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Rechtsmotivierte Kriminalität 2019: Über 60 Straftaten täglich

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Berlin, 27.05.2020 Angesichts der Fallzahlen zur politisch motivierten Kriminalität-rechts für das Jahr 2019 mahnt die Amadeu Antonio Stiftung klare Schritte zur konsequenten Strafverfolgung durch Justiz und Sicherheitsbehörden an.

“Der Anstieg der Fallzahlen zur politisch motivierten Kriminalität-rechts für das Jahr 2019 auf 22.342 Delikte spiegelt die Entwicklung der letzten Jahre wider: Hass und Hetze führen zu Enthemmung, ein gesellschaftliches Klima, in dem rassistische und antisemitische Äußerungen Alltag sind, entlädt sich in Gewalttaten”, erklärt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. “Besonders besorgt sind wir über den massiven Anstieg antisemitischer Gewalt”, so Reinfrank.

Dunkelfeld deutlich größer

Trotz des verzeichneten Anstiegs rechtsmotivierter Straftaten ist davon auszugehen, dass zahlreiche Fälle politisch motivierter Kriminalität in der Statistik des Innenministeriums gar nicht erst auftauchen. Denn ob das Hassmotiv der Tat als Solches erkannt wird, hängt von der Sensibilität und fachlichen Kenntnis der Polizeibeamten ab. “Dass Betroffene von den Ermittlungsbehörden häufig nicht ernst genommen werden, macht es für sie noch schwieriger, das Erlittene zur Anzeige zu bringen”, erklärt Reinfrank.

Für das Jahr 2020 ist erneut ein Anstieg von Hasskriminalität zu befürchten: Im Zuge der Corona-Pandemie berichten Menschen, die als asiatisch gelesen werden, oder People of Colour vermehrt von rassistischen Anfeindungen und Übergriffen. In den Sozialen Netzwerken nutzten Rechtsradikale die Situation auf den griechischen Inseln, um Hass gegen Geflüchtete zu verbreiten. Durch den Anschlag von Hanau haben neun Familien ihre Liebsten verloren. Die Überlebenden werden noch lange mit den traumatischen Erlebnissen zu kämpfen haben.

Nicht tatenlos zusehen

“Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, gegen Hasskriminalität vorzugehen”, erklärt Timo Reinfrank, “Wir müssen nicht tatenlos zusehen.” Die Amadeu Antonio Stiftung fordert deswegen vom neu eingerichteten Bundeskabinett gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und den Innen- und Justizministerien der Länder:

1. Verfahren zu Hassverbrechen nicht einzustellen

Um potentielle Täter*innen abzuschrecken und ein Zeichen der Anerkennung an die betroffenen Communities zu senden, müssen Verfahren zu Hassverbrechen öffentlichkeitswirksam bis zum Ende ausermittelt werden – unabhängig davon, wie hoch oder niedrig das Strafmaß letztendlich ausfällt.

2. Hassmotive im Ermittlungsverfahren aktiv auszuschließen

Äußern Betroffene oder Angehörige die Vermutung, dass eine Tat durch Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit motiviert ist, muss der Vermutung nachgegangen werden. Damit Ermittlungsverfahren nicht an strukturellem Rassismus oder anderen Abwertungsideologien in der Polizei scheitern, müssen menschenfeindliche Motive aktiv ausgeschlossen werden.

3. Polizist*innen und Jurist*innen systematisch aus- und fortzubilden

Häufig fehlt es in Polizei und Justiz schlicht an Wissen über Hasskriminalität. Damit Hassmotive in allen Ermittlungsverfahren mitgedacht werden, müssen sie verbindliches Querschnittsthema in der Ausbildung von Polizist*innen und Jurist*innen werden.

4. Ansprechpersonen für Betroffene und Beauftragte für Hasskriminalität zu benennen

Spezialisierte Ansprechpersonen sowie polizeiinterne Beauftragte für Hasskriminalität, wie beispielsweise der Antisemitismusbeauftragte der Berliner Polizei, sind bisher die Ausnahme. Damit Beauftragte  effektiv arbeiten können, brauchen sie weitreichende Ressourcen und Befugnisse. Dazu gehört, Fälle aktiv an sich zu ziehen oder weitere Ermittlungen anzuordnen. Auch Ansprechpersonen für Betroffene gibt es nur vereinzelt; für ein vertrauensvolles Verhältnis der Betroffenen zur Polizei sind sie jedoch essentiell.

5. Flächendeckend Schwerpunktgerichte und -Staatsanwaltschaften einzurichten

Auch in der Justiz braucht es Stellen, die schwerpunktmäßig zu Hassgewalt arbeiten und Fälle aktiv an sich ziehen können. Nur so kann sichergestellt werden, dass Expertise zum Themenfeld entwickelt und gebündelt wird.

Zum Hintergrund: Zum Hintergrund: Bundesinnenminister Horst Seehofer und BKA-Präsident Holger Münch haben heute auf einer Pressekonferenz die Fallzahlen zur politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2019 vorgestellt. Mit 22.342 registrierten Taten hat die politisch motivierte Kriminalität-rechts im Vergleich zum Vorjahr zugenommen (2018: 20.431). Die Gewaltdelikte sind um 14,7% gesunken, bleiben mit 986 Fällen jedoch auf einem hohen Niveau. Antisemitische Straftaten sind um 13 % auf 2.032 Fälle gestiegen.

Über die Amadeu Antonio Stiftung: Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.

Kontakt für Rückfragen:

Viola Schmidt, Pressereferentin
03024088616 | viola.schmidt@amadeu-antonio-stiftung.de

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