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Interview

Digital Streetwork – pädagogische Arbeit im Netz

Christina Dinar leitet das Projekt debatefür digitale demokratischen Kultur (vormals no-nazi.net) und entwickelt gemeinsam mit Kolleg_innen Online-Präventionsansätze sowie Konzepte zu Digital Streetwork. Sie studierte Soziale Arbeit sowie Theologie, Kulturwissenschaften und Gender Studies in Berlin und Israel. Im Interview sprach sie über Chancen pädagogischer Arbeit im Netz.

 

Das Internet und die damit einhergehende „kommunikative Revolution“ unserer Gesellschaft werden von Euch als Zäsur für die zivilgesellschaftliche Arbeit beschrieben. Ist der pädagogische Auftrag im digitalen Raum ein anderer?

In den Sozialen Netzwerken aktiv zu sein ist nichts ausschließlich Jugendliches – mit geringem Aufwand kann jede_r dabei sein und sich beteiligen. Das war ja gerade das revolutionäre Moment am digital turn! Hierarchien wurden auf einmal ganz flach und die Macht lag bei vielen. Deswegen wird um diesen Raum gerade auch politisch verhandelt. Wie wichtig er geworden ist, sehen wir momentan in der Debatte um sogenannte Fake News beziehungsweise Desinformationen, die im Netz geteilt werden und für den kommenden Wahlkampf, aber auch ganz allgemein für die Meinungsbildung eine große Rolle spielen – insbesondere bei Jugendlichen.

Der pädagogische Auftrag in der Jugendarbeit ist dabei immer noch derselbe: Jugendliche in ihren Wünschen nach Selbstbestimmung und in ihrer Entwicklung zu stärken, ihre Partizipationsmöglichkeiten zu erhöhen und sie über ihre Rechte und auch ihre Pflichten zu informieren. Als das Netz zum Massenkommunikationsmittel wurde – insbesondere durch die Sozialen Medien – haben auch Jugendliche davon profitiert. Sie haben sich neue Räume und Kommunikationswerkzeuge erschlossen, die sie für sich und ihre Themen nutzen. Das muss in der Pädagogik berücksichtigt werden.

 

Was hat sich konkret für Pädagog_innen verändert?

Der Ort der Ansprache und Kommunikation hat sich verändert und wurde um einen teil-öffentlichen Raum ergänzt. Pädagog_innen können und sollten diesen für ihr jeweiliges Arbeitsfeld nutzen. Das Schöne daran: Die Möglichkeiten, die sich damit für die Jugendarbeit auftun, sind extrem vielfältig: Ich kann das Web zur besseren Vernetzung und Selbstorganisierung von ehrenamtlichen Jugendprojekten nutzen; ich kann über Workshops zu Technik und Programmierung mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen und das Internet als empowernden Ort vermitteln, aber auch in konkreter pädagogischer Gruppenarbeit das dort vorhandene Konfliktpotential herausarbeiten, die Jugendlichen auf diese Weise für ihre eigene Mediennutzung sensibilisieren und so beispielsweise Hate Speech und Cybermobbing entgegenwirken.

Online-Kommunikationsformen unterscheiden sich von denen, die offline genutzt werden. Auch die Form der Ansprache ist dadurch eine andere. Es gibt viele Sozialarbeitende und Erzieher_innen, die über eine solche (schriftliche) Kommunikation vielleicht einen besseren Zugang erreichen, als es im persönlichen Gespräch möglich wäre – vor allem zu bestimmten Themen. Derzeit hängt das vor allem von der individuellen Bereitschaft ab, sich für die pädagogische Arbeit im Netz fit zu machen. Leider gibt es bisher noch keine Standards, was das pädagogische Handeln im Netz konkret umfasst und worauf man achten sollte, wenn man sich als Pädagog_in diesen Raum erschließen möchte. Daran arbeiten wir bei unserem Projekt debate//.

 

Welche Voraussetzungen brauchen Pädagog_innen, um im digitalen Raum soziale Arbeit leisten zu können?

Sie müssen sich das Feld Social Web und Netzkultur sowie deren spezifische Kommunikations- und Ausdrucksformen erschließen. Die technischen Zugänge sind inzwischen sehr niedrigschwellig gestaltet, trotzdem ist es gut und wichtig zu verstehen, wie Dinge im Web aufgebaut sind, was die Grundlagen einer Website, App oder auch das Programmieren ausmacht. Und das, ohne dass ich da ein Vollstudium als berufstätige Praktikerin hinlegen muss! Wir vergessen häufig, dass sich bisher alle Menschen, einkommens- und bildungsübergreifend, die Nutzung Sozialer Netzwerke ohne Zugangsstandards erschlossen haben – zumeist autodidaktisch oder mit Hilfe aus dem Bekanntenkreis. Überlegen Sie sich selbst mal, wie Sie sich den ersten Email-Account eingerichtet, das Onlineshopping oder die Nutzung von Messenger-Diensten gelernt haben?

