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Ein Jahr nach Reichsbürger-Razzia: Milieu muss als rechtsextrem begriffen und entsprechend bekämpft werden

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Berlin, 06.12.2023. Ein Jahr nach der bis dato größten Razzia gegen Reichsbürger in ganz Deutschland mahnt die Amadeu Antonio Stiftung, das Milieu der Reichsbürger endlich konsequent als rechtsextrem und gewaltbereit zu begreifen und entsprechend zu bekämpfen. Reichsbürger-Strukturen haben sich weiter ausgebreitet und finden immer mehr Zulauf. Doch noch immer wird gegen das Milieu erst dann mit Druck vorgegangen, wenn es sich bewaffnet oder Anschläge plant.

Am 7. Dezember 2022 fand mit einer bundesweiten Razzia der größte Einsatz gegen Reichsbürger in der Geschichte der Bundesrepublik statt. Das Netzwerk „Patriotische Union“ um Heinrich XIII. Prinz Reuß soll den gewaltsamen Umsturz der demokratischen Ordnung geplant haben.

Ein Jahr nach der Razzia sitzen der Rädelsführer Reuß und 26 weitere Beschuldigte in Haft, eine Anklage steht bevor. Die Amadeu Antonio Stiftung konnte beobachten, dass die Ermittlungen für kurzzeitige Unruhe im Milieu gesorgt haben: So wurden Telegram-Kanäle abgeschaltet oder posteten keine neuen Inhalte mehr. Doch die abschreckende Wirkung hielt nicht lange an. 2023 fanden wieder größere und öffentlich beworbene Treffen der Szene statt.

Die Furcht vor Repression scheint verschwunden, das alte Selbstbewusstsein ist zurück, einschließlich eines gestiegenen Sendungsbewusstseins, man versucht zu expandieren“, erklärt Benjamin Winkler, Experte für Reichsideologie bei der Amadeu Antonio Stiftung. Ein Beispiel dafür ist das vor Kurzem bundesweit beworbene Treffen von mehr als 100 Milieuangehörigen im bayerischen Wemding, an dem auch mindestens zwei Redner teilnahmen, die mit der Gruppe Reuß in Kontakt standen.

Keine „harmlosen Spinner“, sondern rechtsextremes Weltbild
Reichsbürger sind alles andere als „harmlose Spinner“, „Querulanten“ oder ein „Rollator-Putsch“, wie es AfD-Chefin Alice Weidel verharmloste. „Hinter Tag X-Vorstellungen oder dem Ziel der Wiederherstellung des Deutschen Reiches steckt ein geschlossenes, demokratiefeindliches Weltbild, das Waffengewalt legitimiert“, erklärt Benjamin Winkler. „Trotzdem wird die Reichsideologie als Ganzes nicht als Problem begriffen, sondern erst, wenn Waffen gehortet und Anschläge geplant werden. Das Milieu muss endlich als im Kern rechtsextrem und gewaltbereit eingestuft und entsprechend bekämpft werden.

Bewertung der Sicherheitsbehörden gleicht nach wie vor einer Verharmlosung

So wird das Königreich Deutschland um den selbsternannten König Peter Fitzek bis heute vor allem als Fall für die Finanzbehörden betrachtet. Zwar betreibt Fitzek auch illegal Geschäfte, aber in erster Linie propagiert er seinen nach eigenen Angaben 5000 Anhängern einen Ausstieg aus dem demokratischen System und liefert dafür die passende Infrastruktur – und das mit Erfolg: Jüngst expandierte das Königreich auch in die Schweiz und Österreich.“Reichsideologie ist nicht einfach eine Spielart des Rechtsextremismus, ihr Angebot für den Ausstieg aus der demokratischen Gesellschaft massenwirksam. Der Verfassungsschutz verzeichnet seit Jahren steigende Zahlen im Milieu und geht aktuell von 23.000 Personen aus. Wenn in repräsentativen Umfragen 5 % der Befragten Reichsbürger-Thesen zustimmen, muss davon ausgegangen werden, dass der Resonanzraum noch erheblich größer ist“, warnt Winkler.

Gleichzeitig wird die Reichsideologie von den Sicherheitsbehörden immer noch verharmlost. Der Verfassungsschutz ordnet lediglich 5 % der Reichsbürger*innen als rechtsextrem ein. Viele begangene Delikte werden in den polizeilichen Statistiken als „politisch motiviert – nicht zuzuordnen“ registriert.

Diese Trennung in rechtsextreme und unpolitische Reichsbürger ist nicht nachvollziehbar. Die falsche Trennung muss dringend korrigiert werden, auch um die nötigen Schlüsse zur Bekämpfung der Reichsideologie zu ziehen“, fordert Benjamin Winkler. „Dazu gehört auch, das medial Ökosystem in den Blick zu nehmen, das massiv zur Radikalisierung beiträgt. Das Angebot reicht vom Compact-Magazin und einschlägigen Büchern über TV-Internetkanäle wie AUF1 bis hin zum Vertrieb von Survival-Trainings und entsprechendem Equipment, wo Weltuntergangs- und Ausstiegsszenarien propagiert werden.

Die dringendste Aufgabe neben Repression gegen das Milieu und abschreckende Ermittlungen und Urteile ist es, Reichsbürger noch konsequenter zu entwaffnen. Wer Anhänger der Reichsideologie ist, darf keine Waffen besitzen – dafür muss die Politik den nötigen Rahmen schaffen.

Auch die politische Bildung gegen Reichsideologie und Verschwörungsdenken kann nicht einfach von bestehenden Strukturen nebenher mitgemacht werden. Reichsideologie stellt eine besondere Herausforderung dar, auch wegen des höheren Alters im Milieu. Nötig ist eine Investition in neuartige Konzepte und Formate, wie sie die Amadeu Antonio Stiftung beispielsweise mit der Fachstelle Entschwörung erproben konnte und die in die bestehenden Regelangebote integriert werden müssen.

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