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Analyse

Protest in Sachsen: „Messerstecher, Deutschland GmbH und Schuldkult“

Proteste, angeführt von den rechtsextremen "Freien Sachsen". Foto: Paul Podbielski

Im sächsischen Strelln haben am Dienstagabend Menschen gegen die geplante Unterbringung von Flüchtlingen in der Gemeinde im Kreis Nordsachsen protestiert. Der Hass auf Geflüchtete nimmt bundesweit wieder zu.

Von Lena Werres und Paul Podbielski

„Wir wollen keine Asylantenheime“ ist am Dienstag, dem 31. Januar, im kleinen Örtchen Strelln in Sachsen zu hören. Am Zigarettenautomaten kleben Aufkleber mit der Aufschrift „Defend Europe“ und „Refugees not welcome“. Und doch schreiben wir nicht das Jahr 2015. Nein, es ist 2023 und es zeigt sich: Der Hass auf Geflüchtete hat kein bisschen abgenommen.

Strelln ist ein kleiner Ort in der sächsischen Provinz. Hier leben etwas mehr als 400 Menschen. ÖPNV-Anbindung oder einen Supermarkt gibt es im Ort nicht. Eigentlich fehlen nur noch Steppenläufer, die durch die Straßen geweht werden, um den Eindruck zu vervollständigen. In einem alten Munitionsdepot des Dorfes sollen frühestens ab April bis zu 96 Geflüchtete untergebracht werden.

Nun wäre es möglich, dass die Menschen vor Ort dies als Chance begreifen. Endlich kommen wieder Menschen in ihr Dorf. Vielleicht könnten durch den sprunghaften Anstieg der Einwohner*innenzahl sogar Anreize für einen Ausbau des Busnetzes und die Schaffung einer Einkaufsmöglichkeit im Ort entstehen. Aber nein, Vorurteile und Hass überwiegen. Selbst der Vorsitzende des Ortschaftsrates Dietmar Schneider von den Freien Wählern ist dagegen, dass Geflüchtete hier untergebracht werden.

Ängste, Sorgen und Rassismus

Fangen wir von vorne an: Etwa 200 Personen folgen an diesem Dienstag einem Aufruf der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen“ und kommen zu einer Demonstration gegen die Einrichtung einer Unterkunft für Geflüchtete. Anlässlich einer an diesem Abend stattfindenden Informationsveranstaltung für Anwohner*innen hatte die Partei eine Kundgebung vor dem Gasthof „Zum Lindenbaum“ angemeldet, in dem auch die Bürger*innenversammlung stattfand.

Zu den Teilnehmer*innen gehörten neben älteren Personen auch mindestens eine Familie mit einem jungen Kind. Außerdem fielen einige junge Männer durch ihr aggressives Auftreten und ihr Vermummung auf. Nach Informationen der LVZ waren auch NPD-Kader aus Döbeln anwesend. Dazu kommen noch einige AfD-Funktionäre, wie die AfD-Landtagsabgeordnete Gudrun Petzold und Ferdinand Wiedeburg, der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Kreistagsfraktion, welcher später in einem Gespräch Unmengen an Verschwörungserzählungen verbreitete und unter anderem die Frage bejaht, ob Deutschland eine GmbH sei.

Auch Uta Hesse, ehemalige Landratskandidatin der „Freien Sachsen“, war vor Ort. Sie erhielt bei der Kommunalwahl 2022 ganze 20 Prozent der Stimmen und lag damit vor dem gemeinsamen Bewerber der Linken, Grünen und SPD. Grund dafür war unter anderem, dass die AfD, scheinbar ihr zugunsten, auf eine eigene Kandidatur verzichtete.

