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„Erinnern heißt leben“ – Newsletter März 2021

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

 

nein, Hanau ist noch nicht vorbei. Eine intensive Berichterstattung am Jahrestag der Morde ändert noch lange nichts an den Versäumnissen der Politik. Das Versagen des Staates war schon nach den Morden des NSU sichtbar. Hanau ist ein Tatort, aber auch ein Symbol.

 

Rassistische Diskriminierung in der Schule, Hasskampagnen gegen Orte wie Shisha-Bars und Menschen, die sich dort treffen, weil sie anderswo immer nur Fremde sind, das Versagen der Polizei. Und eine Art des Umgangs mit den Opfern, die einem das Blut gefrieren lässt. Es ist befremdlich, wie Politiker bei den Gedenkveranstaltungen betonen konnten, dass sie sich nicht vorstellen können, was in Hanau geschah. Jeder mit offenen Augen weiß, was in Deutschland gerade passiert. Und jeder Mensch, der Kinder hat, kann sich den Schmerz der Eltern von Hanau vorstellen. Ich stelle mir nur vor, meine Tochter hätte in dem Cafe gesessen, schwatzend mit ihrer Freundin. Und dann wird sie erschossen. Keine Polizei ist vor Ort, die es hätte verhindern können und danach behandeln sie die Hinterbliebenen mit der größtmöglichen Kälte. Was daran ist nicht zu verstehen?

 

Wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft, die gestaltet werden muss. Als erstes, indem Rassismus ernst genommen und systematisch bekämpft wird! Geschieht das nicht, werden irgendwann die Folgen sichtbar. Diese Folgen bedeuten nicht nur, dass weitere Morde passieren. Das ist schlimm genug. Sie bedeuten auch, dass der Optimismus verloren geht. Die Hoffnung auf Veränderung in den Minderheiten-Communities verschwindet langsam.

 

Oder sagen wir es so: Gerade entstehen viele selbstorganisierte Organisationen und das ist großartig. Doch gleichzeitig schwindet ihr Optimismus, bald als gleichwertiger Teil der deutschen Gesellschaft wahrgenommen zu werden. In dieser, unserer Welt der Gleichzeitigkeiten, kommt es darauf an. In dieser, unserer Phase der gesellschaftlichen Entwicklung sollten die emanzipatorischen Kräfte besser und schneller sein, als diejenigen, denen es egal ist, oder die gar keine Einwanderungsgesellschaft wollen. Deshalb ist Hanau wichtig und alles, was wir daraus lernen.

 

Ein zentraler Satz im Jüdischen lautet: Erinnern heißt leben. Das bedeutet, dass menschliches Leben über allem steht. Es bedeutet, dass Erinnern uns auch etwas über den Fortschritt seither vermittelt. Es bedeutet, dass wir daraus lernen sollen. Ich würde gern sagen, dass es im Fall des Umgangs mit den Opfern von Hanau einen Fortschritt gibt, dass es einen Unterschied macht, weil wir ihre Namen sagen-  und nicht den des Täters. Doch um Enttäuschung und Eskalation bei all jenen aufzuhalten, die Rassismus und Antisemitismus als tiefstes Unrecht sehen, braucht es deutlich mehr als Tränen von Krokodilen.

 

Wir sind im Jahr der Bundestagswahlen. Die Frage, ob die Gesellschaft in Vielfalt nun wirklich gestaltet wird, ob Hindernissen wie Rassismus und Antisemitismus ernsthaft gegengesteuert wird, muss sich zeigen. Der Kern der Demokratie besteht darin, dass jeder Mensch vor dem Gesetz gleich ist, gleiche Würde hat und vor Diskriminierung bewahrt werden soll. Die zivile Gesellschaft bemüht sich darum nach Kräften – die Stiftung so wie sehr viele andere. Wir fördern Selbstorganisationen, Initiativen, die sich mit Rassismus und Antisemitismus auseinandersetzen. All diese Aktivitäten brauchen weiter Unterstützung. Aber nach der Regel der Gleichzeitigkeit eben auch alle staatlichen Institutionen. Das eine geht nicht ohne das andere. Denn sonst würden wir den Toten von Hanau ein weiteres Mal Unrecht antun, indem die Schwere des Mordes an den Opfern auf unbelehrbaren Boden fällt.

 

Herzliche Grüße

Ihre Anetta Kahane

Anetta Kahane. Foto: © Peter van Heesen

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