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Kapitulation vor Rechtsextremismus in Burg: Lehrer-Weggang ist Ergebnis systemischen Versagens

Dorfkern von Burg (Spreewald) in Brandenburg. Foto: Stefan Fussan (CC BY-SA 3.0)
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Berlin, 17.07.2023. Nach dem Weggang der beiden Lehrkräfte, die mit einem Brandbrief den rechtsextremen Alltagsterror an ihrer Schule in Burg/Spreewald öffentlich machten, warnt die Amadeu Antonio Stiftung davor, den rechten Brennpunkt aus den Augen zu verlieren. Der Weggang ist das Ergebnis eines systemischen Versagens im Umgang mit Rechtsextremismus an Schulen.

Die Lehrkräfte begründen ihren Weggang mit massiven Drohungen aus der rechten Szene, Anfeindungen vor Ort, aber auch damit, dass Teile des Kollegiums die beiden isolieren würden. In Burg entstand nicht erst in den letzten Wochen ein Klima der Angst.

“Der Weggang der Lehrkräfte ist sehr bedauerlich, aber völlig verständlich. Burg liegt in einem massiven Hotspot der rechtsextremen Szene. Wenn Rechtsextreme hier zur Jagd auf Menschen aufrufen, hat das nichts mit bloßen Drohungen zu tun, sondern es muss vom Schlimmsten ausgegangen werden. Zu oft werden aus Worten Taten”, erklärt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. “Diese Lehrkräfte haben nichts Verwerfliches getan, sondern sind ihrem ureigenen Auftrag der Demokratiebildung nachgekommen, sie verdienen unseren Dank. Wenn sie dafür keinen Rückhalt im Kollegium erfahren, sich nur mit einem Brandbrief zu helfen wissen, auf den hin sie kaum Unterstützung bekommen, sondern vielmehr mit Ächtung bestraft werden und dann auch noch um ihre eigene Sicherheit fürchten müssen, dann müssen wir von einem systemischen Versagen sprechen.”

Zurück bleiben die Betroffenen und eine bestens organisierte rechte Szene

Ausbaden müssen dieses Versagen jetzt die nicht-rechten Jugendlichen vor Ort. Mehrere Jugendliche hatten nach dem offenen Brief sich mit ihren Lehrkräften solidarisiert, mit ihnen gegen rechtsextreme Umtriebe demonstriert und öffentlich geschildert, wie sie unter dem rechtsextremen Alltagsterror zu leiden.

Dieser Mut wird jetzt bestraft. Denn sie bleiben nun weitgehend allein mit einer organisierten rechtsextremen Szene und Gleichaltrigen, die Andersdenkende terrorisieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Jugendliche Opfer von Gewalt werden oder ihre Eltern ins Visier der organisierten Szene geraten. Schon jetzt berichten Schüler, dass sich die Zustände seit dem Brandbrief verschlimmert haben.

In Burg und der gesamten Region bis hin nach Cottbus hat sich eine Mischszene aus Neonazis, Hooligans, organisierter Kriminalität und rechtsextremen Unternehmern etabliert.

“Die rechte Szene hier ist eine der gefährlichsten in ganz Deutschland. Die Rechtsextremen sind hochgradig vernetzt und führen ein Wirtschaftsimperium. Sie möchten unter sich bleiben und dulden keinen Widerspruch. Hier ist die rechte Raumgreifung so fortgeschritten, dass es kaum noch Berührungsängste gibt”, konstatiert Reinfrank. “Die Rechten hier jubeln, seitdem bekannt wurde, dass die beiden couragierten Lehrkräfte nicht mehr in Burg unterrichten wollen. Viel mehr noch, sie drehen Täter und Opfer um, allen voran die AfD, die hier den parlamentarischen Arm der Rechtsextremen bildet.”

Es überrascht nicht, dass der Cottbuser AfD-Vorsitzende die Lehrkräfte als “linksradikale Denunzianten” bezeichnet. Die AfD gilt laut Verfassungsschutz in Brandenburg als “rechtsextremistischer Verdachtsfall”, ihre Parteijugend gilt als „gesichert rechtsextremistisch“.

