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Rat und Tat aus eigener Erfahrung: Die Infostelle Asyl und Bildung in Grimma

Das Dorf der Jugend in Grimma ist ein Ort der gelebten Solidarität. Foto: Dorf der Jugend Grimma

Ali und Nemat engagieren sich in der Infostelle Asyl und Bildung, die in Grimma Geflüchtete bei ihrem Leben in Deutschland, dem Lernen der Sprache und besonders häufig bei ihren asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren unterstützt. Die Probleme von Asylsuchenden und den Umgang mit Behörden kennen die beiden aus eigener Erfahrung. Parteiische Unterstützung für Geflüchtete, das ist eine Seltenheit im ländlichen Sachsen.

Von Niklas Pfeiffer

Wenn Ali und Nemat sich treffen und miteinander sprechen, gehen sie in der Stadt, in der sie leben, ein Risiko ein: Denn sie sprechen Persisch. Und leben in Grimma. Die beiden Männer, die vor über fünf Jahren aus Afghanistan flohen, lernten in der Kleinstadt in der sächsischen Provinz ein Deutschland kennen, das sie unablässig misstrauisch beäugt.

Wir treffen Ali, Nemat und Hannah, die als Sozialarbeiterin in der “Infostelle Asyl und Bildung” tätig ist, in einem Restaurant auf der Leipziger Eisenbahnstraße. Nach dem Essen wird die Stimmung ernster, als sie anfangen, von Grimma zu berichten.

Beide erzählen davon, wie sie immer wieder verbal angegriffen werden. Einmal spricht Ali am Bahnhof Persisch. Ein Mann spricht ihn an, fragt, wie es denn sein könne, dass man in Deutschland nicht Deutsch spreche. “Dann sprich Deutsch mit mir” antwortet Ali. Er ist erleichtert, als der Mann ihn in Ruhe lässt. Nemat wird eines Nachts laut vom Nachbarshund angebellt. Seine Besitzer sagen Nemat, der Hund könne eben zwischen Deutschen und Ausländern unterscheiden.

Nachts sind sie fast nie alleine unterwegs. “Das ist gefährlich”, sagen sie ganz so, als wäre es vollkommen normal. Ali und Nemat fühlen sich nicht sicher in dieser Stadt.

Doch nicht nur einzelne bedrückende Situationen müssen Geflüchtete in Grimma erleben: Fast täglich muss Ali, der eine Ausbildung zum Elektrotechniker macht, in der Berufsschule und während der Arbeit diskutieren. Er muss sich rechtfertigen. Für alle Afghanen in Deutschland. Für jede vermeintliche Straftat eines vermeintlichen “Ausländers”. “Manchmal diskutieren wir so lange, dass wir gar nicht merken, dass die Pause schon längst vorbei ist. Stundenlang”. Oft, so sagt er, will er nicht mehr und fühlt sich müde von den vielen Diskussionen.”

Was sich aber geändert habe, das sei das politische Klima in Deutschland. “Als ich in Deutschland angekommen bin, haben mich Leute willkommen geheißen. Da war ich verwirrt. ‘Wir sind doch Flüchtlinge, keine Fußballspieler’ dachte ich mir da.” Diese Zeiten sind vorbei.

Die Stimmung hat sich gegen Geflüchtete gewendet. Auch wenn die Ablehnung immer da war, in Grimma bemerken sie, wie die gesellschaftliche Stimmung wütender und der Hass offener, unverhohlener geworden ist. Als Björn Höcke zu einer Wahlkampfveranstaltung zur Bundestagswahl nach Grimma kommt, will Ali sich anhören, was er sagt und sich die Menschen dort anschauen und laut widersprechen. Dabei wird er Zeuge, wie ein Mann den Hitlergruß zeigt.

Auch der Umgang mit den Behörden werde immer schwieriger, die Vorgaben immer strenger, sagt Ali. Er und Nemat engagieren sich beide in der Infostelle Asyl und Bildung, die in Grimma Geflüchtete bei ihrem Leben in Deutschland, dem Lernen der Sprache und besonders häufig bei ihren asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren unterstützt. Sie kennen den Umgang mit den Behörden aus ihrer Arbeit und aus eigener Erfahrung.

