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Rechte Straftaten weiterhin auf sehr hohem Niveau: Pandemie radikalisiert Demokratiefeindschaft

Quelle: Adobe_Stock_449213181
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Berlin, 10.05.2022. Auch 2021 bilden (nachgewiesene) rechtsextreme Straftaten den größten Teil der politisch motivierten Kriminalität in Deutschland. Die Bundesregierung muss den Aktionsplan gegen Rechtsextremismus schnellstmöglich umsetzen, mahnt die Amadeu Antonio Stiftung. Das gewachsene demokratiefeindliche Milieu ist gewaltbereit und für weitere rechtsextreme Mobilisierung empfänglich. Die Amadeu Antonio Stiftung kritisiert daher, dass durch den stark angestiegenen Phänomenbereich „nicht zuzuordnen“ Straftaten gerade im Rahmen der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen entpolitisiert werden, die jedoch im Kern rechtsextrem sind und als solche benannt werden müssen.

„Rechte Straftaten bilden erneut den Großteil der politisch motivierten Kriminalität in Deutschland”, erklärt der Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, Timo Reinfrank. “Die Radikalisierung der Verschwörungsszene im zweiten Pandemie-Jahr war durch ihre menschenverachtende Rhetorik absehbar. Das demokratiefeindliche Milieu ist gewaltbereit und eine reelle Gefahr. Ihre Sprache des Hasses entlädt sich in Gewalt, wie besonders Angriffe auf Politiker im letzten Jahr gezeigt haben und natürlich der schreckliche Mord von Idar-Oberstein. Angehörige von Minderheiten spüren die wachsende Aggression schon lange. Besonders besorgniserregend ist der mit Verschwörungsglauben einhergehende Antisemitismus, der sich auch in antisemitischer Gewalt gegenüber Jüdinnen und Juden niederschlägt, die 2021 laut BMI/BKA so hoch war wie noch nie.“ 

Radikalisierte Demokratiefeindschaft führt zu Anstieg rechter Straftaten 

Hinter den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen steckt kaum noch legitime Kritik an staatlichen Entscheidungen, sondern viel mehr radikale Demokratiefeindschaft. Mit Verschwörungserzählungen werden Feindbilder geschürt und zu Gewalt als Lösung und notwendiger Konsequenz angestiftet. Radikalisierte Demokratiefeinde grenzen sich nicht mehr von Rechtsextremen ab. Der geschaffene Phänomenbereich „nicht zuzuordnen“ entpolitisiert rechte Straftaten und verharmlost sie, ohne ihren rechtsextremen und gewaltbereiten Kern zu erfassen. Die Zahl rechter Straftaten müsste daher noch weitaus höher sein.

Jüdinnen und Juden mussten 2021 besonders viel antisemitische Gewalt erfahren

Antisemitische Gewalt steigt seit Jahren an, doch die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen haben offenen Judenhass so stark sichtbar gemacht, dass antisemitische Straftaten um 30% gestiegen sind – ein neuer trauriger Höhepunkt. Die im Zuge der Pandemie grassierenden Verschwörungserzählungen sind im Kern antisemitisch und insbesondere das Feindbild Jüdinnen und Juden ist ein gemeinsamer Nenner der unterschiedlichen Verschwörungsgruppierungen. Innerhalb der antisemitischen Straftaten bildet der Phänomenbereich “PMK-rechts” mit Abstand den größten Anteil; gleichzeitig lässt sich ein eklatanter Anstieg in der ‘Restkategorie’ “nicht zuzuordnen” feststellen. Es stellt sich wiederholt die Frage nach den Erfassungskriterien der Kategorie und der Abgrenzung zum Phänomenbereich rechtsmotivierter Straftaten.

Der Aktionsplan gegen Rechtsextremismus darf keine theoretische To-Do-Liste mehr sein

Die Bundesregierung muss ihre Mittel zur Repression gegenüber der rechtsextremen Szene anwenden, die sich gerade in der Pandemie weiter radikalisiert hat. Die Ampel-Koalition darf nicht dieselben Fehler machen, die in der Vergangenheit geschehen sind: Passiv zusehen und mit bloßen Lippenbekenntnissen reagieren, anstelle zu agieren. Der von Bundesinnenministerin Nancy Faeser vorgestellte Aktionsplan gegen Rechtsextremismus macht Hoffnung. Aber er braucht realistische Ziele, um die erschreckenden Zahlen, die heute vorgestellt wurden, endlich einzudämmen und um nächstes Jahr nicht wieder einen neuen Rekord bei politisch motivierter Kriminalität verzeichnen zu müssen.

„Menschenverachtung, die in Gewalt endet – das ist traurige Realität in Deutschland und sie hat heute offiziell wieder einen traurigen Höhepunkt erreicht“, stellt Reinfrank fest. „Die neue Bundesregierung macht mit dem vorgelegten Aktionsplan gegen Rechtsextremismus zwar Hoffnung auf eine ernsthafte Bekämpfung dieser Demokratie-Zersetzung. Doch sich für Demokratie einzusetzen, muss in diesem Fall bedeuten, konkret zu handeln.” 

Zum Hintergrund: Bundesinnenministerin Nancy Faeser und BKA-Präsident Holger Münch haben heute auf einer Pressekonferenz die Fallzahlen zur politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2021 vorgestellt. Mit 21.964 registrierten Taten hat die politisch motivierte Kriminalität-rechts im Vergleich zum Vorjahr zwar leicht abgenommen (2020: 23.604), stellt aber immer noch den größten Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität dar. Die neue Kategorie “PMK nicht zuzuordnen” hat sich mehr als verdoppelt und liegt mit 21.339 registrierten Fällen fast auf dem gleichen Niveau wie die Kategorie “PMK-rechts”.  Antisemitische Straftaten sind 2021 um 28,75 % auf einen Stand von 3.027 Fällen gestiegen.


Über die Amadeu Antonio Stiftung:

Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent und überparteilich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.

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