Bundesweit setzen sich viele Menschen für Demokratie, gegen Rechtsextremismus und menschenfeindliche Ideologien ein. Die Amadeu Antonio Stiftung fördert und unterstützt sie dank zahlreicher Spender*innen.
Ein ereignisreiches Superwahljahr liegt hinter uns und hat deutlich gezeigt: Rechtsextreme Normalisierung ist Realität – nicht nur in Ostdeutschland. Desinformationen und Verschwörungserzählungen verbreiten sich on- und offline. Rassistische Ressentiments um die Themen Asyl und Abschiebungen beherrschen die Debatten. Antisemitische Angriffe nehmen seit dem 7. Oktober 2023 extrem zu.
Aber: Der Gegenwind gegen Hass und Hetze ist stark! Im Jahr 2024 haben wir bundesweit 229 Projekte der demokratischen Zivilgesellschaft gefördert, die sich wirksam gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und für eine solidarische demokratische Gesellschaft engagieren. Denn: Demokratische Standards wie Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz, Achtung der Grundrechte und soziale Gerechtigkeit sind nicht verhandelbar!
Wir danken allen Engagierten in den Projekten für ihren unermüdlichen Einsatz.
Mit dem Gegenwind – Förderfonds für Ostdeutschland haben wir 2024 einen Schwerpunkt auf die Förderung von Demokratieprojekten, öffentlichkeitswirksamen Kampagnen, Bildungsangeboten und Vernetzungen gelegt, die sich vor und nach den Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen in Ostdeutschland gegen rechtsextreme Menschenfeindlichkeit stark gemacht haben. Über 120 Initiativen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben Demokratiefeste organisiert, neue lokale Bündnisse geschlossen, über Formen und Folgen von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus aufgeklärt, Schutzräume und Empowerment für migrantisierte oder geflüchtete Menschen etabliert oder sich mit CSDs und anderen Veranstaltungen gegen Antifeminismus und Queerfeindlichkeit positioniert. Viele Engagierte haben Projekte entwickelt, die Sprachlosigkeit, Resignation, und soziale Kälte mit niedrigschwelligen Begegnungsformaten und positiven Visionen für ein solidarisches Miteinander bekämpften.
Die meisten Gegenwind-Projekte wurden in Sachsen und Thüringen umgesetzt. Die durchschnittliche Fördersumme betrug 2.648 Euro.
Die folgenden Projekte stehen beispielhaft für das vielfältige, meist ehrenamtlich getragene Engagement:
Dorfliebe für alle! Im Saale-Orla-Kreis in Thüringen hat eine Gruppe engagierter Menschen im Frühling und Sommer zu Demokratiefesten eingeladen. Im Superwahljahr fanden so bei Konzerten, Poetry Slam und gemeinsamem Essen viele Menschen aus allen Altersgruppen zueinander, die sich sonst kaum begegnet wären. Die Ehrenamtlichen planen aktuell neue Freizeitangebote für Frauen mit und ohne Migrationsgeschichte.
In der sächsischen Kleinstadt Döbeln gibt es nur wenige Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche. Die Situation hat sich 2023 mit dem Abriss der selbstverwalteten Skatehalle noch verschlechtert. Der Treibhaus e.V. hat eine Bedarfsstudie in Auftrag gegeben und ein Jugendforum organisiert. Jugendliche wurden eingeladen, ihre Forderungen zu formulieren. Sie wünschen sich mehr selbstverwaltete Räume, nutzbarere Grünflächen und bessere Bahnanbindungen nach Leipzig und Dresden. Die Ergebnisse fließen in weitere Projekte des Treibhaus e.V. ein und werden mit dem Stadtrat und der Stadtverwaltung diskutiert.
In Bautzen ist mit „Happy Monday“ ein breites Bündnis aus über 50 Initiativen entstanden, das von April bis September zu vielen Demokratiefesten mit viel Kunst, Kultur, Sport und Konzerten eingeladen hat. Ziel war es, der rechtsextremen „Montagsdemonstration“ öffentliche Plätze streitig zu machen. Hass und Hetze setzten die Engagierten aus soziokulturellen Einrichtungen, Tanzschulen, Chören, sorbischen Kulturvereine, Stadtteilgruppen, Trägern der Jugendhilfe, Bildungsstätten, Jugendverbänden, Sport, Kirchen und Parteien die Vision eines vielfältigen, demokratischen Miteinanders entgegen. Das Bündnis ist im Landkreis einzigartig und plant weitere Projekte.
Der Christopher Street Day (CSD) in Sonneberg, der im Juli zum ersten Mal stattgefunden hat, steht exemplarisch für viele Projekte gegen Antifeminismus und Queerfeindlichkeit, die wir 2024 gefördert haben. Bundesweit sehen sich auch queere Menschen zunehmend mit Anfeindungen und Gewalt konfrontiert. Der CSD setzte mit über 600 Teilnehmenden ein deutliches Zeichen für mehr Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Viefalt. Mit Unterstützung von queeren Aktivist*innen aus Coburg ist danach eine Gruppe für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche, nicht-binäre und queere Menschen in Sonneberg entstanden, eine Vereinsgründung ist in Planung.
