Perspektive Ost zeigt solidarische Perspektiven für Ostdeutschland. „Es spielt keine Rolle, ob Engagement im Kleinen oder im Großen stattfindet. Was zählt, ist die Haltung: der Mut, Verantwortung zu übernehmen und aktiv mitzugestalten.“
Rassistisches, rechtsextremes und autoritäres Denken wird zunehmend gesellschaftsfähig, nicht nur in Ostdeutschland. Trotz offensichtlicher Missstände und akuten Bedrohungen für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt bleibt der große gesellschaftliche Aufbruch aus. Doch überall gibt es Menschen, die für Veränderung kämpfen – zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die als Moderator*innen gesellschaftlicher Prozesse wirken, Räume für Dialog schaffen und neue Formen des Zusammenlebens erproben. Das Projekt Perspektive Ost macht dieses breite, oft ehrenamtliche Engagement sichtbar. Unterstützt von der Amadeu Antonio Stiftung traf sich Perspektive Ost mit 28 Projekten in Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern und sprach mit ihnen über Utopien und Visionen für ein demokratisches Miteinander.
Zwei Aspekte sind für wirkungsvolle Transformationen und lebendige demokratische Utopien entscheidend: Selbstermächtigung als demokratische Praxis und eine Erzählung, die das bessere Morgen nicht nur als Notwendigkeit, sondern als etwas Erstrebenswertes zeigt. Damit aus Ideen gemeinsames Handeln entsteht, müssen positive Visionen des Zusammenlebens greifbar, lebensnah und einladend sein. Utopien dürfen nicht abstrakt bleiben, sondern müssen im Alltag erfahrbar werden – als gelebte Alternativen, die Hoffnung und Möglichkeiten eröffnen.
Selbstermächtigung als demokratische Praxis
Zivilgesellschaftliches Engagement ist für viele Menschen keine Selbstverständlichkeit. Einige fühlen sich ohnmächtig und glauben nicht daran, dass ihr Handeln einen Unterschied macht. Die Vereinzelung in der Gesellschaft nimmt zu und der Rückzug ins Private schwächt das kollektive Moment. Dies stellt eine große Herausforderung für Projekte und Initiativen dar, da sie durch den hohen Aufwand an Eigenorganisation oft nicht weit genug aus der eigenen Blase herauskommen. Es bleibt eine Herausforderung, Menschen zu erreichen, die nicht ohnehin schon Teil der eigenen Netzwerke sind. Dabei zeigt sich immer wieder: Wenn Menschen erleben, dass sie gestalten können, wächst die Bereitschaft, sich einzubringen.
„Ich glaube, wenn man Leuten Raum gibt, egal ob jetzt Raum im Sinne eines physischen Raums oder einfach auch Platz zum Denken, […] dass dann ganz viel entsteht.“ – Fritzi, Komplex, Schwerin
Aus zivilgesellschaftlichen Räumen entsteht echte Veränderung. Stadtteilarbeit, politische Bildung, Kulturkneipen, Jugendarbeit oder Wohnprojekte schaffen niedrigschwellige Zugänge zur Demokratie und sind nur einige Beispiele, in denen Mitbestimmung mehr ist als ein abstraktes Ideal – sie wird beim Sport, im Kulturzentrum oder der feministischen Bibliothek, in der solidarischen Landwirtschaft, in selbstverwaltete Wohnprojekten oder bei der zivilgesellschaftlichen Arbeit in Kollektiven und Bündnissen greifbar. Es sind die Praktiken und Initiativen, die den Menschen nicht nur eine Stimme geben, sondern auch zeigen, wie sie die Welt unmittelbar beeinflussen können.
Was es zusätzlich braucht, sind Narrative, die Alternativen zu bestehenden Machtverhältnissen und menschenfeindlichen Ideologien sichtbar machen. Diese Narrative müssen niedrigschwellige Zugänge schaffen, damit Menschen sich mit ihrer eigenen Situation und den sie umgebenden Strukturen auseinandersetzen können. Doch Selbstermächtigung entsteht nicht in einem Vakuum, sie wird durch Erfahrungen von Teilhabe und Selbstwirksamkeit gelernt. Momente, in denen Menschen spüren, dass ihr Handeln zählt und Veränderung möglich ist, sind wichtig. Dazu braucht es die richtigen Zugänge und Vorbilder, die zeigen, dass Veränderungen nicht nur denkbar, sondern realisierbar sind. Orte, die Begegnungen und Teilhabe ermöglichen, transportieren im besten Fall gesellschaftliche Gegenentwürfe – sei es im Kleinen, durch gegenseitige Unterstützung, oder im Großen, indem sie Raum für gesellschaftliche Veränderung schaffen.
Das bessere Morgen ist jetzt? – Warum Utopien Freude machen müssen
Welche Ideen sind groß genug, um die Vielfalt der Gesellschaft einzuschließen, und gleichzeitig konkret genug, um realistisch und umsetzbar zu wirken?
Solche Visionen erfordern den Blick auf die gegenwärtigen Verhältnisse: Welche Voraussetzungen müssen wir heute schaffen, um alternative zivilgesellschaftliche Räume und Strukturen zu bewahren, die das Fundament für diese Utopien bilden? Wie beenden wir den fortschreitenden Verlust sozialer und kultureller Initiativen und Freiräume, die diese Zukunft tragen könnten?
„Wir benennen schwierige Probleme und sehen was alles scheiße läuft. Was man nicht hinkriegt ist ein positives Grundgefühl zu erzeugen, wo es auch Spaß macht, dabei zu sein.“ – Marcel, Siebenhitze, Greiz
Auf den Gebrauchswert kommt es an!
Veränderung wird dann unwiderstehlich, wenn sie nicht nur als Kampf, sondern auch als Gewinn empfunden wird. Deshalb braucht es nicht nur Kritik am Bestehenden, sondern auch das Bild einer Zukunft, die begeistert – eine Zukunft, die wir gemeinsam gestalten können. Viele der Menschen, die sich engagieren, arbeiten in einem Umfeld, das von strukturellen Unsicherheiten, fehlenden Ressourcen, teils feindseligen Haltungen und Bedrohungen durch die extreme Rechte geprägt ist. Die drängenden globalen Herausforderungen verstärken den Druck und erzeugen ein Gefühl der Überforderung. Doch gerade in solchen Momenten zeigt sich, wie wichtig greifbare Visionen sind.
„Einen Gebrauchswert, echten Gebrauchswert haben, der dann auch den Funken überspringen lässt.“ – Robert, Zora, Halberstadt
Es spielt keine Rolle, ob Engagement im Kleinen oder im Großen stattfindet. Was zählt, ist die Haltung: der Mut, Verantwortung zu übernehmen und aktiv mitzugestalten, selbst wenn die Herausforderungen überwältigend erscheinen. Utopien für die Gesellschaft sind dabei unverzichtbar, denn sie stiften Hoffnung und zeigen Wege in eine bessere Zukunft – Perspektive Ost macht dies bereits vor und schenkt den positiven Visionen des Zusammenlebens in Ostdeutschland mehr Aufmerksamkeit. Die Blickrichtung muss klar sein: Denkt groß, träumt mutig und handelt entschlossen. Die Zukunft braucht Menschen, die nicht nur zuschauen, sondern ihre Umgebung aktiv gestalten – mit Raum für Ideen und dem Willen, neue Wege zu gehen.
Mehr Informationen zu den Projekten und ihren gesellschaftlichen Visionen findet ihr auf dem Instagramkanal @perspektiveost und in ihrem Magazin.