„Demokratie in Fahrt“: Unter diesem Motto hat die Vernetzungsstelle „Orte der Demokratie“ vom Netzwerk für Demokratische Kultur in Wurzen eingeladen. Was dabei herauskam: eine zweitägige Bustour durch Sachsen Mitte August, unterstützt durch die Amadeu Antonio Stiftung. Von Dresden ging es ins Vogtland und weiter durch das Erzgebirge bis nach Leipzig. Insgesamt stoppte der Bus an fünf Haltestellen. Von Sonnenschein bis Regen, von Optimismus und Tatendrang bis Zynismus und Katerstimmung war alles dabei. Ganz besonders spannend: die Vielfalt an Menschen vor Ort. Von einer politischen Opernsängerin bis zu Punks, die statt Räume zu besetzen, diese selbst gekauft haben. Auch wenn die Menschen und ihre Projekte so vielfältig sind, haben sie eines ganz sicher gemeinsam: ihr unermüdliches demokratisches Engagement.
Von Josephine Köhne
„Demokratie findet überall statt“
Mit diesem einleitenden Motto von Martina Glass von der Vernetzungsstelle geht die Fahrt zu den Orten der Demokratie los. Das gleichnamige Förderprogramm des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung will demokratische Räume für alle zugänglich machen. Denn: „Eine lebendige Demokratie lebt vom Mitmachen, vom Austausch, von der Auseinandersetzung – auch und gerade abseits der Parlamente“, beschreibt die zuständige Ministerin Katja Meier den Bedarf der geförderten Projekte. Sie erklärt, dass Menschen sich um die Demokratie sorgen, weil sie immer mehr „Spaltungen, Ausgrenzungen und Konflikte erleben“. Die gesellschaftliche Beteiligung scheint vor allem im ländlichen Raum immer weniger zugänglich und weniger Teil des alltäglichen Lebens zu sein. Jugendliche wandern in Großstädte ab und die Infrastruktur leidet: Es fehlt an Räumen zum Zusammenkommen und Vielfalt zu erleben.
2022 startete das Förderprogramm mit 13 Orten, die über drei Jahre hinweg eine Förderung erhalten, darunter auch das Netzwerk für Demokratische Kultur Wurzen. In diesem Jahr sind sechs weitere Orte der Demokratie dazugekommen. Orte, die zum Austausch einladen, die Menschen zusammenbringen und zeigen, wie Miteinander statt Spaltung funktioniert. Doch ob dieses Förderprogramm auch zukünftig bestehen bleibt, ist noch eine offene Frage. Doch wie notwendig das vor allem vor dem Hintergrund der rechtsextremen Landnahme wäre, um politische Bildung und Demokratiearbeit, insbesondere im ländlichen Raum, zu erhalten, wird auf der Rundreise von Station zu Station deutlicher.
Martina Glass und Siri Pahnke von der Vernetzungsstelle organisierten die Reise mit dem Ziel, sich gegenseitig zu empowern, inspirieren und auszutauschen. Mit an Bord 25 Teilnehmende: größtenteils Menschen aus der politischen Bildung, teils im Kontext ihrer Arbeit, teils aus ehrenamtlichem Engagement. Mit Fragen im Kopf wie: Was braucht es um demokratische Räume zu etablieren? Wie sollten diese Räume aussehen? Was brauchen die Menschen vor Ort um zusammenzukommen?, fährt der Bus los, um Antworten einzusammeln.
Frauenpower in Rodewisch
Der erste Stopp auf der Reise durch Sachsen ist das ROWI Labor in Rodewisch. Kerstin Schöniger, die Bürgermeisterin der etwa 6000 Einwohner*innen umfassenden Kleinstadt, steht zur Begrüßung bereit. Denn das Besondere am ROWI Labor: Es ist an die Stadtverwaltung und das ROWI Stadtbüro angegliedert. Etwas Besonderes: Denn im Gegenteil wird manchen anderen Demokratieprojekten von den kommunalen Strukturen vor Ort sogar Steine in den Weg gelegt.
