Im sächsischen Wurzen häufen sich in den vergangenen Monaten rechtsextreme und rassistische Übergriffe. Einige Betroffene haben aus Angst die Stadt verlassen. Auch demokratisch Engagierte stehen im Kreuzfeuer – doch eine klare Haltung gegen Rassismus seitens Politik und Stadtgesellschaft bleibt aus.
Von Ibo Muthweiler
Unweit von Leipzig, an den berühmten Jakobspilgerweg grenzend liegt die idyllische Kreisstadt Wurzen, die sich selbst stolz Ringelnatzstadt nennt – benannt nach einem lokalen Künstler der Weimarer Republik. Normalerweise, so sind es die Wurzener gewohnt, beläuft sich das öffentliche Interesse für das Städtchen auf den St. Marien Dom, die historische Altstadt oder das Hochwasser der Mulde. Doch seit einiger Zeit ist die Stadt aufgrund wiederkehrender Gewalt von Rechtsextremen über die sächsische Landesgrenze hinaus Gegenstand medialen Interesses. Die rechten Umtriebe fanden ihren bisherigen Höhepunkt am Abend des 12. Januar, als bewaffnete Neonazis ein Wohnhaus angriffen, in dem Geflüchtete untergebracht waren. Neben Scherben und Verletzungen ließen die Angreifer vor allem eines zurück: Angst.
Eine Angst, die sich angesichts der Tatsache, dass es mittlerweile fast wöchentlich zu rassistischen Vorfällen in Wurzen kommt, auf traurige Art und Weise bestätigt. Für die Betroffenen resultierte der Überfall in der notwendigen Entscheidung, die Stadt zu verlassen. Im Rahmen des Opferfonds CURA mussten Schutzwohnungen finanziert werden, bis alle Angelegenheiten für einen Umzug geregelt waren. Mittlerweile haben zwischen 10 und 15 Personen die Stadt verlassen, mit der sie einst die Hoffnung auf Schutz und einen Neuanfang verbanden.
Rassismus als alltägliche Bedrohung
Die bundesweite Medienpräsenz ist abgeflaut – aber rechte Einschüchterungsversuche und Gewalttaten gehen weiter. Ende Januar jagten Neonazis Journalist*innen durch die Stadt, die über eine Demonstration gegen rassistische Gewalt berichten wollten. Einen Monat später wurde eine im siebten Monat schwangere Frau aus Eritrea mit den Worten „Wir wollen keine Ausländerbabys mehr“ beschimpft, geschlagen und getreten.
Wurzen war bereits Anfang der Neunziger Jahren eine Hochburg gewaltbereiter Neonazis und auch heute gibt es wieder organisierte Strukturen, die in größere Neonazinetzwerke eingebunden sind. Im Zusammenhang mit dem Firmen- und Unternehmensgeflecht des ehemaligen neonazistischen Versandhandels Front Records sind in der Stadt mehrere Immobilien entstanden, die der Szene weit über Wurzen hinaus als Treffpunkt dienen. „Beängstigend ist die Zustimmung aus der Bürgergesellschaft für diese äußerst rassistische und völkische Bewegung“, meint Martina Glass, Mitarbeiterin des Netzwerks für demokratische Kultur e.V. (NDK). Durch Fortbildungen, Bildungsveranstaltungen und Netzwerkarbeit engagiert sich der Verein seit Jahren und weit über Wurzen hinaus für eine Gesellschaft der Gleichwertigkeit und gegen Rechtsextremismus. Mit Hilfe der Amadeu Antonio Stiftung konnte das NDK ein Vereinshaus am Domplatz kaufen und bietet dort ein vielfältiges Angebot als Alternative zur rechtsextremen Szene in der Stadt. Die Stiftung und das NDK verbindet eine enge Partnerschaft, regelmäßig fördert die Stiftung die wichtigen Projekte des Vereins.
Angriffe gegen demokratisch Engagierte des NDK
Seit Monaten steht das NDK im Zentrum öffentlicher Anfeindungen und Einschüchterungsversuche von rechts. Auf seinen Kundgebungen ruft die Bürgerinitiative „Neues Forum Wurzen“ dazu auf, dem Netzwerk für Demokratische Kultur die finanziellen Mittel zu entziehen und damit dafür zu sorgen, dass der Verein seine Tätigkeit einstellen muss. Den Höhepunkt erreichten solche Anfeindungen nach Anschlägen auf zwei Gaststätten in Wurzen Ende März, deren Inhaber im Vorstand des „Neuen Forums“ sind. Obgleich sich das NDK ausdrücklich von den Anschlägen distanzierte, wurde das Netzwerk indirekt für die Anschläge verantwortlich gemacht und Engagierte in der Öffentlichkeit diffamiert.
Aber das Netzwerk hat auch Unterstützer*innen vor Ort. Dass es eine Zivilgesellschaft gibt, die sich dem rechten Mainstream in ihrer Region widersetzt, das zeigt nicht nur das NDK: Bereits eine Woche nach dem Angriff auf die Geflüchteten mobilisierte das Bündnis ‚Irgendwo in Deutschland‘ 250 Menschen nach Wurzen, die unter dem Motto „Solidarität mit allen Opfern rassistischer und rechter Gewalt“ eine Kundgebung abhielten. Die Pressesprecherin des Bündnisses teilte mit: „Wir sind heute nach Wurzen gefahren, um zu zeigen: Wurzen hat kein Image-Problem, Wurzens Problem heißt Rassismus!“
Die alte „Nestbeschmutzer“-Debatte wird aufgewärmt
Diese Aussage nimmt Bezug auf die Debatte, die das Wurzener Land derzeit beschäftigt. Denn einige sehen die Idylle der Ringelnatzstadt durch die Berichterstattung über die örtliche Rechte getrübt und werfen den demokratisch und antirassistisch Aktiven vor, das Problem erst selbst zu schaffen. In dieser Haltung liegt ein bekanntes Problem im Kampf gegen eine rechtsextreme Alltagskultur in kleineren Ortschaften, das schon in den 90er Jahren den angebrachten Widerstand erschwert hat – bundesweit. Wurzen ist kein Einzelfall, sondern nur ein Beispiel für den Versuch Rechtsextremer, sich abseits der Metropolen zu organisieren und lokal Einfluss zu nehmen. Wenn solche Versuche aus Angst vor Imageschäden nicht ausreichend problematisiert werden, ist es nur schwer möglich diese in den Griff zu bekommen. Entsprechend fordert auch das NDK: „Wir brauchen eine klare öffentliche Haltung zum Problem“. Denn auch wenn die Bekämpfung rechter Strukturen und Ideologien eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, so liegt der erste Schritt meist bei den Kommunen und Gemeinden: „Was fehlt, ist das Nutzen der Potentiale für eine Erarbeitung und auch Umsetzung einer Gesamtstrategie“.