Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Fall Christopher W.: Gericht ignoriert Homofeindlichkeit als Tatmotiv

Einer der Täter, die Christopher W. getötet haben, im "Erik & Sons"-Pullover vor dem Landgericht Chemnitz.

Am Landgericht Chemnitz wurden am Freitag die Urteile gegen die drei Männer verkündet, die im April 2018 den homosexuellen Christopher W. brutal getötet hatten (BTN berichtete). Am Ende des Mordprozesses standen drei Verurteilungen wegen Totschlags. Sowohl die vorsitzende Richterin als auch der Staatsanwalt gingen am letzten Prozesstag nicht auf das mögliche Tatmotiv Homophobie ein.

Von Tim Mönch

Der Andrang vor dem Gerichtssaal war am Freitagvormittag so groß, dass nicht alle Zuschauer in den Saal gelassen werden konnten. Über ein Jahr nach dem brutalen Tötungsdelikt und sechs Monate nach Prozessbeginn wurden am Freitag die Urteile verkündet. Die 22-jährigen Angeklagten Stephan H. und Jens H. wurden wegen Totschlags zu jeweils 11 Jahren Gefängnis verurteilt. Einen Teil der Strafe werden beide in Erziehungsanstalten verbringen. Der dritte Täter Terenc H. (27) wurde zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, da ihm angelastet wird, die Tat geplant und die anderen beiden Täter angestachelt zu haben.

Staatsanwalt geht nicht auf mögliches rechtes Tatmotiv ein
In seinem ausführlichen Abschlussplädoyer hatte der Staatsanwalt Stephan Butzkies dargelegt, weshalb er die Schuld der Angeklagten als erwiesen ansehe, und hatte für Terenc H. sogar eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Mordes gefordert. Doch bei der Frage nach dem Motiv blieb der Staatsanwalt vage. Die Brutalität habe ihn darüber nachdenken lassen, zu was Menschen fähig sind: „Mir fehlen die Worte.“ Obwohl im Laufe des Prozesses mehrfach das rechte Weltbild der Angeklagten und insbesondere die homophobe Einstellung von Stephan H. thematisiert wurde, fand dies als mögliches Teilmotiv keinen Eingang in das Plädoyer des Staatsanwalts. Die Polizei hatte die Tat als rechtsextrem motiviert beschrieben.

Nach Prozessende erklärte Butzkies auf Nachfrage von belltower.news, dass zwar nicht von der Hand zu weisen sei, dass bei den Angeklagten rechtes Gedankengut vorherrsche, allerdings sei es im Rahmen der Tathandlung nicht direkt zu homophoben Äußerungen gekommen. Nur weil es im Vorfeld der Tat homophobe Tätlichkeiten gegenüber dem Opfer gegeben habe, müsse dies nicht unbedingt auch das Tatmotiv des Tötungsdelikts gewesen sein.

Andrea Hübler, Fachreferentin für Opferberatung des RAA Sachsen e.V., kritisierte die Aussagen des Staatsanwaltes als inhaltlich falsch. Die Homophobie der Angeklagten habe mehrfach im Prozess eine Rolle gespielt und es wäre Aufgabe des Staatsanwalts gewesen „zu prüfen, inwiefern das tatleitend gewesen ist“. Dies sei nicht ausreichend geschehen.

Extrem rechtes Menschenbild bei allen Angeklagten
Dabei finden sich bei allen drei Tätern zahlreiche Anhaltspunkte für ein extrem rechtes Weltbild. Jens H. präsentierte sich auf seiner Facebookseite im T-Shirt der verbotenen Rechtsrockband „Landser“ und verzierte ein weiteres Bild mit einer schwarz-weiß-roten Deutschlandfahne. Seine Fäuste, mit denen er Christopher W. während der Tat ins Gesicht schlug, sind mit den Worten „Game Over“ tätowiert. Der als Haupttäter verurteilte Terenc H. ist einschlägig vorbestraft. 2013 zeigte er in der Öffentlichkeit eine Hakenkreuztätowierung auf seinem Oberkörper und 2017 rief er antisemitische Parolen.

Am deutlichsten zeigte sich das rechte Weltbild bei Stephan H., der im Prozess von zahlreichen Zeugen als äußerst homophob beschrieben wurde. So soll Stephan H. zum späteren Opfer gesagt haben: „Wenn du mich noch einmal anschwulst, steche ich dir eine Flasche in den Hals.“ Sein ehemaliger Ausbilder berichtete, dass H. während der Arbeitszeit ein Hakenkreuz aus Sperrholz ausgesägt habe. In seinem Wohnheimzimmer bei der AWO, habe er regelmäßig laut Rechtsrock gehört. An allen Prozesstagen saß Stephan H. in Pullovern der rechten Kleidungsmarken „Erik & Sons“ oder „Thor Steinar“ im Gerichtssaal. Wenige Tage vor der Tötung verletzte er Christopher W. mit einem Cuttermesser am Arm.