In einem anonymen Brief angeblicher “Elternvertreter” war die Rede davon, dass die beiden Lehrkräfte eine “politische Motivation” sowie eine “Ideologie” verfolgen würden und über keine “pädagogische Qualität” verfügten. Verbreitet hatte den angeblichen Brief auch der Cottbuser AfD-Vorsitzende, der zuvor Funktionär der Jungen Alternative war.

Die nächste Generation Baseballschlägerjahre

“Wenn ein Kollegium nicht geschlossen gegen Rechtsextremismus eintritt und couragierte Kollegen wie Nestbeschmutzer behandelt werden, hat die Schule ein weit größeres Problem als nur rechte Schüler. Eine Schulleitung, die sich in einer solchen Situation nicht hinter die engagierten Kollegen stellt, rechtsextremen Alltagsterror  ignoriert und damit fördert, ist für diese Stelle ungeeignet”, sagt Timo Reinfrank. “Wir können zuschauen, wie hier die nächste Generation Baseballschlägerjahre aufwächst. Wenn jetzt mit dem Weggang der Lehrkräfte einfach ein Schlussstrich unter die Situation in Burg gezogen wird, erweist man dem Rechtsextremismus einen Bärendienst, nicht nur in Burg, sondern in der ganzen Region und bundesweit.”

Nach dem Brandbrief meldeten Schulen aus ganz Brandenburg zahlreiche rechtsextreme Vorfälle, mittlerweile wurden auch Vorfälle aus Sachsen und Thüringen bekannt. Der Fall löste eine bundesweite Debatte aus.

“Die Mauer des Schweigens ist gebrochen. Burg ist kein Einzelfall. Wir wussten aus Anfragen von Lehrern und Sozialarbeiterin schon lange, dass Schulen in ganz Deutschland vor einer großen Herausforderung mit rechtsextremen Vorfällen stehen. Viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen oder wissen schlicht nicht, wohin sie sich wenden sollten”, berichtet Reinfrank. “Wenn der Fall Burg jetzt ohne Konsequenzen in der Schublade verschwindet, wäre das ein verheerendes Signal für die gesamte Bundesrepublik.”

Rechtsextremismus macht keine Ferien

Das Ministerium ist viel zu zögerlich auf die beiden Lehrkräfte zugegangen. Erst rund zwei Monate nach dem Brandbrief besuchte Brandenburgs Bildungsminister die Schule in Burg. Das Ministerium sollte jetzt den Kontakt mit den Lehrkräften suchen, auch wenn sie nicht mehr in Burg tätig sind. Im Fokus sollte vor allem auch die Unterstützung der nicht-rechten Schüler stehen, die nach wie vor unter dem rechten Alltagsterror leiden.

“Rechtsextremismus macht keine Ferien. Auszeichnungen für Zivilcourage sind wertlos, wenn jetzt einfach zur Tagesordnung zurückgegangen wird. Die Lage in der Region ist so zugespitzt und gefährlich, dass sich die Auseinandersetzung damit nicht mehr allein an Bildungsträger und die engagierte Zivilgesellschaft delegieren lässt. Gerade jetzt gehört der Komplex Rechtsextremismus in Schulen auf die politische Agenda”, fordert Timo Reinfrank.

Die Ferienzeit sollte genutzt werden, um alle Kräfte zu bündeln und ein Angebot auf den Weg zu bringen, das nahtlos nach den Sommerferien greift.

Auch die Kultusministerkonferenz muss sich dem Thema annehmen: Es müssen in allen Bundesländern klare Meldewege und personelle Verantwortlichkeiten definiert werden, passende Beratungsangebote ausgebaut und in die Fläche ausgerollt werden. Außerdem müssen rechtsextreme Vorfälle an Schulen bundesweit systematisch erhoben und mit Experten ganzheitliche Präventionsstrategien entwickelt werden, die die Auseinandersetzung nicht allein auf einzelne Lehrkräfte delegieren.


Über die Amadeu Antonio Stiftung:

Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent und überparteilich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.

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