Im Wechsel erzählen Kerstin Schöniger und Babett Ludwig, Citymanagerin von Rodewisch, mehr über das ROWI Labor. Dass beide für die demokratische Arbeit vor Ort brennen, wird sofort ersichtlich. Vor allem die Bürgermeisterin bleibt durch ihre kämpferische und engagierte Art allen Teilnehmenden im Gedächtnis. Der Ort ist geprägt von wahrer Frauenpower, denn auch für die diesjährigen Kommunalwahlen trat mit „Gemeinsam für Rodewisch“ eine rein weibliche Liste an. Drei der fünf Frauen wurden in den Stadtrat gewählt. Damit liegt die Frauenquote im Rodewischer Stadtrat bei 50 %. Auch die Idee zur rein weiblichen Liste entstand im ROWI Stadtbüro.
Raum für Vielfalt und Zukunft
Erst in diesem Jahr eröffnet, zeichnet sich das ROWI Labor durch eine Vielfalt und Menge an Angeboten aus, die größtenteils kostenlos sind. Im Labor wird ausprobiert und herumexperimentiert, was die Bürger*innen von Rodewisch gemeinsam an einen Tisch bringt. Alt und Jung, geflüchtet oder alteingesessen. Ein Begegnungsort für alle, um Verständnis für das Gegenüber zu schaffen, benennt Citymanagerin Babett Ludwig die Wichtigkeit des Ganzen. Bisher wird das Angebot außerordentlich gut angenommen: von Kinoabenden, gemeinsamen Radtouren bis zum monatlichen Seniorencafé. Das Ziel des ROWI Labors: „Wir machen unsere Stadt zukunftsfähig!“. Laut Babett Ludwig ist es sogar ein „niederschwelliges Rathaus“, denn neben den Veranstaltungen kommen Menschen mit ihren alltäglichen Belangen dorthin. Sei es Hilfe bei der Steuererklärung, Unterstützung älterer Menschen bei ihrer Medienkompetenz oder einfach nur bei der Frage: „Wo kriege ich gelbe Säcke her?“. Doch auch bei größeren Anliegen finden die Rodewischer*innen dort Gehör. Denn der Ort wird auch für Sprechstunden mit der Bürgermeisterin, Stadträten oder dem Bürgerpolizisten genutzt.
Von Sonnenschein zu Regen
Beseelt von den Eindrücken aus Rodewisch, geht es weiter nach Aue-Bad Schlema. Doch so schnell wie das Wetter wechselt, wechseln auch die Gegebenheiten vor Ort. Es regnet. Anders als in Rodewisch, hat die Demokratiearbeit in Aue-Bad Schlema mit größeren Hürden zu kämpfen. Nach der Ankunft gibt es erstmal einen kleinen Stadtrundgang, um zu zeigen, was es so gibt oder was eben fehlt. Wir starten an einem Skatepark, normalerweise ein Hotspot für Jugendliche. Doch nicht dort: Denn wie uns Felix Sell vom Kompetenzzentrum für Gemeinwesenarbeit und Engagement e.V. (KGE) erzählt, sind die Rampen auch bei gutem Wetter leer. Kein Wunder, denn der Ort ist trist. Am eindrücklichsten und auch abschreckend ist eine große Tafel mit vielen Regeln. Vom Skatepark aus geht der Blick direkt auf eine Polizeiwache.
Weiter geht es durch einen zentral gelegenen, aber leeren Park. Auch bei schönem Wetter soll hier nicht viel los sein. Denn auf den einladenden Wiesen zu sitzen oder zu spielen, sei von Teilen der Einwohnerschaft nicht gerne gesehen. Ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten, wie uns erklärt wird: Rasen betritt man nicht. Der Rundgang endet am Herzen des rund 20.000 Einwohner*innen großen Stadtverbundes. Der Postplatz mit dem Busbahnhof ist das Zentrum. Da hier die meisten Menschen verkehren, versuchte das KGE häufiger, auf dem Platz Veranstaltungen zu organisieren. Doch der Stadtrat, mit fünf AfD-Sitzen und drei der Freien Sachsen, stellte sich quer. Unterstützung bekamen sie dann vom Eine Welt Laden. Auf deren Gelände, direkt am Postplatz gelegen, durften sie Veranstaltungen durchführen. Aber auch hier mahnte die Stadt, den anliegenden Gehweg freizulassen, denn Passant*innen dürften beim Gehen nicht gestört werden. Die jahrelangen Anstrengungen der Engagierten drücken sich über Zynismus aus.
