinde. Ein 17-Jähriger beleidigt einen jüdischen Teilnehmer der örtlichen Gegenveranstaltung, weshalb ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wird.

Karlsruhe: Propalästinensische Demonstrierende zeigen am Karlsruher Marktplatz Schilder mit der Parole „Hör auf Israel unsere Kinder zu töten“. Dieser Vorwurf knüpft eine deutliche Parallele zur christlich-antijudaistischen „Ritualmord“-Legende an, nach welcher Jüdinnen:Juden angeblich (christliche) Kinder entführten und ihres Bluts wegen für ein satanisches Ritual opferten. Zudem dämonisiert die Parole den Staat Israel, weil sie ihm unterstellt, gezielt und kaltblütig unschuldige Kinder zu ermorden. Eine Frau, die mit einer Israelflagge gegen die Versammlung demonstriert, wird von Teilnehmenden der propalästinensischen Demonstration umzingelt. Die Polizei muss einschreiten und die Aufgebrachten zurückdrängen.

Köln: Auf dem Kölner Heumarkt versammeln sich etwa 800 Menschen, um gegen die israelischen Militäraktionen im Gazastreifen zu protestieren. Dabei sind Schilder zu sehen, die Israel einen Genozid an den Palästinenser:innen unterstellt („Stop the genocide“). Ein anderes Schild mit der Aufschrift „End Palestinian Holocaust“ treibt diese Dämonisierung Israels, Täter-Opfer-Umkehr und Shoa-Relativierung auf die Spitze. Gegenüber dem SPIEGEL äußert sich eine andere Teilnehmerin: „Früher waren die Juden Opfer, jetzt sind sie Täter.“ Der Hauptredner der Demonstration, der mit einem T-Shirt der Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) auftritt, wirft dem jüdischen Staat („zionistische Besatzer“) ethnische Säuberungen vor. BDS setzt sich für einen umfassenden Boykott Israels ein und wird von zahlreichen Expert:innen als antisemitisch eingestuft. Laut SPIEGEL soll zudem ein Demonstrationsteilnehmer versucht haben, eine Israel-Flagge anzuzünden.

Leipzig: Auf dem Leipziger Augustusplatz findet eine propalästinensische Demonstration mit ungefähr 400 Teilnehmenden statt. Die „Leipziger Volkszeitung“ verweist auf Videos, die in den Sozialen Netzwerken kursieren und antisemitische Parolen wie „Kindermörder Israel“ dokumentieren. Einige propalästinensische Demonstrierende, die Teilnehmende einer am gleichen Ort stattfindenden Gegenkundgebung tätlich angreifen, werden kurz darauf von der Polizei gestoppt.

Mannheim: Wegen Nichteinhaltung der Corona-Abstandsregeln löst die Polizei eine propalästinensische Demonstration in Mannheim mit etwa 500 Teilnehmenden auf. Zuvor habe laut „Stuttgarter Zeitung“ ein Mann versucht, eine israelische Flagge anzuzünden. Zudem wurden – trotz der Bemühungen der Veranstalter:innen, antisemitische Ausrufe zu unterbinden – Parolen wie „Kindermörder Israel“ skandiert. Zusätzlich seien laut „Kommunalinfo Mannheim“ eine Person, die nicht als Redner:in angekündigt war, auf die Bühne geklettert und hätte islamistisch-fundamentalistische Predigten gehalten. Nach der Auflösung der offiziellen Demonstration zogen noch mehr als 100 Personen durch die Stadt. Weil jedoch keine Folgeveranstaltungen genehmigt sind, ermittelt die Polizei wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und möglicherweise auch wegen Landfriedensbruch.

München: Laut RIAS Bayern versammeln sich bis zu 650 Teilnehmende zu einer unangekündigten „Demonstration für Palästina“ auf dem Münchner Königsplatz. Im Laufe der Veranstaltung fallen Parolen wie „From the river to the sea, Palestine will be free“ oder „Intifada bis zum Sieg“. Beide richten sich gegen die Existenz des Staates Israel. Mit „Kindermörder Netanyahu“ wird zudem die „Ritualmord“-Legende bedient. Auf einem Plakat ist laut RIAS Bayern eine Zeichnung zu sehen, die einen Soldaten der israelischen Armee zeigt, der sein Sturmgewehr auf eine am Boden liegende muslimische Frau richtet. Der Soldat blickt dabei in einen Spiegel, der jedoch nicht sein Spiegelbild, sondern einen grinsenden Wehrmachtssoldaten mit Hakenkreuzbinde zeigt, der sein Gewehr auf einen KZ-Häftling richtet. Der jüdische Staat wird somit als Wiedergänger des Nationalsozialismus präsentiert – eine typische Form des Post-Shoa-Antisemitismus.

Osnabrück: Etwa 800 Menschen ziehen als „Demo für Palästina“ durch Osnabrück. Laut RIAS Niedersachsen werden im Demonstrationszug mindestens drei Fahnen der palästinensischen Terrororganisation Hamas sowie der „Wolfsgruß“ der rechtsextremen türkischen Organisation „Graue Wölfe“ gezeigt. Zudem sind Plakate zu sehen, die Israel das Existenzrecht absprechen und den jüdischen Staat dämonisieren, zum Beispiel durch die Parolen „From the river to the sea, Palestine will be free“ oder „Kindermörder Israel“. Letztere nimmt gezielt Bezug auf die sogenannte Ritualmordlegende. Außerdem relativieren Slogans wie „End the Palestine Holocaust“ oder „Netanyahu’s list“ die Shoa, weil sie israelische Politik sowie Politiker:innen in Verbindung mit dem Nationalsozialismus setzen.

Stuttgart: Am Stuttgarter Marienplatz geraten mehrere Gruppen, die sich anlässlich einer propalästinensischen Demonstration treffen, gewaltsam aneinander. Laut „Stuttgarter Nachrichten“ kommt es zwischen kurdischen und türkischen Demonstrierenden zu Handgreiflichkeiten. Mehrfach skandiert die Menge „Allahu akbar“ (deutsch: Gott ist groß). Weil die Stimmung zu kippen droht, brechen die Veranstaltenden die Kundgebung kurze Zeit später ab. Im Anschluss ziehen hunderte Demonstrierende noch skandierend und palästinensische Fahnen schwenkend durch die Stuttgarter Innenstadt. Laut Polizei dauert es mehrere Stunden, bis sich die Lage in der Stadt beruhigt.

 

Kategorie: Kundgebungen, Demonstrationen, Veranstaltungen

 

Eine fortlaufende Chronik antisemitischer Vorfälle im Kontext der aktuellen Eskalation des israelisch-palästinensischen Konflikts ist bei Belltower.News zu finden.

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