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Prozess gegen Reichsbürger-Gruppe “Reuß” – Was genau sind das für Menschen?

Reichsflaggen vor dem Brandenburger Tor. (Foto: Amadeu Antonio Stiftung)

Neun Personen müssen sich seit dem 21. Mai 2024 vor Gericht verantworten. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die mutmaßliche „Reichsbürger“-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß soll den gewaltsamen Umsturz der Demokratie in Deutschland geplant haben. Aber was sind das für Menschen, die sich an solchen Plänen beteiligen? Zwei Beispiele aus Sachsen:

Am 07. Dezember 2022 durchsuchen rund 3.000 Polizeikräfte bei der bisher größten Razzia gegen Reichsbürger*innen bundesweit mehr als 150 Wohnungen, Grundstücke und ein Schloss. Der Generalbundesanwalt lässt 25 Menschen wegen Terrorverdachts festnehmen. Die Gruppe unter Führung von Heinrich XIII. Prinz Reuß soll geplant haben, nach der Besetzung der Bundesrepublik durch eine „ausländische militärische Allianz“ die Regierungsgeschäfte zu übernehmen und das Land mit Waffengewalt „zu säubern“. „Militärische Heimatschutzkompanien“ sollten die Macht sichern. In der Gruppe betätigten sich auch ehemalige Militärs. Bei den Razzien findet die Polizei 273 Schusswaffen und 44.000 Patronen.

Vom Unterstützer zum Mitglied – Frank R.

Auch in Sachsen kommt es an jenem Dezembermorgen zu Durchsuchungen. Im erzgebirgischen Olbernhau werden Christian W., Inhaber einer Landschaftspflegefirma, und Frank R., Betreiber einer Autowerkstatt und außerdem Heilpraktiker, festgenommen. W. soll im Militärstab der Gruppe für die Waffenbeschaffung und die Aufstellung von „Heimatschutzkompanien“ verantwortlich gewesen sein. Die Ermittler*innen betrachten R. als seinen Helfer. Beide sitzen wie weitere 20 Verdächtige in Untersuchungshaft – der Bundesgerichtshof sieht Fluchtgefahr.

R. war von 2004 bis 2009 CDU-Stadtrat. Einwohner*innen beschreiben ihn als ruhig und unauffällig. Er wandte sich später der Esoterik zu, bot „alternative“ Psychotherapien an. Die Ermittler*innen finden bei ihm einen Mailwechsel mit dem russischen Generalkonsulat in Leipzig. Zusammen mit W. hatte er für den 08. Dezember 2022 einen Termin mit dem Vizekonsul vereinbart. Wegen der Razzia kam es nicht dazu. Die Ermittler*innen stellten außerdem fest, dass R. illegal zwei Gewehre für W. aufbewahrte und sich um die Beschaffung nicht-registrierter Pistolenmagazine für den militärischen Arm der Putschist*innen in spe bemüht haben soll.

Der „Veteran“ – Christian W.

Anders als Frank R. trat Christian W. offensiver auf. Zwischen 2016 und Anfang 2020 war W. für die AfD aktiv, saß ab Sommer 2019 im Stadtrat von Olbernhau und im Erzgebirgskreistag. Mit seinem Betrieb erledigte er auch regelmäßig Aufträge der Stadt. In der Pandemiezeit radikalisierte sich W. Im Oktober 2020 berichtete die Freie Presse, dass W. den Stadtrat und die AfD wegen persönlicher Bedrohungen verlassen wolle. Torsten Gahler, Chef des AfD-Kreisverbands Erzgebirge, sagt dazu auf Nachfrage, in seinem Austrittsschreiben habe W. persönliche Gründe genannt, sich vorher schon ins Private zurückgezogen.

Auf der Straße und im Internet

Aufnahmen des Regionalfernsehens zeigen W. im März 2020 als Co-Organisator der örtlichen „Corona-Spaziergänge“. Auch bei einer Aktion auf dem Döbelner Markt im Juli 2021 ist W. dabei. Männer mit Mützen von NVA und Bundeswehr halten damals einen Appell ab. Christian W. kommandiert die „Veteranen“: „Kameraden! Salutiert dem deutschen Volk!“ Beteiligt ist auch der damalige AfD-Fraktionschef von Döbeln, der nach Kritik aus den eigenen Reihen dann die Partei verlässt. W. kümmert sich auf Telegram weiter eifrig um die Vernetzung der „Veteranen“. Im „Veteranen Pool-Chat“ betreibt er im Dezember 2021 ganz offen Reichspropaganda, bezeichnet die Bundesrepublik als GmbH und die Bundeswehr als illegal: „Ein Firmenkonstrukt in einer besetzten Zone darf und kann nach internationalem Recht keine richtige offizielle Armee unterhalten.“ Später appelliert er per Sprachnachricht: „Es kann sein, dass es Ende des Jahres zu einer Pflichterfüllung unsererseits kommen muss. Also bereitet euch darauf bitte vor.“ Am Neujahrstag 2022 schickt W. eine weitere Nachricht in die Gruppe: „Auch von mir allen ein gesundes neues Jahr! Der große Knall kommt diesmal nicht mit dem Jahreswechsel sondern etwas später! 😉 :)”

