Von Charlotte Sauerland und Franziska Schindler
In Thüringen geht der Wahlkampf in die heiße Phase. Am 27. Oktober entscheiden die Bürger*innen über die Sitzverteilung im Erfurter Parlament. Es steht viel auf dem Spiel: In ihrem Wahlprogramm erklärt die AfD-Landtagsfraktion, dass sie das Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit abschaffen will. Konkret bedeutet das das Ende zivilgesellschaftlicher politischer Bildungsarbeit im Land. Und auch wenn eine Koalition mit der rechtsradikalen Partei auf Landesebene nicht zustande kommt, bekommen ihre Positionen durch Stimmengewinne mehr Gewicht.
Aber wie gelingt es, dass die rechtsradikale Partei nicht wieder die Themen des Wahlkampfs dominiert und Definitionsmacht über die Herausforderungen im Land erhält? Wie kann ein Gespräch mit Menschen beginnen, die sich abgehängt und von demokratischen Parteien nicht repräsentiert fühlen? Wie können die Welten, die manchmal zwischen Stadt und Land zu liegen scheinen, überwunden werden?
Die Engagierten in Thüringen haben Antworten gefunden. Wer in diesen Wochen die Marktplätze der Region besucht, den erwartet viel mehr als AfD-blau und Schwarz-rot-gold. Es ist viel los, es ist bunt, wer sich den Plätzen nähert, hört Stimmengewirr. Die Konzert- und Marktplatztour „Wannwennnichtjetzt“ macht in verschiedenen Orten in Thüringen Station. „Wir wollen mit unserer Tour den Rechtsextremen eine breite Palette an eigenen, progressiven Themen entgegen setzen“, erklärt Till, der den Tour-Stopp in Saalfeld maßgeblich mitorganisiert hat. Es geht darum, ins Gespräch zu kommen – darüber, was die Menschen bewegt. Die Themen der Lesungen, Vorträge und Workshops reichen von der Rolle der Treuhand in den 1990ern über die Klimakrise bis hin zur Finanzierung der örtlichen Krankenhäuser.
Nach den langen Vorbereitungen ist Till begeistert: „Wir haben ein halbes Jahr auf diese Veranstaltungen hingearbeitet. Viele Leute waren auf dem Markt, auch Laufpublikum. Die Workshops haben gut funktioniert, die Konzerte waren gut besucht. Es war super!“ Er betont, wie wichtig der Austausch zwischen Engagierten in der Stadt und im ländlichen Raum ist: „Die Leute aus den Städten sind mal aus ihrer Blase rausgekommen. Und für die Leute vor Ort bedeutete das viel praktische Solidarität.“
Auch der Landesfrauenrat Thüringen tourt in diesen Wochen durchs Land. „Nächsten Mittwoch geht’s los“, freut sich Mitarbeiterin Evelyn Kranz. „Wir fahren zu Frauenhäusern, Familienzentren, Gleichstellungsbeauftragten und Frauenberatungstellen in ganz Thüringen und verteilen dort die Flyer unserer Kampagne Rechts ist keine Alternative.“ Die Liste der Orte ist lang: Schmölln, Altenburg, Bad Frankenhausen, Nordhausen, Mühlhausen, Bad Langensalza, Jena, Suhl, Ilmenau, Eisenach, Rudolstadt, Greiz, Gera. Nicht nur die großen Städte anzusteuern ist dem Landesfrauenrat nach den Erfahrungen bei der Europawahl wichtig: „Sobald man aus der Stadt raus war, waren nur noch AfD- und NPD-Plakate zu sehen“, berichtet Projektleiterin Ilona Helena Eisner. „Dem wollten wir etwas entgegensetzen.“ Ihre Botschaft ist klar: mit der Vertretung von Fraueninteressen haben die Vorschläge im Wahlprogramm nichts zu tun.
Unabhängig davon, wer wieviele Stimmen bekommen wird – die Menschen in Thüringen sind ins Gespräch gekommen. Die Engagierten vor Ort haben gezeigt: Wir wollen, dass sich hier alle zu Hause fühlen können – egal wo sie herkommen, welcher Religion sie angehören oder welche Hautfarbe sie haben. Damit haben sie viel Zuspruch erfahren. Und gehen gestärkt in die nächste Runde.
Die Amadeu Antonio Stiftung hat im Vorfeld der Landtagswahlen zahlreiche Projekte für Demokratie und Vielfalt in Thüringen unterstützt. Wenn Sie uns dabei helfen wollen, die Zivilgesellschaft vor Ort zu stärken, freuen wir uns über Ihre Spende!