Populismus und Rechtsextremismus bedrohen die Demokratie – überall. Demokratiefeindlichkeit ist ein globaler Trend, der sich nicht national und isoliert betrachten lässt. Egal ob in Frankreich, Polen, Ungarn, Italien oder den Niederlanden: Rechtsextreme Parteien sind in ganz Europa auf dem Vormarsch. In Deutschland geben die Wahlerfolge der AfD bei den Landtagswahlen im Osten und bei der Europawahl bereits einen kleinen Vorgeschmack auf die Bundestagswahl 2025. Aktuelle Umfragen ordnen die rechtsextreme Partei zwischen 16 und 19 Prozent ein. Doch hohen Stimmenanteile sind aber nur die Spitze des Eisberges rechtsextremer Normalisierungsprozesse: Ein alarmierender Anstieg rechter Gewalt, immer mehr Menschen mit Migrationsgeschichte planen abzuwandern und rechtsextreme und menschenfeindliche Ideen setzen sich außerhalb der Parlamente durch. Noch ist kein Zaubermittel gefunden, doch es lohnt sich zu betrachten, wie andere europäische Länder mit Rechtsextremen umgehen, um Rückschlüsse für Deutschland und den Umgang mit der AfD ziehen zu können. Aber jeder dieser Ansatz hat Vor- und Nachteile und kann verschiedene Auswirkungen auf die politische Landschaft haben.
Brandmauer: Ignorieren, Ausgrenzen und Sanktionieren
Viel beschworen, selten intakt und kaum noch aufrechtzuerhalten – lange Zeit galt die sogenannte Brandmauer, also das konsequente Ignorieren und Ausgrenzen von Rechtsextremen als Goldstandard. Doch wie steht es um die Brandmauer, wenn rechtsextreme Parteien bei teilweise über 30 Prozent stehen und Ämter erringen, während gerade auf lokaler Ebene kaum noch Politik ohne sie möglich ist?
Die Brandmauer-Strategie soll verhindern, dass rechtsextreme Positionen und Personen eine Plattform oder e Podium zur Selbstdarstellung bekommen. Rechtsextreme Politiker*innen werden von offiziellen Ämtern ferngehalten, Anträge kategorisch abgelehnt, Mitsprachemöglichkeiten verwehrt. Damit soll für Wähler*innen klargestellt werden: Parteien wie die AfD stehen außerhalb des demokratischen Spektrums und werden niemals direkt oder indirekt politische Macht erhalten. Eine Stimme an sie ist folglich eine verlorene Stimme. Alle Mittel des Rechtsstaates werden genutzt, um rechtsextreme Aussagen zu sanktionieren und Gruppierungen zu verbieten. Die Brandmauer wird auch um die demokratischen Institutionen gebaut, indem (Verfassungs-)Gerichte, aber auch Presse- und Versammlungsfreiheit vor rechtsextremen Vereinnahmungen geschützt werden.
So hoffnungsvoll diese Strategie auch klingen mag, so unrealistisch ist ihre langfristige Umsetzung. Eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlins (WZB) zeigt zwar, dass die Brandmauer in den ostdeutschen Kommunen bisher durchaus effektiv ist: Vier von fünf Anträgen der AfD fanden keine Unterstützung der anderen Parteien. Die Autor*innen warnen dennoch vor einer Normalisierung der AfD und zweifeln auch in Anbetracht der jüngsten Wahlerfolge bei den Landtagswahlen die langfristige Effektivität der Brandmauer an. „Um sie fortzuführen, braucht es engagierte Demokraten und strategisch klug aufgestellte Parteien, die den kommunalen Raum als Basis ihrer Handlungsfähigkeit begreifen”, so die Autor*innen.
Die Aufrechterhaltung einer Brandmauer erfordert eine sehr gute überparteiliche Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien. Der Ausschluss der rechtsextremen Partei muss für alle anderen Konsens sein, sonst bricht die Brandmauer in sich zusammen. Die Strategie kann selbst populistisch ausgeschlachtet werden. Rechtsextreme Akteur*innen können die Brandmauer als Beweis ihrer radikalen Systemopposition gegen „die da oben“ nutzen und sich als Opfer angeblicher Diskriminierung darstellen.
Der Fall des ersten AfD-Landrats in Sonneberg hat gezeigt: Die Brandmauer bricht zunächst auf kommunaler Ebene, spätestens dann, wenn rechtsextreme in Ämter gewählt werden und ist angesichts der erreichten Sperrminorität in Thüringen auch auf der Landesebene nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dennoch ist die Brandmauer der ideale Grundkonsens, an den sich alle demokratischen Parteien halten sollten.
Repression: Die Mittel des Rechtsstaates vollumfänglich ausschöpfen
In Deutschland hält sich nach wie vor hartnäckig der Glaube, dass der Verfassungsschutz über die Mittel verfügt, die Demokratie vor dem parteiförmigen Rechtsextremismus zu schützen. Dabei sammelt er vor allem Informationen und stuft Parteien als demokratiegefährdend ein, er gilt als „Frühwarnsystem”. Doch was ist, wenn die Warnung verhallt? Ein bundesweiter Verdachtsfall und drei gesichert rechtsextreme Landesverbände später wird die Demokratie immer noch durch die AfD bedroht. Doch es gibt auch juristische Mittel wie Parteiverbote, Parteiausschlussverfahren oder die strafrechtliche Verfolgung rechtsextremer Straftaten. Die Repressionsstrategie zielt darauf ab, den rechtlichen Rahmen des Rechtsstaates vollumfänglich zu nutzen, um rechtsextreme Akteure zu sanktionieren.
