Der Dokumentarfilm „dont stop motion“ erzählt die Erfahrungen von drei jungen Menschen, die aus Afghanistan, dem Iran und dem Irak nach Thüringen geflüchtet sind. Die Protagonist*innen touren mit dem Film, unterstützt durch die Amadeu Antonio Stiftung, durch Thüringen und laden dazu ein, rassistische Stereotype zu hinterfragen und sich gegen Ausgrenzung zu engagieren.
Von Vera Ohlendorf
Viele Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte erleben Diskriminierungen, Beleidigungen und Übergriffe. In Thüringen hat die Zahl der Fälle rassistischer Gewalt im vergangenen Jahr mit 106 registrierten Fällen und mindestens 210 betroffenen Personen einen historischen Höchststand erreicht. Alltagsrassistische Positionen sind verbreitet und normalisiert. Und das, obwohl der Anteil von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit 2023 an der Thüringer Bevölkerung bei nur 8,3 Prozent lag und damit weit unter dem Bundesdurchschnitt von 15,2 Prozent. In vielen ländlichen Gegenden gibt es kaum Möglichkeiten, die Perspektiven geflüchteter Menschen wahrzunehmen. Die Tour „Don’t stop motion“ will das ändern und Kontakt herstellen.
Der gleichnamige Dokumentarfilm ist 2021 entstanden. Zahra, Muntazar und Ahmad bringen ihre Erlebnisse mithilfe der Stop-Motion-Technik und der Unterstützung von fünf weiteren Jugendlichen selbst auf die Leinwand. In persönlichen Interviews und ausdrucksstarken Animationen berichten sie von der Flucht, dem Ankommen in Deutschland und von alltäglichen Herausforderungen, mit denen sie hier konfrontiert sind.
Animationstechnik macht Erfahrungen sichtbar, für die es keine Worte gibt
„Die Stop-Motion-Technik kommt sehr gut an, weil sie es möglich macht, Gefühle oder abstrakte, komplexe Dinge zu zeigen und aufzuarbeiten, für die es keine Bilder gibt und die anders nur schwer nachzustellen wären“, sagt Medienpädagogin Franziska, die das Filmprojekt und die Tour zusammen mit einem Kollegen ins Leben gerufen hat. Während eines Stop-Motion-Filmworkshops mit Geflüchteten in Griechenland 2019 erkannten beide, wie wichtig es ist, den Erfahrungen geflüchteter Menschen Raum und künstlerischen Ausdruck zu geben. „Selbstproduzierte Filme von Menschen mit Fluchterfahrungen sind besser geeignet, Vorurteile beim Publikum abzubauen als klassische Reportagen, die meistens über Geflüchtete sprechen und nicht mit ihnen“, sagt Franziska.
In ländlichen Räumen über Rassismus sprechen
Die Tour konzentriert sich auf kleinere Städte in ländlichen Regionen, in denen die Themen Flucht, Migration und Rassismus weniger präsent sind. Nach Stationen in Straußfurt, Gera, Meiningen, Altenburg, Gera, Greiz, Gotha und Neustadt an der Orla sind bis Ende 2024 weitere Termine geplant. Vormittags finden Workshops in Schulen statt, die Abendveranstaltungen sind für die breite Öffentlichkeit und ein eher erwachsenes Publikum geöffnet. Bei allen Veranstaltungen haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, mit einer der Hauptpersonen des Films direkt ins Gespräch zu kommen. Kreative Methoden wie das Basteln von Collagen und Freewriting regen die Jugendlichen während der Schulworkshops an, sich intensiv mit dem Gesehenen und Gehörten auseinander zu setzen. „Im letzten Jahr mussten wir feststellen, dass das Thema Migration in einem negativen Kontext eine größere Rolle im Wahlkampf, in den Medien und in der Kommunalpolitik gespielt hat als in den Jahren zuvor. Jugendliche haben das natürlich mitbekommen und öfter Vorurteile und rassistische Meinungen schon zu Beginn der Veranstaltungen geäußert. Es gab viel Diskussionsbedarf und wir haben viel Zeit dafür gebraucht, Falschaussagen zu hinterfragen“, sagt Franziska.
In vielen Klassen gebe es keine Person mit Flucht- oder Migrationsgeschichte und im Unterricht werde zu wenig über das Thema gesprochen. Die Gesprächsatmosphäre sei in allen Veranstaltungen aber offen und wertschätzend gewesen. Den Protagonist*innen des Films und deren Erfahrungen sei mit Respekt und Anerkennung begegnet worden. Der Perspektivwechsel wirkt: „Einige Schüler*innen haben uns nach den Workshops gesagt, dass sie nun anders auf das Thema blicken und ihr Verhalten ändern wollen. Das gibt uns richtig viel Energie“, so Franziska. Positives Feedback gab es auch nach den Abendveranstaltungen. Immer wieder nähmen Menschen mit Fluchterfahrungen teil, die in den Veranstaltungsorten lebten und so Gelegenheit hätten, über ihre eigenen Erfahrungen zu sprechen und auf offene Ohren zu stoßen.
Engagement unter schwierigen Bedingungen
Das Team zieht insgesamt ein positives Zwischenfazit. Der Film, die Workshops und die Diskussionsformate erlauben es dem Thüringer Publikum, rassistische Stereotype zu hinterfragen und eigene Privilegien zu reflektieren. Im Kleinen lassen sich Transformationsprozesse anstoßen. Das spricht sich herum: Immer mehr Schulen, soziokulturelle Zentren und Kirchengemeinden werden auf das Konzept aufmerksam und fragen Veranstaltungen nach. Eine digitale Veröffentlichung des Films ist nicht geplant. „Es braucht den Rahmen, den wir mit den Gesprächsformaten gemeinsam mit den Protagonist*innen bieten, um etwas zu verändern“, sagt Franziska.
Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen haben das Team nicht überrascht. Die Arbeit geht unter erschwerten Bedingungen weiter. Je menschenfeindlicher der politische Diskurs geführt wird, desto wichtiger ist es, die Perspektiven von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichten sichtbar zu machen, diese Menschen wirksam vor Gewalt zu schützen und sich gegen Rassismus zu engagieren. „Die Wahlen haben bei den Geflüchteten, mit denen wir arbeiten, ein Gefühl der Ohnmacht ausgelöst. Teilweise haben die Menschen kaum noch Energie, nach draußen zu gehen“, sagt Franziska. Es sei jetzt wichtig, eine kurze Pause einzulegen, sich gegenseitig zu stärken und füreinander da zu sein. Danach müsse man mit neuer Kraft über Strategien nachdenken, um Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte in Thüringen zu schützen und zu empowern. Weitere Filme und Kreativangebote sind in Planung, trotz der aktuell unsicheren Förderaussichten.