Während die Türen zum Veranstaltungsort noch geschlossen sind, heizt sich die Stimmung draußen bereits auf. So skandiert die Menge unter wehenden Sachsen-Flaggen immer wieder die Parole „Wir wollen keine Asylantenheime!“. Auf einem Banner ist die Aufschrift „Nein zum Heim!“ zu lesen, mit der Ergänzung „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“. Einige Teilnehmer*innen sprechen davon, dass durch die Unterkunft nun Messerstecher in das Dorf geholt werden würden. Damit ist der weitere inhaltliche Verlauf der Kundgebung auch weitestgehend passend beschrieben.

Als die Türen zur Gaststätte geöffnet werden, kommt es zu Rangeleien zwischen Teilnehmenden der Demonstration und der Polizei. Grund dafür: Ein Großteil der Demonstrierenden durfte die Veranstaltung nicht besuchen, zu welcher ausschließlich die Bewohner*innen des Ortes und Gemeinderäte aus der Umgebung eingeladen waren.

Die Versammlung wird schließlich vor Ende der Informationsveranstaltung durch Uta Hesse beendet. Hinter den verschlossenen Türen des Gasthofs läuft unterdessen die Bürger*innenversammlung weiter, deren Inhalt aus einer Liste mit Fragen der Anwohner*innen zu der geplanten Geflüchtetenunterkunft und der Beantwortung dieser durch den Bürgermeister und Fachvertreter*innen des Landratsamtes Nordsachsen besteht. So gibt es unter anderem Interesse an dem Brandschutzkonzept der Unterkunft, die in seinem sehr trockenen Gebiet liege.

Des Weiteren verliest Gudrun Petzold einen offenen Brief, in dem sich die AfD gegen die Einrichtung des Flüchtlingsheims ausspricht. Die Stimmung während der Veranstaltung ist laut dem Bürgermeister angespannt, aber gesittet. Allerdings habe sich eine generell kritische Grundhaltung gegenüber den Geflüchteten abgezeichnet.

Eine unabhängige Überprüfung dieser Aussagen ist nicht möglich, da ein Großteil der anwesenden Journalist*innen nicht an der Einwohnerversammlung teilnehmen durfte. Nur ein dem Bürgermeister Peter Kleppel anscheinend bekannter Redakteur der Lokalzeitung durfte mithören, was die Anwohner*innen mit den Vertretern des Land- und Gemeinderates besprachen. Begründet wurde dies mit dem Persönlichkeitsrecht der Teilnehmenden. Dazu befragt, sagte Peter Kleppel: „[…] ich denke, das war auch ganz gut so“.

Wie konnte das nur passieren?

Das, was in Strelln passiert, ist jedoch keine traurige Ausnahme, es ist die Realität in vielen Städten und Dörfern. Seit Jahren mobilisieren rechte und rechtsextreme Akteur*innen zu Demonstrationen in Sachsen. Die Themen mögen sich ändern, doch die Haltung dahinter bleibt gleich. Ob nun Verschwörungserzählungen über Corona oder über den Krieg in der Ukraine verbreitet werden, scheint für die Menschen keinen Unterschied zu machen. Sie kommen stets treu zu ihrem „Montagsspaziergang“, um ihren Hass zu verbreiten. Nun rufen dieselben Akteur*innen zu Protesten gegen Geflüchtetenunterkünfte auf, und die Menschen kommen auch jetzt.

So kam es zuletzt auch in anderen Städten zu rassistischen Protesten, zuletzt etwa in Laußig (Nordsachsen) oder Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern). Es ist davon auszugehen, dass die Anzahl dieser Proteste, sowie ihre Gewaltbereitschaft in den nächsten Wochen und Monaten weiter zunehmen wird.

Mittlerweile ist es kaum noch eine Schlagzeile Wert, wenn Geflüchtetenunterkünfte angegriffen werden. Und in Kommunalparlamenten arbeitet man schon lange mit den parlamentarischen Vertretern der extremen Rechten zusammen. Und doch werden sich sicher viele Menschen nach der nächsten, übernächsten und überüberübernächsten Eskalation fragen: „Wie konnte das nur passieren?“

Die Antwort ist einfach: Weil wir es zulassen.

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