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Der Kampf um alternative Freiräume ist bereits in vollem Gange

Quelle: Künstlerin Linda Faulhaber

Die Kultureinrichtung „Treibhaus“ in Döbeln sei ein Hort des „Linksextremismus“, findet die AfD und will dem Haus das Geld abdrehen. Obwohl Teile der CDU der AfD zustimmten, ging es am Ende gut aus für das „Treibhaus“. Doch diese Geschichte zeigt, es kann uns alle treffen.  

Dieser Artikel erschien zuerst auf Belltower.News.

Am Mittwoch hat der Kulturkonvent des Kulturraums Erzgebirge-Mittelsachsen dem Döbelner Verein „Treibhaus“ die Förderung für das Jahr 2020 bewilligt. Diesen Beschluss fällten die beiden stimmberechtigten CDU-Landräte Matthias Damm und Frank Vogel in Marienberg. Wenn die Förderung abgelehnt worden wäre, hätte dies das Aus für fünf Stellen im Verein bedeutet. Im Dezember war die Fördermittelzusage nach Einwänden der AfD zurückgestellt worden. Die AfD wirft dem soziokulturellen Zentrum „Linksextremismus“ vor.

Doch was der Kulturverein so anbietet, wirkt nicht besonders linksextrem. In dem Eckgebäude mitten in Döbeln, auf halber Strecke zwischen Dresden und Leipzig, wird zum wöchentlichen Seniorentanz geladen, zum Skateworkshop, zur Siebdruckwerkstatt, zum Nähcafé, zu Vorträgen, zur Fahrradwerkstatt oder zu Tanzworkshops. Willkommen sind alle – bis auf Rechtsextreme. Deswegen, so die AfD, missbrauche der Verein sein Hausrecht. Ihm mangele es an „Überparteilichkeit“, finden ausgerechnet die Rechtsradikalen. Dass keine Anhänger*innen der rechtsextremen Szene zu Veranstaltungen des Vereins kommen dürfen hat allerdings gute Gründe. Immer wieder war der Verein Opfer von Angriffen aus dem rechtsextremen Spektrum. Autos von Mitgliedern und Angestellten wurden angezündet. Im Februar 2007 überfielen Neonazis der später verbotenen Kameradschaft „Sturm 34“ einen Kabarettabend im Café des Vereins. Sie verletzten mehrere Besucher*innen zum Teil schwer.

Rolf Weigand (AfD): Fragt nach Nationalitäten von „Frauen im gebärfähigen Alter“
Waren früher die NPD und klassische Neonazis der Hauptfeind des Vereins, ist es nun die AfD, in der ersten Reihe steht dabei Rolf Weigand. Weigand ist seit 2013 Mitglied der Alternative für Deutschland und seit 2017 im Vorstand des Kreisverbands AfD Mittelsachsen und der Jungen Alternative Sachsen. Er ist außerdem Pressesprecher seines Kreisverbands. Da ein Parteikollege sein Mandat niederlegte, zog Weigand 2018 in den sächsischen Landtag ein. Seither ist er sport- und hochschulpolitischer Sprecher seiner Fraktion. 2019 wurde er mit mehr als einem Drittel Erststimmen als Direktmandat gewählt. Seit August 2019 ist Weigand zudem stellvertretender Bürgermeister von Großschirma.

Weigand war maßgeblich für das Lehrer-Meldeportal der AfD verantwortlich. Jüngst sorgte er für Aufsehen, wegen einer kleinen Anfrage im Sächsischen Landtag zu „Frauen im gebärfähigen Alter“. Er hätte gerne aufgeschlüsselt, wie sich die Zahlen in den letzten Jahren je nach Landkreisen und Städten und je nach Nationalität geändert hat.

