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Opferfonds CURA

Ein Schlag mitten ins Gesicht der Demokratie

Auf den verschwörungsideologischen „Querdenken“-Demonstrationen der letzten Jahre herrschte häufig eine große Gewaltbereitschaft und Pressefeindlichkeit. Immer wieder wurden Journalist*innen bedroht, beschimpft und gewaltsam angegriffen. In mehreren Fällen unterstützte der Opferfonds CURA die Betroffenen, zum Beispiel durch die Übernahme von Anwält*innenkosten, Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen oder Neuanschaffung von beschädigtem Material. Einer der Betroffenen ist Julian Rzepa. Er arbeitet als freier Journalist, dokumentiert Proteste verschiedener sozialer Bewegungen und recherchiert seit Beginn der Covid-19 Pandemie verstärkt zu verschwörungsideologischen Szenen sowie zu Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Als er im September 2020 von einer „Querdenken“-Demonstration in Freiburg berichtete, wurde er von mehreren Demonstrant*innen körperlich angegriffen, sein Kameraobjektiv wurde dabei zerstört. Julian Rzepa erstattete Anzeige gegen die Haupttäterin, doch das Verfahren wurde aufgrund von „mangelndem öffentlichen Interesse“ eingestellt. Im Gespräch mit dem Opferfonds CURA berichtet er von dem Angriff und seiner für ihn sehr frustrierenden juristischen Aufarbeitung.

Opferfonds CURA: Wie erlebst du deine journalistische Arbeit beim Berichten über „Querdenken“-Demonstrationen?

Julian Rzepa: Vor allem sehr anstrengend. Es gibt viele Dinge, die ich beachten muss, v.a. was Sicherheitsaspekte angeht. Leider geht das oft auf Kosten meiner Arbeit, beispielsweise der Bildqualität, weil ich mich nicht frei bewegen kann und meine Perspektiven nicht frei wählen kann. Ich fühle mich in der Berichterstattung bei „Querdenken“-Versammlungen oft eingeschränkt.

Da ich durch meine kritischen Berichte über die lokale verschwörungsideologische Szene bekannt geworden bin, werde ich eigentlich ständig als Feind markiert und mein Name, den eine lokale Querdenkerin mittels einer Anzeige gegen mich herausgefunden hat, wird öffentlich genannt. Diese und ähnliche Einschüchterungsversuche sind eigentlich immer dabei. Mittlerweile gehe ich nicht mehr alleine zu den „Querdenken“-Demos, sondern meistens mit Kolleg*innen oder Begleitschutz.

Auch wenn die Querdenker*innen in Baden-Württemberg eher in esoterischen Kreisen angesiedelt sind, gewalttätige Rechtsextreme gibt es auch in Freiburg. Sie laufen mit und sind bei der Organisation involviert.

Wie schätzt du die Bedrohungslage für Journalist*innen generell ein?

Ich schätze sie schon als hoch ein. Ohne das Gewalt- und Bedrohungspotential von klassischen Neonazis schmälern zu wollen, ich denke diese Gewalt ist in gewisser Weise „planbarer“, oder einschätzbarer. Während bei „Querdenken“-Demonstrationen eine presse- und auch menschenfeindliche Dynamik entstehen kann, in der sich selbst hippieesk erscheinende Personen gewaltvollen Methoden bedienen, um die Arbeit von Journalist*innen nicht nur zu be-, sondern auch zu verhindern. Ich kann mich noch an die ersten Demonstrationen von Ende April 2020 erinnern, wo ich sehr erschrocken darüber war, einem solchen Hass in den Augen zu sehen, bei Menschen, die sonst im Bioladen einkaufen gehen, Yoga machen und auf Goa-Parties gehen.

Generell ist zu sagen, dass Verschwörungsideologien brandgefährlich sind. Dass mehrere Rechtsterroristen sich durch solche Geschichten zu ihren Taten inspirieren ließen ist ja kein Geheimnis.

Wie erklärst du dir, dass gerade Journalist*innen so stark zum Feindbild für Querdenker*innen wurden?

Weil sie nicht in ihr Weltbild passen. Querdenker*innen behaupten ja, „kritisch gegenüber allem und jedem“ zu sein. Journalist*innen zeigen jedoch auf, dass diese Szene nicht fähig ist, sich selbst zu reflektieren oder die Verschwörungsmythen zu hinterfragen, denen sie anhaften. Sie weisen auch oft auf die Allianzen mit Rechtsextremen hin und auf den immanenten Antisemitismus von „Querdenken“ und Co. Ich denke, sie wollen die Hoheit darüber behalten, wie sie in der Öffentlichkeit stehen. Mit ihren ganzen Youtuber*innen und Medienaktivist*innen spielen sie Presse und versuchen einen friedlichen und bürgerlichen Schein zu wahren.