Angekommen in den Räumlichkeiten des KGE, einem alten Tanzlokal, erzählt unter anderem die Vorsitzende Angela Klier von den Projekten und der Vision. Ein Offener Bürgertreff lädt alle Menschen ein, ihre Ideen von „kulturellen und gemeinwohlorientierten Projekten und Veranstaltungen“ zu realisieren. Jede*r ist hier willkommen und darf sich ausprobieren.
Was hat eine Opernsängerin mit Demokratie zu tun?
Der letzte Stopp des ersten Tages ist in Annaberg-Buchholz. Dort hat eine frühere Opernsängerin die Demokratiearbeit in die Hand genommen. Für Nathalie Senf stand schon früher fest, dass sobald sie ihre künstlerische Karriere beendet, sie sich politisch einbringen möchte. Und nun steckt sie voll und ganz in der politischen Arbeit drin. Seit 2022 ist sie Projektleitung des Soziokulturellen Zentrums Alte Brauerei, das sich als Ort gesellschaftlichen Zusammenhalts versteht.
In den Räumen der Alten Brauerei kann Nathalie Senf ihre alte und neue Passion miteinander verbinden. Sie gründete das Chorprojekt Heart Chor, das wöchentlich für alle Gesangswilligen geöffnet ist. Als Einstimmung in den Abend gibt es deshalb auch ein kleines Konzert. Eine bunt gemischte Truppe aus etwa 15 Personen singt im Kanon unter anderem den Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Der Besuch von Demokratie in Fahrt steht auch in Verbindung mit einer feierlichen Angelegenheit: die Eröffnung einer frisch gebauten Rampe – damit alle Menschen barrierefrei in die Alte Brauerei kommen können. Der lange Tag endet bei einem Getränk und Diskussionen über die Frage, was Inklusion mit Demokratie zu tun hat. Eben was eine Demokratie ausmacht: ein Austausch von Meinungen auf Augenhöhe, an dem jede*r teilhaben kann.
Zweiter Tag: Ankunft im Punkschuppen
Nach einer kurzen Nacht im Hotel steht der zweite Tag der Demokratietour an. Es geht weiter nach Limbach-Oberfrohna zur Doro 40. Ein alternativer Jugendtreff, der mit seinen schwarzen Wänden nach Punkkonzerten schreit. Doch an diesem Vormittag dreht sich alles um die Geschichte und den Aufbau der Demokratiearbeit vor Ort. Bekannt wurde die Stadt aus dem Landkreis Zwickau 2008, als die dortige rechtsextreme Szene mit Angriffen auf alternative Jugendliche auf sich aufmerksam machte. Katja Meier, die sächsische Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, war beim vierten Stopp der Busreise auch vor Ort. In einer kurzen Ansprache erzählte sie auch von ihrer politischen Motivation. Eine tragende Rolle spielt dabei: Sie ist selbst in Zwickau aufgewachsen und hat die Baseballschlägerjahre im Jugendalter miterlebt.
Robert Weis ist Gründungsmitglied des Vereins Soziale & politische Bildungsvereinigung e.V. und auch heute noch aktiv. Die damals jugendlichen Punks kauften 2008 das Haus in der Dorotheenstraße in Limbach-Oberfrohna. Ein Zufluchtsort vor den alltäglichen rechtsextremen Bedrohungen. Die rechte Gewalt spitzte sich trotzdem weiter zu: bis zu einem rechtsextremen Brandanschlag auf die Doro 40.