Immer mehr Initiativen und Projekte wurden im Lauf des Jahres durch Rechtsextreme angegriffen, so dass der Bedarf an Sicherheitsmaßnahmen, zum Beispiel bei der Absicherung von Veranstaltungen, deutlich gestiegen ist. Dank Spenden konnten wir solche Maßnahmen für 15 Projekte in Bautzen, Erfurt, Plauen, Görlitz, Taucha, Werdau, Glauchau, Potsdam, Waltershausen, Jena, Leipzig und Chemnitz finanzieren.
Wir bedanken uns bei allen Spender*innen und der Bürgerbewegung Campact, die den Gegenwind-Förderfonds möglich gemacht haben.
Weitere 100 Projekte engagierten sich bundesweit gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus
Die reguläre Förderung zusätzlich zum Gegenwind-Fonds war 2024 ähnlich stark nachgefragt. Bis zu 2.500 EUR konnten Initiativen aus allen Bundesländern beantragen, die sich für eine kritische Erinnerungskultur an die Verbrechen des Nationalsozialismus, den Holocaust oder rechtsextreme Gewalt nach dem 2. Weltkrieg einsetzten, gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus aktiv wurden und Betroffene von Gewalt schützten. Die durchschnittliche Fördersumme betrug 1.740 Euro.
Die folgenden Beispiele zeigen die Vielfalt der ambitionierten Projekte:
Wer schreibt, bleibt! Junge Rom*nja und Sinti*zze sind in Berlin rassistischen Übergriffen ausgesetzt, sowohl in der Schule als auch auf der Straße. In einem Sommerferienworkshop für kreatives Schreiben des Kelipen e.V. fanden Jugendliche Kraft und Empowerment, ihre Sichtweisen und Forderungen nach gesellschaftlicher Teilhabe, Rassismusabbau und sozialer Gerechtigkeit zu Papier und in die Sozialen Medien zu bringen. Einige Ideen sind in das Stück „Rom*niX“ des Rom*nja Theaterkollektivs eingeflossen.
Um die politische Teilhabe von Migrant*innen im Brandenburger Landkreis Barnim zu erhöhen, hat ein Projekt der Bürgerstiftung Barnim-Uckermark Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft dazu motiviert, sich für den Beirat für Migration und Integration zur Wahl zu stellen oder vom aktiven Wahlrecht Gebrauch zu machen. Verschiedene Workshops informierten über kommunalpolitische Themen und die Beiratsarbeit und erleichterten die Selbstorganisation von migrantisierten Personen. Die Beiratswahl hat im Dezember erfolgreich stattgefunden.
Soziokulturelle Zentren und andere Kultureinrichtungen sind in Leipzig seit dem 7. Oktober 2023 immer häufiger mit Anfragen von politischen Gruppen konfrontiert, die antisemitische Überzeugungen vertreten, den Terrorismus der Hamas verharmlosen und das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Insbesondere Einmietungsanfragen solcher Gruppen stellen Kulturakteur*innen vor Herausforderungen. Das Projekt des Pöge-Haus e.V. bietet den Einrichtungen Workshops und Beratung zu aktuellen Formen des Antisemitismus und Gegenstrategien an.
Der Kermit e.V. erinnerte im September mit einer Podiumsdiskussion in Nürnberg mit den Hinterbliebenen Semiya Şimşek und Gamze Kubaşık sowie Überlebenden an die Verbrechen des rechtsterroristischen NSU. Zwischen 2000 und 2007 ermordete die Gruppe zehn Personen aus rassistischer Motivation und verübte Sprengstoffanschläge in Köln und Nürnberg.
Ausblick 2025 – so geht es weiter
Die Nöte und Bedarfe der demokratischen Zivilgesellschaft wachsen, im Westen und im Osten. Immer mehr Initiativen berichten von Kleinen Anfragen in den Landesparlamenten, die auf Fördermittelkürzungen abzielen, von Diffamierungen ihrer Arbeit in Social Media-Kanälen, von Zerstörungen an Gebäuden, persönlichen Beleidigungen, Drohungen und Gewalt. Immer weniger Initiativen können sich durch den wachsenden Einfluss der AfD und durch unsichere Haushaltslagen in Bund, Ländern und Kommunen auf öffentliche Fördergelder verlassen.
Ehrenamtliche und hauptamtliche Engagierte müssen demokratiefördernde Basisarbeit weiterhin in der Fläche leisten können, um einem weiteren Aufstieg rechtsextremer und autoritärer Kräfte entgegenzuwirken.
Wir wollen den Gegenwind – Förderfonds gegen Rechtsextremismus deshalb 2025 fortführen und auf einige westdeutsche Bundesländer mit Regionen hoher Zustimmungswerten zu rechtsextremen Parteien ausweiten.
Der allgemeine Fonds der Amadeu Antonio Stiftung wird weiterhin bundesweit Projekte fördern, die kritische Erinnerungskulturen pflegen, Kontinuitäten benennen, Perspektiven und Empowerment von Betroffenen in den Mittelpunkt stellen und Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und andere Formen gruppenbezogener Menschlichkeit bekämpfen.
2024 haben wir insgesamt 510.000 Euro für die Projekte zur Verfügung stellen können. Um unsere Förderung bundesweit fortsetzen zu können, benötigen wir Ihre Spenden! Helfen Sie uns, Hass und Hetze wirkungsvoll zu bekämpfen!