Außerdem sind in ihrem Glauben Journalist*innen ja Teil der Verschwörung. Wir würden die Fassade aufrechterhalten, während geheime Eliten die Welt im Verborgenen lenken.

Wie schätzt du die Entwicklung der Mobilisierungskraft und Gewaltbereitschaft des „Querdenken“-Milieus ein?

Also ich kann jetzt nur für Baden-Württemberg und speziell den Südbadischen Raum sprechen, aber die Teilnehmendenzahlen sind mit der weitestgehenden Aufhebung der Corona-Infektionsschutzmaßnahmen stark zusammengebrochen. Das erhoffte Ansteigen im Herbst bleibt bisher aus. Gerade versucht die Szene, von der Corona-Thematik wegzukommen und auf den „Friedens-Zug“ aufzuspringen. Wobei „Frieden“ in diesem Fall bedeutet, pro-russische Narrative zu bedienen. Durch die Energiekrise, Inflation usw. scheint es zwar Potential zu geben, dass solche Bewegungen wieder wachsen, gerade scheint aber die Luft raus zu sein und man sieht in Südwest-Deutschland seit Monaten eigentlich nur noch den harten Kern auf der Straße.

Die Gewaltbereitschaft finde ich schwierig einzuschätzen und es gibt mit Sicherheit auch regionale Unterschiede. Hier würde ich es eher unterschwellig einschätzen. Auf jeden Fall psychische Gewalt, Sprachgewalt usw. Und wie gesagt, diese Dynamik, wenn beispielsweise die selbsternannten Guten auf ihre Feindbilder treffen, da kann es schnell doch auch physisch werden. Ich denke auch, dass diese Szene eine dauerbrodelnde Sekte ist. Ich will jetzt nicht jede*n als potentielle Mörder*in darstellen, die*der da mitmacht. Gleichzeitig ist es schon passiert, dass ein Querdenker „ein Zeichen“ setzen wollte, in dem er einen Menschen erschießt. Das ist zwar ein Extrembeispiel, aber wenn ich mir das Wording einiger in den Telegramchats anschaue passt das schon auch gut ins Bild.

Könntest du den Angriff auf der Querdenken-Demo in Freiburg schildern?

Der Angriff war im September 2020. Auf einem zentralen Platz haben sich mehrere Hundert Demonstrant*innen zu einer verschwörungsideologischen Kundgebung versammelt. Ich wollte meiner Arbeit nachgehen, als mich mehrere Teilnehmende bemerkten und sofort anfingen, meine Arbeit zu stören. Der Rechtsextremist Robert H., der unter anderem durch einen Pfeffergel- und Messerangriff im Juni 2021 auf Antifaschist*innen, einen Ersthelfer und seine Frau bekannt ist, war auch darunter. Die Bedrohungen reichten von ganz nah vor mich stellen bis hin zu Bedrängungen. Ich verhielt mich defensiv, ging den Aggressoren aus dem Weg und versuchte, andere Perspektiven einzunehmen. Auf einer leicht erhöhten Empore wurde ich dann durch etwa vier Querdenker an den Rand gedrängt, während ich weiter Überblicksaufnahmen von der Kundgebung anfertigte. Claudia P., die auf der Bank vor der Empore saß bemerkte den Trubel hinter sich, stand auf und schlug mir unvermittelt gegen das Kamera-Objektiv. Die Gegenlichtblende fiel ab und etwas später merkte ich, dass durch den Schlag ein schwerer Verbindungsfehler zwischen Objektiv und Kamera entstanden ist.

Wie haben sich die anderen Demo-Teilnehmer*innen und die Polizei verhalten? Wurdest du geschützt oder unterstützt?

Die „Querdenken“-Aktivist*innen schienen sich mit der Täterin zu solidarisieren. Wobei eine Person tatsächlich versuchte beruhigend auf die Menge einzuwirken. Mit mäßigem Erfolg. Die Polizei verhielt sich eher passiv, nahm erst nach nachdrücklichem Auffordern die Anzeige auf. Sie zeigte nicht wirklich großes Interesse daran, die Presse zu schützen.