Für W. persönlich bringt der April 2022 einen „großen Knall“: die erste Durchsuchung seines Wohnhauses. Grund: Er unterhielt auch Kontakte zu den sogenannten Vereinten Patrioten, die inzwischen (seit Mai 2023) wegen der geplanten Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor Gericht stehen. Im Haus von W. findet die Polizei offen herumliegende Waffen, die zum Teil aus den Beständen zweier Schützenvereine stammen. W. leitet bis dato beide Vereine. Nach der Razzia im April schließt ihn ein Verein aus, der andere suspendiert ihn.

Doch W. lässt sich nicht stoppen. Nach Erkenntnissen der Ermittler*innen, die zu diesem Zeitpunkt die „Reuß-Gruppe“ längst abhören und observieren, nahm W. mehrmals an konspirativen Treffen und einem Schießtraining der Verschwörer*innen teil. W., ehemaliger Zeitsoldat der Bundeswehr, ist im militärischen Führungsstab der Truppe für die Versorgung des gesamten künftigen „Militärs“ verantwortlich. Er soll versucht haben, Munition in Tschechien zu kaufen. Bei der Durchsuchung im Dezember 2022 findet die Polizei bei ihm Präsentationen zum Aufbau kasernierter „Heimatschutzkompanien“. Die Ermittler*innen sind überzeugt, dass W. in die geplante Stürmung des Reichstags eingebunden war und dafür Waffen und Munition beschaffen sollte.

Unter Verdacht: Waffenhändler mit NPD-Vergangenheit

Weil Christian W. nach der ersten Razzia seine Berechtigung zum Führen von Waffen verlor, musste er seine Pistolen und Gewehre, die er bis dahin legal besaß, abgeben. Doch die Ermittlungen des Bundeskriminalamtes zeigen, dass W. die Waffen und die Munition offenbar an Vertraute weiterreichte und sich so jederzeit den Zugriff gesichert haben soll. W. soll zwei Gewehre an Frank R., später Mitbeschuldigter, abgegeben haben – auch er war offiziell Sportschütze. Verdächtig machte sich auch ein Chemnitzer Waffenhändler, bei dem ebenfalls im Dezember 2022 durchsucht wurde: Der Mann, früheres NPD-Mitglied, soll W. versprochen haben, acht Gewehre und tausende Schuss Munition für ihn aufzubewahren. Später bestätigt er am Telefon die Übernahme. Als der Waffenhändler Beschwerde gegen die Razzia einlegt, befasste sich der Bundesgerichtshof damit und kommt zu dem Schluss, dass der Mann durch den Kontakt zu W. offenbar in die Pläne der Reichsbürger*innen-Gruppe eingeweiht war.

Mittlerweile sitzen die Hauptbeschuldigten seit Dezember 2022 in Untersuchungshaft. Der Prozess gegen die Reuß-Gruppe beginnt im April 2024 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart sowie Mai 2024 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt a. Main. Unmengen an Daten und die große Anzahl an Angeklagten stellen die Justiz vor eine Mammutaufgabe. Indes scheint das durchaus in dem Schlag gegen die Gruppe angelegte Signal an Teile der Reichsbürger-Szene wenig Eindruck gemacht zu haben. Zumindest jene, die eher auf einen gesellschaftlichen Umbau als einen großen Umsturz bauen, machen weiter. Sechs Monate nach der Razzia kaufen Reichsbürger*innen erneut ein Schloss in Sachsen. Auch in Brandenburg gab es Bemühungen, weiterer Immobilien habhaft zu werden. Zumindest in Teilen der Szene gibt es ein „weiter so“.


Die Journalist*innen Thomas Datt und Nina Böckmann sind langjährige, journalistische Beobachter*innen des Rechtsextremismus in Sachsen.

Der Text stammt aus der Veröffentlichung Bürger*innen ohne Reich – Das Milieu der Reichsbürger*innen in Sachsen.

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Neuerscheinung

Die extrem rechte Telegram-Szene während des sächsischen Kommunalwahlkampfes 2024 – EFBI Digital Report erschienen

Auf Telegram sind die rechtsextremen Freien Sachsen ein zentraler Akteur, ihre Nachrichten werden breit rezipiert. Auch im Kommunalwahlkampf präsentierten sie sich als übergreifende Bewegungspartei. Sich größer zu machen, als sie sind, gehört aber auch zur Strategie der Kleinstpartei. Der Kommunalwahlkampf der Freien Sachsen ist Schwerpunktthema des neuen Digital Reports der Amadeu Antonio Stiftung und des Else-Frenkel-Brunswik-Institut an der Universität Leipzig.

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