Dass Weigand das „Treibhaus“ auf seiner Abschussliste stehen hat, begann laut „Informationsdienst zur AfD in Sachsen“ 2017. Damals veranstaltete der Verein gemeinsam mit Belltower.News-Chefredakteurin Simone Rafael eine Veranstaltung zum Thema „Neue Rechte“ im Ratssaal im nahegelegenen Roßwein. Kurz vorher wurde der rechtsradikalen Partei die Benutzung desselben Saals verwehrt.  Auch hier kam der Vorwurf des „Linksextremismus“. Beweise für diese Behauptung hat weder Weigand noch andere Parteikamerad*innen aus der AfD bisher vorlegen können.

Agent in geheimer Mission veröffentlicht Sticker im „Treibhaus“-Café
Allerdings veröffentlichte Jörg Bretschneider aus Reinsberg, Kreisrat in Mittelsachsen, Fotos die im Café Courage, eine offene Begegnungsstätte des Vereins, aufgenommen wurde. Eine Art Agent in geheimer Mission „schlich“ sich offenbar in das Café ein und fotografierte die dortigen Sticker. Zu sehen sind dort „Good night white pride“-, „In die Offensive! Antifa heißt Angriff“-, „Kein Geld – Geh Plündern“- und „Nazis aufs Maul“-Sticker.

Die Fotos stellte Bretschneider laut Zeit zu einer Präsentation zusammen, die er zu einer Sitzung des Kulturkonvents der Landkreise Mittelsachsen und Erzgebirge mitbrachte. Offenbar gelang es ihm, die beiden CDU-Landräte Matthias Damm und Frank Vogel, die über die Förderung entscheiden, für AfD-Zwecke einzuspannen. Die Landräte stellten die Förderung zunächst ein. Am Mittwoch hat der Kulturkonvent dem Döbelner Verein nun doch die Förderung für das Jahr 2020 bewilligt. Zuvor musste der Verein jedoch noch ein Bekenntnis dazu abgeben, dass er sich von jeglicher Form des Extremismus distanziert. Auch einige der Sticker hat der Verein entfernt.

Der Kampf um alternative Freiräume ist in vollem Gang
„Treibhaus e.V.“ ist damit noch einmal einigermaßen glimpflich davongekommen. An dieser Stelle muss jedoch betont werden, dass Angriffe von AfD-Politiker*innen auf unliebsame alternative Freiräume zunehmen. Initiativen werden unter Druck gesetzt, verleumdet und bedroht, insbesondere, wenn sie sich in Politikbereichen bewegen, die von der AfD als Kampfgebiete betrachtet werden – etwa Migration, Islam, Geschlechtergerechtigkeit, sexuelle Identitäten oder Kinder- und Jugendpolitik. Neben der schon länger präsenten Bedrohung einzelner Engagierter durch Rechtsextreme werden heute ganze Projekte und Initiativen angefeindet und angegriffen, die durch öffentliche Gelde gefördert werden. Die Abwehr gegen diese Angriffe nimmt immer mehr Kräfte in Anspruch, kostet Nerven und bindet Ressourcen. Ziel der Angriffe ist es, die Förderwürdigkeit der Träger infrage zu stellen und den Entzug staatlicher Gelder durchzusetzen, um so den Initiativen ihre Arbeitsgrundlage zu entziehen.

Solche Angriffe von Rechtsaußen gehen meist mit einer systematischen Diffamierung über rechte Blogs, rechtsalternative Medien und AfD-Kanälen einher. Ist die Skandalisierung einmal erreicht, kann sie bis in einzelne Qualitäts- und Massenmedien hineinwirken und dadurch die Forderungen der AfD in die Breite tragen. Über Petitionen versucht sie, die Einstellung öffentlicher Förderungen zu erreichen. So auch im Fall des Treibhauses. Bereits vergangene Woche hatte die AfD eine Onlinepetition gestartet, um diese personelle Veränderung voranzutreiben. Bisher haben knapp 500 User*innen unterzeichnet.

Mehr Informationen und Handlungsempfehlungen zum Thema Angriff auf die Zivilgesellschaft, erhalten Sie in der Broschüre Demokratie in Gefahr. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD.

 

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