Einmal die Woche bietet die Infostelle eine offene Beratung an, die bei Problemen aller Art hilft. Am häufigsten brauchen die Menschen Unterstützung, um sich im Bürokratiedschungel zwischen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie örtlichem Ausländeramt zurechtzufinden und ihren Aufenthaltsstatus zu klären. Ohne kundige Hilfe und Sprachkenntnisse fallen mitunter sogar minderjährige Kinder beispielsweise in die sog. „Duldung light“ oder unterliegen drastischen Leistungseinschränkungen im Asylbewerberleistungsrecht, obwohl die Menschenwürde doch eigentlich auch migrationspolitisch nicht zu relativieren sei, erzählt Hannah. Trotz ihrer unbekümmerten Art ist ihr Ärger über den Umgang der örtlichen Behörden mit Geflüchteten in Deutschland offensichtlich.

Mit einer „schlechten Duldung“ ist Arbeit nicht gestattet und die Sozialleistungen sind so gering, dass ein Leben fast unmöglich wird. Ein Umzug ist nicht erlaubt. Menschen mit schlechter Duldung werden zusätzlich von Beamt:innen unter Druck gesetzt, das Land zu verlassen, zum Beispiel, indem sie unablässig beim zuständigen Amt erscheinen müssen. Schon ein versäumter Termin kann ernste Konsequenzen haben.

Die Infostelle hilft hier, um Geflüchteten parteiische Unterstützung anzubieten und ihnen zur Seite zu stehen. Eine Seltenheit im ländlichen Sachsen.

Besonders nach der Übernahme der Macht in Afghanistan durch die Taliban gab es viel zu tun: Mit der veränderten Menschenrechtslage im Land ändert sich auch die Bleibeperspektive für viele Afghan:innen, die bisher nur geduldet waren. So arbeitet die Infostelle Asyl und Bildung daran, möglichst viele Afghan:innen aus dem Status der Duldung zu holen. Und trotz der vielen Arbeit werden sie nicht müde, Menschen zu unterstützen und zu informieren: Als Ali, Nemat und Hannah mit dem Kellner auf persisch ins Gespräch kommen, fragen sie ihn nach seinem Aufenthaltsstatus – er hat nur eine Duldung. Sogleich klären sie ihn auf, erklären ihm, was sich geändert hat und bieten Hilfe an.

Auch nach rassistischen Anfeindungen unterstützt die Infostelle, um die Vorfälle wenigstens zu dokumentieren. Denn Unterstützung von offizieller Seite scheint es nicht zu geben. Die Frage, was die Polizei in Grimma gegen solche Drohungen tut, beantworten Ali und Nemat nur mit einem Lachen. Solidarität erleben sie aus der Stadt wenig, Probleme würden nicht gesehen: “Alle denken immer, dass alles gut ist. Erst wenn du anders bist, eine dunkle Hautfarbe hast, merkst du, was wirklich los ist. Du gehörst zur Gesellschaft nicht dazu”.

Die Infostelle ist in den Räumlichkeiten eines größeren Projekts in Grimma untergekommen: Dem Dorf der Jugend. Auf dem Gelände der alten Spitzenfabrik, einem großen Industriebau aus gelbem Backstein, tummeln sich hier verschiedenste Projekte, die den jungen Menschen, die sich der rechten Hegemonie in Grimma nicht beugen wollen, einen Ort bieten – vom Skatepark bis zu asyl- und aufenthaltsrechtlicher Beratung. In einer Region, die ihnen das Gefühl gibt, niemals Teil der Gesellschaft sein zu werden, ist das Dorf der Jugend auch für Geflüchtete ein Ort der Gemeinschaft und des Zusammenseins. Doch auch wenn sie hier einen Raum gefunden haben, um sich auszutauschen, zu engagieren und zu leben – auf die Frage, ob er in Grimma bleiben will, schüttelt Nemat lachend den Kopf.

Gut, dass er dank der Infostelle seit kurzem eine Aufenthaltserlaubnis erkämpfen konnte – endlich kann er nun umziehen und sein Informatikstudium beenden. Sechs Jahre lang hat er darauf gewartet.

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