Diese enorme Gewalt und Brutalität scheint im Umfeld der „Trinkerszene“ auf der Auer Postplatz jedoch alltäglich gewesen sein. Sowohl Täter als auch Opfer waren hier fast täglich und tranken große Mengen Alkohol. Dabei soll es mehrfach zu Übergriffen auf Christopher W. gekommen sein, bei denen ihm von den jetzt Verurteilten Geld für Alkohol und Drogen gestohlen wurde. Mehrfach beschrieben Zeugen, die ebenfalls täglich am Postplatz zugegen waren, diese Gewalt mit den Worten: „Normal halt“. Trotzdem blieb Christopher W. in diesem Umfeld, das trotz der alltäglichen Gewalt seinen Freundeskreis darstellte.

Urteilsbegründung: Tötung in „menschenverachtender Weise“
Die Richterin Simone Herberger sagte in ihrer Urteilsbegründung, dass Christopher bereits vor der Tat das Opfer gewesen sei. Er sei ein „außergewöhnlicher“ Mensch gewesen, der täglich von Terenc H., Jens H. und Stephan H. ausgenutzt worden sei. Zudem ging Herberger nochmals auf die besondere Brutalität der Tötung ein. „Sie haben einen Menschen in menschenverachtender Weise getötet“, sagte sie zu den Tätern. Die Bilder des Getöteten, auf den während der Tat 20 Minuten lang mit Gegenständen eingeschlagen wurde bis sein Schädel brach, würden sowohl die Täter als auch die weiteren Prozessbeteiligten ihr Leben lang in Erinnerung bleiben. Doch obwohl die Richterin die „menschenverachtende Weise“ betonte, ging auch sie nicht auf den rechten Hintergrund der Täter ein.

Hier übte Andrea Hübler erneut Kritik. Es sei verwunderlich, dass in der Urteilsbegründung nicht auf das Tatmotiv Homophobie eingegangen worden ist, obwohl dies während des Prozesses mehrfach im Raum stand. Zwar sei die Menschenverachtung der Tat gesehen worden, aber dies sei nicht in die juristische Bewertung umgesetzt worden.

Damit wird Christopher W. mutmaßlich nicht als Todesopfer rechtsextremer Gewalt in offiziellen Listen geführt werden, obwohl die Polizei die Tat so einordnete.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Belltower.News.

Weiterlesen

Tatort Bobstadt (Nicholas Potter)

Dokumentation des Falls Ingo K.: die gefährliche Militanz von Reichsbürger*innen

Über zwei Jahre ist es nun her, dass die polizeiliche Durchsuchung des militanten Reichsbürgers Ingo K. aus Bobstadt in einem Schusswechsel endete. Die Durchsuchung wurde veranlasst, um eine Waffe in Beschlag zu nehmen, für die Ingo K. keine Besitzerlaubnis mehr besaß. In seinem neuen Buch „Reichsbürger“ im Südwesten. Die Akte Ingo K. aus Bobstadt zeichnet Timo Büchner eindrucksvoll die Radikalisierung des Täters nach, beleuchtet rechtsextreme Allianzen zwischen Querdenker*innen und Reichsbürger*innen und verdeutlicht die gefährliche Militanz, die von dieser Szene ausgeht. Die Prozessbeobachtung wurde durch eine Projektförderung der Amadeu Antonio Stiftung ermöglicht.

trumplies-e1721671748532
Kommentar

US-Wahl: Gewonnen hat der Rechtsextremismus

Donald Trump ist die Galionsfigur einer rechtsextremen Internationalen. Er liefert das Playbook dafür, wie Demokratien von innen heraus zerstört und delegitimiert werden.

HP Beitrag(2)
Monitoring

Wahlfälschungsnarative, neue rechtsextreme Jugendkulturen und Desinfirmation: die extreme Rechte während des sächsischen Landtagwahlkampfs 2024

Wahlfälschungsnarative, wie wir sie sonst nur aus den USA kennen, TikTok Radikalisierung und das Erstarken einer neuen rechtsextremen Jugendkultur – die Landtagswahlen in Sachsen waren geprägt von verschiedenen rechtsextremen Vereinnahmungsversuchen.  Die Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen und das Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) an der Universität Leipzig analysieren im aktuellen EFBI Report die Strategien der rechtsextremen Szene in Sachsen während der Landtagswahlen. 

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.