 

Es ist doch aber kaum möglich, mit aktuellen jugendkulturellen Phänomenen Schritt zu halten? Wie kann eine pädagogische Auseinandersetzung unter diesen Umständen gut funktionieren?

Jugendkulturen haben weit weg von elterlichen oder pädagogischen Zugriffen ihre „Orte“ entwickelt. Das war gewissermaßen schon immer so. Seit den 2000er Jahren nun haben sich solche subkulturellen Prägungen mit der Nutzung des Internets verquickt und zum Aufstieg der „Nerd“-Kultur geführt. Da Jugendkulturen immer auch Ab- und Vorbilder aus den Subkulturen beziehen und wieder neu zusammensetzen, muss Jugendarbeit das im Blick haben. Die sogenannten Nerds sind vielfältig: Gamer, Youtuber, Hacker und andere bieten Anknüpfungs- und Identitätsangebote für junge Menschen. Sich damit zu beschäftigen, was Jugendliche bewegt und warum, finde ich als Pädagogin wichtig. Wir bereiten deswegen im Projekt debate//de:hate netzkulturelle Phänomene für Pädagog_innen auf, um ihnen dabei zu helfen, sich besser damit auseinanderzusetzen. So gibt es zum Beispiel seit März eine Broschüre zu Memes – einer typischen und beliebten Netztechnik, die gern auch von Jugendlichen verwendet wird. Darin geben wir Anleitungen, wie das Thema in der Jugendarbeit oder Schule aufgegriffen werden kann.

 

Das Grundprinzip der Gleichwertigkeit von Menschen und der Respekt vor Persönlichkeitsrechten scheinen in Sozialen Medien deutlich weniger zu gelten und werden oft explizit in Frage gestellt. Was sagt uns das?

Allgemein sind wir dazu aufgerufen, Debattenkultur zu gestalten und Grundlegendes klarzustellen: Wie unterscheide ich Tatsachen von Meinungen? Welchen rhetorischen Stilmitteln begegne ich? Wie bilde ich meine Meinung? Was sind meine Quellen? Es ist die Aufgabe der gesamten digitalen Zivilgesellschaft, also aller User_innen, wieder aktiv zu werden und die Diskussionskultur mitzubestimmen, demokratische Werte zurückzuholen und sich Betroffenen und Minderheiten gegenüber solidarisch und schützend zu verhalten.

 

Gibt es viele Menschen, die sich auch digital engagieren?

Definitiv. Die Gruppe #ichbinhier ist nur eines von vielen Beispielen: Inzwischen ist diese tolle Initiative auf 28.000 Mitglieder angewachsen – alles Menschen, die etwas tun wollen, damit Hass und Hetze sich nicht unwidersprochen in Kommentarspalten breit machen. Stattdessen soll das Diskussionsklima positiv verändert werden, damit auch die stillen Mitleser_innen sich wieder wohlfühlen und trauen, an Diskussionen und Debatten teilzunehmen. Wenn viele den Mut zeigen, sich für eine sachliche, faktenbasierte Debatte einzusetzen, ändert das etwas an dem gesamten Sozialraum Internet, und die Enthemmung bei jenen, die mal eben ihren Hass im Netz Luft machen wollen, sinkt.

 

Was bietet debate//de:hate Menschen an, die sich zu diesen Themen informieren wollen?

Wir stellen Informationen und Hintergründe zu aktuellen digitalen Phänomenen bereit, die im Zusammenhang mit Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stehen. Unser praktisches Material richtet sich vor allem an Pädagog_innen und Lehrpersonal, Eltern und engagierte jugendliche Multiplikatoren.

Die Informationen, Zahlen und Fakten aus unserem qualitativen Monitoring sind aber für alle Interessierten gedacht, die sich mit digitalen Phänomenen beschäftigen und sich zum Beispiel fragen: Wie sehen die Netzwerke online aus? Wer streut wo Hass? Welche Themen werden verschleiert gesetzt, um Stimmung gegen Medien, Politiker_innen und auch Wissenschaft zu machen? Welche Narrative werden von rechtspopulistischen oder rechtsextremen Gruppierungen verbreitet und erzählt? Und warum sind manche Narrative besonders wirksam? Diese Mechanismen besser zu verstehen, kann ein erster Schritt sein, ihnen vorzubeugen oder langfristig Einhalt zu gebieten. Dabei hilft ab sofort auch unsere neue Webseite: debate-dehate.com – sämtliche Veröffentlichungen von uns sowie Interviews mit Expert_innen und themebezogene Hinweise finden sich dort.

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We proudly present: SwipeAway!

Hass und Hetze im Videoformat? Das neue Online-Selbstlerntool SwipeAway hilft, genauer hinzuschauen: Welche Trends werden für die Verbreitung menschen- oder demokratiefeindlicher Erzählungen genutzt? Hinter welchem TikTok-Tanz versteckt sich eine politische Botschaft? Und wie können bekannte Formate für gesellschaftskritische Aufklärung oder die Sichtbarmachung marginalisierter Perspektiven genutzt werden?

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