Im Frühjahr 1992 attackierte ein gewaltsamer Mob über Tage eine Asylunterkunft im Mannheimer Stadtteil Schönau. Während sich die Namen Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen ins kollektive Gedächtnis der bundesdeutschen Nachwendezeit einschrieben, sind die rassistischen Ausschreitungen in Mannheim-Schönau weitgehend vergessen.
Von Yannik Böckenförde
Ende 1991 veranlasste die Stadt Mannheim die Einrichtung einer Sammelunterkunft für Geflüchtete in der kurz zuvor freigezogenen Militärkaserne im Arbeiter:innenstadtteil Schönau. Vor allem kurdische und jugoslawische Geflüchtete, aber auch Schutzsuchende aus afrikanischen Staaten, werden ab Januar 1992 hier untergebracht. Von Beginn an gibt es im unter den Anwohner:innen rassistisch gefärbten Unmut gegen die Unterkunft, es grassieren Befürchtungen über Lärmbelästigung oder Gewalt- und Drogenkriminalität. Die angespannte Stimmung vor Ort fügt sich damals in die durch rassistische Hetze dominierte bundesweite „Asyldebatte“.
Damals wie heute: Die Lüge vom „übergriffigen Fremden“ als rassistischer Antrieb
Ende Mai verbreitet sich das nachweislich unzutreffende Gerücht, ein Bewohner der Unterkunft hätte ein 16-jähriges Mädchen vergewaltigt. Bereits am Abend des 26. Mai wie am Folgetag rotten sich daraufhin mit Stöcken bewaffnete junge Männer vor der ehemaligen Kaserne zusammen, es kommt zu den ersten gewaltsamen Angriffsversuchen. Am darauffolgenden „Vatertag“, dem 28. Mai 1992, eskaliert die Situation: Nur wenige 100 Meter von der Kaserne in der Lilienstraße entfernt findet an diesem Tag das alljährliche „Waldfest“ statt. Hier wird das falsche Gerücht weiter verbreitet. Nachdem sich die bereits zuvor äußerst aggressiv aufgeladene Veranstaltung auflöst, zieht ein Mob von mehreren hundert stark alkoholisierten Männern vor die Unterkunft. Aus der schnell anwachsenden johlenden und feixenden Menge fliegen schließlich Steine und Flaschen auf die ehemalige Kaserne, rassistische Parolen werden skandiert. Anders als in Hoyerswerda und später Rostock-Lichtenhagen war die Polizei vergleichsweise schnell vor Ort und sorgte auch in den folgenden Tagen zumindest dafür, dass es nicht zur weiteren Stürmung des Gebäudes kam.
Trotzdem konnte sich die rassistische Menge weiter vor der Kaserne versammeln, in der die Großteils aus Kriegsgebieten geflüchteten Bewohner:innen weiter in Angst ausharren mussten. Mehr als eine Woche lang wiederholen sich die Szenen Abend für Abend. Die Täter der Angriffe waren hierbei nicht organisierte Neonazis, die Ansammlungen vielmehr Ausdruck der rassistischen Normalität einer westdeutschen Großstadt Anfang der 1990er Jahre.
Bis heute keine Erinnerung
In Reaktion auf die Ausschreitungen benennt der damalige SPD-Bürgermeister von Mannheim mitnichten den rassistischen Kern der Geschehnisse. Stattdessen kündigt er sogar zur Zugeständnisse an die rassistisch wütende Menge. Auch in der lokalen Presse werden die Täter als „angetrunkene Krakeeler“ oder „Burschen“ verharmlost. Kriminalisiert hingegen wurden in den Tagen und Wochen nach dem 28. Mai die sich formierenden antirassistischen Gegenproteste. Höhepunkt war dabei eine bereits im Vorfeld verbotene bundesweite Demonstration am 6. Juni, die von von der Polizei brutal zerschlagen wird. Im Nachgang gründeten sich in Schönau lokale Initiativen, die sich nachhaltig um eine Einbindung der Geflüchteten in den Stadtteil bemühen. Bis heute erinnert am Ort der mittlerweile abgerissenen Kaserne nichts an die rassistischen Vorfälle von 1992.