Eine Person, die das Versammlungsgeschehen offensichtlich kritisch beobachtete, rief den Querdenker*innen mehrmals zu, sie sollten aufhören meine Arbeit zu stören und bot sich mir als Zeug*in an.

Wie verlief die juristische Aufarbeitung der Tat und wie hast du das Gerichtsverfahren erlebt?

Ich wurde im Verfahren als Zeug*in geladen. Im Vorfeld habe ich mich durch eine Anwältin und die LEUCHTLINIE beraten lassen. Außerdem habe ich viel Arbeit in die psychische Vorbereitung auf den Gerichtstermin gesteckt. Claudia P. ließ sich vor Gericht durch den wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilten Ex-AfD-Politiker und Anwalt Dubravko Mandic vertreten und gab zu, Teil der „Querdenken“-Bewegung zu sein. Mandic versuchte, meine Stellung als Journalist zu untergraben, das gelang ihm aber nicht. Der Richter zweifelte zwar nicht, dass ich Journalist bin und in einem Arbeitsauftrag unterwegs war, hielt den Schlag gegen meine Kamera aber eher für eine Lappalie.

Ich hatte das Gefühl, dass der Richter hier von einem Streit zwischen zwei Parteien ausging, bei dem etwas zu Bruch gegangen ist. Nicht jedoch davon, dass meine Kamera beschädigt wurde, damit ich meine Arbeit einstellen muss.

Wurde im Verfahren die politische Dimension der Tat berücksichtigt?

Wie gesagt, nein. Es bestand kein Zweifel am Tathergang und der Tatsache, dass ich in der Situation nichts Falsches gemacht habe. Dass eine selbsternannte Querdenkerin durch einen Neonazi-Anwalt vertreten wird, war aber genauso wenig von Interesse, wie das fatale Signal, das durch die Einstellung des Verfahrens gesendet wurde.

Welche Auswirkungen hatte der Ausgang des Verfahrens für dich?

Ich war natürlich enttäuscht. Ich war 2 Jahre lang penetranten Anfeindungen ausgesetzt, wurde bedrängt, beleidigt, bedroht, geschlagen. Dass die Polizei nicht gerade viel daran setzte mich und meine freie Berichterstattung zu schützen, daran habe ich mich gewöhnt. Dass aber eine tätliche Querdenkerin Equipment eines Pressevertreters kaputtschlagen kann und damit quasi schuldfrei wegkommt, war für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Das wirkte, wie: „Querdenken“ und Rechte schlagen auf dich ein, Polizei schaut weg und das Gericht interessiert es nicht.

Ich war wütend und zugleich unsicher, ob es nicht an mir gelegen haben könnte, dass das Verfahren so ausgegangen ist. Derselbe Richter hatte jedoch in einem anderen Verfahren gegen Dubravko Mandic wegen gefährlicher Körperverletzung die Mindeststrafe verhängt, weil er ihm seine bürgerliche Fassade abkaufte. Wer so viel Tomaten auf den Augen hat, um das Schauspiel jener Person, die sich mittlerweile in offen rechtsextremen Kreisen tummelt, abzukaufen, der sieht auch kein Problem darin, dass Journalist*innen von Rechten geschlagen und ihr Equipment zerstört wird.

Der Ausgang des Verfahrens hat mich desillusioniert. Weder Polizei, noch die Justiz sind scheinbar bereit, die freie Berichterstattung zu schützen. Ich habe daraus die Konsequenz gezogen, an meinem Selbstschutz zu arbeiten. Es gibt gute Workshops für Journalist*innen, um sich in Risikoanalyse, Gefahrenabwehr usw. zu trainieren. Das half mir, die Arbeit an dieser Sache wieder aufnehmen zu können.

Inwiefern hat die Unterstützung durch den Opferfonds CURA dir geholfen? Gab es auch andere, zum Beispiel staatliche Unterstützungsstrukturen?

Mir hat CURA in erster Linie dabei geholfen, dass ich nicht auf den Kosten sitzenbleiben musste, die durch den Schaden und die Anwaltskosten entstanden sind. Die vorher erwähnte LEUCHTLINIE betreute mich direkt in Vorbereitung auf den Gerichtsprozess und Mitarbeiter*innen waren auch als Beobachter*innen anwesend. Durch beide Betroffenenorganisationen habe ich mich nicht alleine gefühlt. Es war und ist gut zu wissen, dass es Organisationen gibt, die rechte Gewalt ernst nehmen.

 

 

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