Um ihre Kinder zu schützen und zu unterstützen, gründeten Eltern 2011 das Bunte Bürgerforum für Demokratie Limbach-Oberfrohna. Gestärkt durch die Unterstützung und motiviert durch die mediale Empörung über die rechtsextreme Bedrohungslage, gaben die Jugendlichen nicht auf. Heute sind sie etwa 15 Mitglieder, von Jugendlichen bis Anfang 30-Jährige. Inzwischen verfügen sie, neben dem Jugendtreff und einem Infoladen, seit diesem Jahr über eine dritte Einrichtung in Limbach-Oberfrohna: Der Eckpunkt. Nur etwa sieben Gehminuten von der Doro entfernt, gibt es dort erstmal einen Kaffee. Hier sind die Wände weiß und die Einrichtung freundlich. Anders als in der Doro, einem typischen Punkschuppen, sollen die Räumlichkeiten für alle ansprechend sein. 2024 eröffnet als Offener Bürgertreff, ist das Projekt Limbach für alle als Raum für Veranstaltungen, Treffen und Planung gemeinsamer Vorhaben gedacht. Eingeladen sind alle demokratischen Gruppen, Initiativen und Menschen, um sich in Limbach-Oberfrohna zu vernetzen.
Ein Geisterdorf mit Zukunftsvisionen
Als letzter Halt auf der Tour durch die sächsische Landschaft geht es nach Pödelwitz, ein Dorf der Gemeinde Groitzsch in der Nähe von Leipzig. Mit dem Bus angekommen, fällt direkt die Ruhe auf. Doch die Idylle täuscht über die umkämpfte Situation des Ortes hinweg. 80 % der Häuser gehören der Braunkohlengesellschaft MIBRAG und stehen leer, seit hier keine Kohle mehr abgebaut wird. Instandgehalten werden sie nicht. 2012 wurde das Dorf für Umsiedlungspläne freigegeben. Als Widerstand gründete sich die Initiative Pro Pödelwitz, die gegen die Pläne klagte. Ihr Engagement wurde belohnt: Die sächsische Landesregierung einigte sich 2021 mit der MIBRAG den Ort nicht zu bebaggern.
Das Dorf bleibt, aber die Menschen fehlen. Es hat etwas von einem Geisterdorf. Denn rund 90 % der früheren Einwohner*innen sind den Umsiedlungsplänen gefolgt und aus ihren Häusern gezogen. Aber das Engagement der Verbliebenen bringt Leben in das Dorf. 2021 gründete sich der Verein Pödelwitz hat Zukunft e.V. mit dem Plan eines sozialen und ökologischen Strukturwandels vor Ort. Das Ziel: eine Wiederbelebung des Dorfes auf Basis einer demokratischen und gemeinschaftlichen Planung.
Die Zukunftsvisionen sind so groß wie das Interesse von Menschen dort zu leben und daran mitzuwirken. Schon rund 100 Menschen sind laut dem Verein bereit, sich in Pödelwitz ein neues Leben aufzubauen. Doch für die Menschen braucht es Wohnraum, genauso wie für ein inklusives Wohnprojekt, das zu den Kernanliegen des Vereins zählt. Der nötige Wohnraum ist vorhanden, doch bleibt bisher durch die MIBRAG verwehrt. Aber die verbliebenen Pödelwitzer*innen bleiben, wie schon die letzten 12 Jahre, standhaft und kämpfen weiter für die Zukunft ihres Dorfes.
Gegen Nachmittag geht es im Bus nach Leipzig, wo Demokratie in Fahrt für die Teilnehmenden endet. Zwei Tage, fünf Orte, viele engagierte Menschen. Menschen, die sich auch im tiefsten Sachsen auf vielfältige Art und Weise für die Demokratie einsetzen. Mit Blick auf die nun anstehenden Landtagswahlen ein Lichtblick. Doch die Angst ist da: Wie wird es für die Demokratiearbeit und die Demokratie vor Ort nach den Landtagswahlen aussehen? Und wie wird es um die Förderung demokratischer Projekte stehen?