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Lagebild Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden: Eine interne Lösung des Polizeiproblems ist nicht mehr möglich

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Berlin, 6. Oktober 2020. Laut Verfassungsschutz gibt es für den Erfassungszeitraum von Januar 2017 bis März 2020 350 rechtsextreme Verdachtsfälle in den Sicherheitsbehörden. Anlässlich der Vorstellung des Lageberichts Rechtsextremismus fordert die Amadeu Antonio Stiftung einen grundsätzlichen Kulturwandel.

Erstmals legt das Bundesamt für Verfassungsschutz heute seinen Lagebericht zu Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden vor. Für den Erhebungszeitraum ermittelt der Bericht 350 Verdachtsfälle. Die Zahlen zeigen wenig Überraschendes: Es gibt ein strukturelles Problem in den Behörden. Die Vielzahl von Fällen rassistischer Chatgruppen in der Polizei bis hin zu den Datenabfragen auf Polizeicomputern im Kontext der „NSU 2.0“-Drohschreiben sind nur die Spitze des Eisbergs.

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, kommentiert: „So gut es ist, dass es nun erstmals einen Lagebericht zu Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden gibt, so viele Leerstellen weist der heutige Lagebericht auf.“ Der Bericht fasst lediglich zusammen, was den Medien sowieso zu entnehmen war: Bekannte Fälle, in denen ein Disziplinar- oder Strafverfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet wurde. Bei allen Zahlen handelt es sich um freiwillige Meldungen der Landespolizeistellen an den Verfassungsschutz. Für die Erstellung des Lageberichts wurde nicht eigenständig und unabhängig ermittelt – das Dunkelfeld bleibt somit bestehen.

„Das Problem mit Rechtsextremismus in Polizei und Sicherheitsbehörden hat eine Dimension erreicht, die eine interne Lösung nicht mehr zulässt“, erklärt Timo Reinfrank. Die Amadeu Antonio Stiftung fordert deshalb eine Öffnung der Behörden für Expert*innen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft, unabhängige Beschwerdestellen für Betroffene und eine Reform des Beamtenrechts, um gegen Rechtsextreme in den Sicherheitsbehörden besser vorgehen zu können.

Es braucht Untersuchungen von außen, die das Problem beleuchten – sowohl mit Einstellungsforschung unter den Beamt*innen als auch in einer Studie zu Racial Profiling in der Polizeiarbeit. Zusätzlich müssen auch Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Antiziganismus untersucht werden. Die Erfahrungen Betroffener müssen systematisch einbezogen werden.

„Gleichzeitig gilt es sicherzustellen, dass Polizist*innen, die sich rechtsextrem äußern, dann auch entlassen statt versetzt werden – sie haben im Polizeidienst nichts zu suchen. Hier braucht es eine Reform des Beamtenrechts, die tatsächliche Konsequenzen fördert.“ fordert Timo Reinfrank.

Es muss sich endlich etwas ändern: Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden ist seit Jahren massiv erschüttert. Den letzten Rest verspielt man gerade, wenn struktureller Rassismus und rechtsextreme Netzwerke in den Sicherheitsbehörden verleugnet und kleingeredet werden.

Kontakt für Rückfragen:
Pressestelle der der Amadeu Antonio Stiftung
030 240 886 16| Lorenz.Blumenthaler@amadeu-antonio-stiftung.de

Über die Amadeu Antonio Stiftung:

Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.

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