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20. Aktionswochen gegen Antisemitismus: Krieg, Landtagswahlen, antisemitischer Alltag

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Berlin, 09.10.2023. Israel ist im Krieg. Die letzten 48 Stunden waren für Jüdinnen und Juden auch in Deutschland dramatisch. Der internationale Antisemitismus zeigt seine brutale Realität. Das hat auch Effekte in Deutschland: auch hierzulande erreichen uns die ersten Schilderungen antisemitischer Vorfälle. Jüdische Einrichtungen müssen seit Samstag noch mehr geschützt werden als sonst. Dabei ist Antisemitismus in Deutschland bereits Alltag: ob auf dem Nachhauseweg, der Party oder in den Twitter Kommentarspalten.

Deswegen setzen die Bildungs- und Aktionswochen in diesem Jahr den entsetzlichen alltäglichen Antisemitismus, der es nicht in die Schlagzeilen schafft, in den Mittelpunkt der bundesweiten Kampagne. Dafür bringt die Amadeu Antonio Stiftung Vertreterinnen und Vertreter u.a. des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Beratungsstelle gegen antisemitische Gewalt OFEK und die Dokumentationsstelle RIAS an einen Runden Tisch, um den aktuellen Stand und die Leerstellen der Antisemitismusbekämpfung in Deutschland zu diskutieren. Dabei wird es auch um den neuen Krieg in Israel gehen und die Frage, was die Lage dort für jüdische Organisationen und für Jüdinnen*Juden bedeutet.

Gemäß dem Kampagnenmotto „Zero Antisemitismus“, das mittels deutschlandweiter Plakatkampagne in mehr als 80 Städten sichtbar ist, ziehen die Aktionswochen gegen Antisemitismus in einem Runden Tisch Resümee. Jede und jeder muss gegen Antisemitismus einstehen, ob auf der Party, im Internet oder in der Straßenbahn.

Für Jüdinnen und Juden in Deutschland ist es nach wie vor unmöglich, ohne Bedenken ihre jüdische Identität öffentlich zu leben: Sie können nicht ohne Bedenken mit Kippa oder einer Davidstern-Kette das Haus verlassen, denn sie müssen jederzeit mit Bedrohungen und Anfeindungen rechnen. Antisemitismus ist alltäglich und in den seltensten Fällen schafft er es in die Öffentlichkeit. Der allgegenwärtige Antisemitismus führt dazu, dass mehr als zwei Drittel der Jüdinnen und Juden angeben, in der Öffentlichkeit keine jüdischen Symbole zu tragen. Wenn Betroffene dann doch ihre Erfahrungen öffentlich machen, werden ihre Perspektiven kleingeredet oder schnell vergessen.

Das zeigt nicht nur jüngst der Fall Aiwanger, bei dem jüdischen Stimmen mit ihrer Kritik nicht ernst genommen wurden; stattdessen Verharmlosung und Relativierungen. Nun wurde er trotz seines Antisemitismus bei der Landtagswahl mit einem Direktmandat honoriert. Dennoch wurde zumindest öffentlich debattiert, viele andere antisemitische Erfahrungen von Jüdinnen und Juden werden hingegen kaum wahrgenommen, wenn Israel gerade nicht angegriffen wird. Es gibt keinen Aufschrei, keinen Eklat und keine Debatte, darüber, jeden Tag mit dem antisemitischen Normalzustand konfrontiert zu sein. Gleichzeitig werden Gedenkorte an die Verbrechen der Nationalsozialisten immer häufiger Ziel von Angriffen und Schändungen. Die geschichtsrevisionistischen Forderungen von Führungspersonen der AfD haben Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima, selbst die hart erkämpfte Erinnerungskultur an die Shoah steht unter Druck. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bleibt oft konsequenzlos für die Gegenwart.

Timo Reinfrank, Vorstand der Amadeu Antonio Stiftung, macht deutlich: „Die letzten 48h waren für Jüdinnen*Juden dramatisch: Die Terrororganisation Hamas hat mit unfassbarer Brutalität einen Krieg begonnen. Das ist internationaler Antisemitismus, der verschärft auch die Sicherheitslage jüdischer Einrichtungen in Deutschland. Die politischen Lippenbekenntnisse in Deutschland sind groß; jetzt braucht es klares Handeln, denn es ist nicht so, als wüsste niemand, an welchen Stellschrauben in puncto Terrorfinanzierung und Antisemitismusprävention zu drehen wäre. Gleichzeitig wurde eine geschichtsrevisionistische und rechtsextreme Partei gestern in Hessen und Bayern zur zweit- bzw. drittstärksten Kraft gewählt. Als Zivilgesellschaft dürfen wir das nicht unbeantwortet lassen. Wir müssen für unsere Demokratie kämpfen, Rechtsextremismusprävention bedeutet Antisemitismusprävention.“

Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hebt die Bedeutung des Kampagnenprojekts für die Arbeit gegen Antisemitismus hervor: „Der grenzenlose Terror in Israel muss dazu führen, dass die deutsche Politik ihr Handeln überdenkt. Die Zivilgesellschaft ist hier ebenso gefragt. Die Bildungs- und Aktionswochen der Amadeu Antonio Stiftung leisten dafür einen wichtigen Beitrag.“

Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für Jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, kommentiert: „Die antisemitische Ideologie der Hamas beschränkt sich nicht auf den Gazastreifen. Auch in Deutschland sind Jüdinnen und Juden davon betroffen. Politik und Zivilgesellschaft müssen zusammenarbeiten, um die jüdische Gemeinschaft vor diesem Hass zu schützen. So wichtige Projekte wie die Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus spielen bei der Aufklärung über alle Formen des Antisemitismus, auch des israelbezogenen, eine wichtige Rolle. Auch in diesem Jahr legen sie wieder den Finger in die Wunde und zeigen uns: Antisemitismus geht uns alle etwas an!“

 


Über die Amadeu Antonio Stiftung:
Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent und überparteilich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.

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