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Die unterschätzte Gefahr der “Grauen Wölfe”

Der türkische Fußballnationalspieler Merih Demiral führt seine Mannschaft mit zwei Toren gegen Österreich (2:1) ins Viertelfinale der Fußball-EM 2024. Schlusspfiff, Kameras schwenken zur Großaufnahme auf Demiral. Der feiert mit einer eindeutigen Geste: dem „Wolfsgruß“ der türkischen rechtsextremen Grauen Wölfe. Er dreht damit seine Runde entlang der türkischen Fankurve und weiß: Die Botschaft wird verstanden.

Denn der „Wolfsgruß“ ist keine Provokation, keine „unschöne Geste“, sondern eine ganz klare Botschaft und rechtsextreme Positionierung vor Millionen von Zuschauer*innen weltweit. Das Handzeichen, bei dem der Zeige- und kleine Finger nach oben gestreckt, während Mittel- und Ringfinger gegen den Daumen gepresst werden, ist das Erkennungszeichen der Türkischen rechtsextremen „Grauen Wölfe“, auf Türkisch „Bozkurtlar“.

Wer sind die „Grauen Wölfe“ und was macht sie so gefährlich?

Sie hassen Assyrer*innen, Aramäer*innen, Armenier*innen, Kurd*innen, Alevit*innen, Ezid*innen, Jüdinnen*Juden, queere Menschen, Linke – und die offene Gesellschaft. Sie verüben brutale Übergriffe. Sie trainieren Kampfsport und den Umgang mit Waffen. Und sie töten. Das tun nicht nur deutsche Rechtsextreme, Nazis und Neonazis, sondern eben auch türkische Rechtsextreme: die Anhänger und Anhängerinnen der sogenannten „Grauen Wölfe“. Von den Sicherheitsbehörden wurden sie seit Jahren unterschätzt, auch weil ihre Gewalt und ihr Hass in erster Linie gesellschaftliche Minderheiten trifft.

Allein in Deutschland hat die rechtsextreme türkische Bewegung, je nach Zählweise, 11.000 – 15.000 Anhänger. Organisiert in mehr als 300 Vereinen und drei Dachverbänden. Ihr selbsterklärtes Ziel ist es, die Straßen, den Staat und das Parlament zu erobern. Ihr Vorgehen ist dabei subtiler und strategischer, als wir es von deutschen Rechtsextremen gewohnt sind. Neben offener Straßengewalt gegen Minderheiten setzen sie auf Unterwanderung. Die Unterwanderung der Zivilgesellschaft, aber auch demokratischer Parteien.

Die Ideologie der „Grauen Wölfe“

Die Ideologie der „Grauen Wölfe“ ist zutiefst antidemokratisch und antipluralistisch: Sie ist geprägt von der Überhöhung des „Türkentums“, auch gegenüber demokratischen Prinzipien. Sie vereint Rassismus, hierarchischen Führerkult, religiöse Anti-Liberalität und die Vorstellung einer historischen Untrennbarkeit zwischen Islam und Türkei. Damit sind sie auch der islamischen Rechten zuzurechnen. Vielfalt wird von ihnen nicht als etwas Bereicherndes verstanden, sondern als eine Gefahr: als ein Angriff auf die Einheitlichkeit, die Homogenität einer Nation der Turkvölker.

Eine globale rechtsextreme Bewegung

Bereits in den 1960er und 1970er Jahren formieren sich unter dem Namen „Graue Wölfe“ in der Türkei militante Jugendgruppen und paramilitärische Kommandos, die Terror und Gewalt ausüben – und auch morden.

Der politische Arm der „Grauen Wölfe“ ist heute die rechtsextreme „Partei der nationalistischen Bewegung“ MHP und deren Abspaltung „Große Einheitspartei“, BBP. Die MHP ist dabei die deutlich einflussreichere. Sie ist Teil des Wahlbündnisses, zu dem auch Recep Tayyip Erdoğans Partei, die AKP, gehört.

Spätestens seit den Präsidentschaftswahlen 2018 versucht Erdoğan, die „Grauen Wölfe“ auch international hoffähig zu machen. Dies passiert nicht nur politisch, sondern auch im vorpolitischen Raum, also z.B. im Fußball.

Ein Gruß mit klarer Botschaft

Wenn Merih Demiral den „Wolfsgruß“, also das Zeichen der „Grauen Wölfe“ zeigt, weiß er, was er damit tut. In erster Linie sendet er eine klare Botschaft an Betroffene und bietet der menschenfeindlichen Ideologie der „Grauen Wölfe“ eine Bühne. Es stecke »keine versteckte Botschaft« dahinter, sagte der 26-Jährige. Das ist glatt gelogen.

Assyrer*innen, Aramäer*innen, Armenier*innen, Kurd*innen, Alevit*innen, Ezid*innen, Pontosgriech*innen können nicht nur in der Türkei ein Lied davon singen, was diese Geste bedeutet und wofür sie steht: Gewalt und Terror gegen Minderheiten. Am Jahrestag des Sivas-Massakers, wo Islamisten und Graue Wölfe am 2. Juli 1993 über 30 Alevit*innen ermordeten wirkt diese Aussage beinahe schon zynisch.

Wie gefährlich sind die „Grauen Wölfe“?

Wie deutsche Rechtsextreme schrecken die „Grauen Wölfe“ vor Gewalt nicht zurück, ganz im Gegenteil, sie befürworten sie als Mittel der politischen Auseinandersetzung und bereiten sich aktiv darauf vor. Immer wieder kommt es zu massiver Straßengewalt und terroristischen Angriffen: 1984 verüben „Graue Wölfe“ ein Attentat auf den Kreuzberger Frauenladen TIO. Dabei wird die Menschenrechtsaktivistin Seyran Ateş lebensgefährlich verletzt.

So auch am 20.07.2023 in Berlin, als ein Anhänger der grauen Wölfe mit einem Auto in die pro-kurdische Demonstration fahren wollte. Nachdem er von der Polizei gestoppt wurde, zeigte er den „Wolfsgruß“ und schrie Parolen. Graue Wölfe verüben bis heute rechtsextremen Alltagsterror.

Betroffene sind „doppelt unsichtbar“

Gruppen wie Assyrer*innen, Aramäer*innen, Armenier*innen, Kurd*innen, Alevit*innen, Ezid*innen, Pontosgriech*innen uvm. sind neben dem „biodeutschen“ Rassismus auch unterschiedlich von den Aktivitäten türkischer Rechtsextremer betroffen. Sie erleben innermigrantischen Alltagsrassismus, organisierte Einschüchterung und Alltagsterror.

Ihre Erfahrungen sind doppelt unsichtbar: Die weiße Mehrheitsgesellschaft ist blind dafür. Und auch innerhalb und zwischen den betroffenen Communitys gibt es kaum Raum und Ressourcen für eine gemeinsame Auseinandersetzung mit türkischen Rechtsextremen wie den „Grauen Wölfen“.

Warum das Heulen der Grauen Wölfe endlich verboten werden muss

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