Einzelne rechtliche Mittel können helfen, rechtsextreme Parteien empfindlich zu schwächen. Jedoch dauert der Prozess oft sehr lange – Stichwort angestrebtes Parteiverbotsverfahren – und kann von den Betroffenen populistisch ausgeschlachtet werden – Stichwort Compact Verbot – was ihre Opferinszenierung verstärkt. Zudem ändert dies nichts an der gesellschaftlichen Präsenz rechtsextremer Positionen. Zwar verlieren Rechtsextreme durch Verbote wichtige Ressourcen und Zugänge zu Informationen, wie finanziellen Mitteln, doch das Ganze kann auch nach hinten losgehen, wie nicht zuletzt das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren zeigt. Nicht nur, weil die Hürden für solche Maßnahmen in einer liberalen Demokratie zu Recht sehr hoch sind. Staatliche Repression kann und darf immer nur ein Teilstück in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremen sein. Gerade deshalb ist es wichtig, demokratische Institutionen und Grundrechte zu schützen, dazu gehören Gerichte, Presse- und Meinungsfreiheit sowie das Versammlungsrecht. Sie verteidigen den Rechtsstaat und sind damit Instrumente einer wehrhaften Demokratie.
Die offene Tür: Konfrontieren und Entlarven
Lange Zeit war in Deutschland die Rede davon, man müsse Rechtsextreme nur inhaltlich stellen, dann würden sie sich schon selbst entzaubern. Strategisch bedeutet das Konfrontation und nicht nur das Warten auf ein Wunder. Diese Strategie setzt auf die aktive Auseinandersetzung mit rechtsextremen Politiker*innen und ihren Inhalten, um Wähler*innen durch bessere Argumente zu überzeugen. Das funktioniert nur, solange der öffentliche Diskurs intakt ist und noch nicht mit Desinformation überflutet wird. Rechtspopulistische und rechtsextreme Forderungen und Behauptungen werden sachlich entkräftet, im Idealfall ohne ihnen eine politische Aufwertung zu geben. Doch der Idealfall ist selten, denn Konfrontation bedeutet oft, Inhalten eine offizielle Plattform zu bieten. Durch die Auseinandersetzung erfahren extrem rechte Akteur*innen Aufwertung, weil sie als vermeintlich legitime Gesprächspartner*innen erscheinen.
Deswegen ist es in Diskussionen und Konfrontationen wichtig, die Deutungshoheit nicht den Populist*innen zu überlassen und ihre Narrative konsequent zu widerlegen – nicht nur im Parlament, sondern auch im Alltag. Ein optimistisches Weltbild und positive Narrative für die Zukunft entziehen den rechtsextremen Positionen die Basis. Das geht aber nur zu einem gewissen Grad gut. Insbesondere Desinformation, Missinformation und ein immer mehr erodierender öffentlicher Diskurs führen dazu das es kaum noch um den Austausch des besseren Arguments gehen kann.
Rechtsextreme dürfen nie als vermeintlich normale Stimmen gelten, weil sie selbst die Spielregeln und Grundlagen der Demokratie verachten. Zumal die oft menschenfeindliche und verletzende Sprache rechtsextremer Akteur*innen (re-)traumatisierend für Betroffene ist. Rechtsextreme Parteien liefern einfache Antworten auf komplexe Probleme, von denen sie auch nicht abrücken werden, wenn diesen Antworten rationale Gegenargumente gegenübergestellt werden.
Die Räuberleiter: An der Macht entzaubern
Populistische und rechtsextreme Parteien wie die AfD neigen dazu, radikale und unrealistische Versprechen zu machen. Die Strategie entspricht daher einem „einfach mal machen lassen“ und setzt darauf, dass AfD und Co, sobald sie politische Verantwortung übernehmen, an ihren eigenen Versprechungen scheitern, damit ihre Wähler*innen enttäuschen und sich so selbst entzaubern.
Die Praxis zeigt, dass diese Enttäuschung oft nur von kurzer Dauer ist, während Rechtsextreme ihre Machtbasis über Personal und Verordnungen in Behörden und Verwaltung ausbauen können und etwa durch Parteienfinanzierung über weitaus mehr Ressourcen verfügen. Das führt oft dazu, dass noch extremere und radikalere Kräfte an Einfluss gewinnen. Oder schlimmer: Rechtspopulistische Regierungen können ihre Macht nutzen, um aktiv demokratische Strukturen und Institutionen abzubauen, wie etwa in Ungarn. Unter Viktor Orbán, der als Rechtspopulist mit euroskeptischer Agenda antrat, wurde das Land zur illiberalen Demokratie umgebaut. Verfassungsreformen und Einschränkungen der Pressefreiheit inklusive.
Das offene Ohr: Sorgen ernst nehmen
Rechtsextreme Positionen finden vor allem da Gehör, wo Menschen Angst vor sozialem oder wirtschaftlichem Abstieg haben. Verschiedene Studie belegen, dass staatliche Sparprogramme und ausbleibende Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zum Erstarken rechtsextremer Parteien beitragen. Sozialstaatliche Programme und Investitionen verhindern diese Sorgen und entziehen rechtsextremen Parteien ihren Nährboden. Diese Strategie setzt langfristig auf den Ausbau des Sozialstaats, Investitionen in Bildung und Infrastruktur sowie eine gerechtere Steuerpolitik, um soziale Spaltung abzubauen. Auch ohne Rechtsextreme in den Parlamenten eine gute Idee.
Es geht darum, die Sorgen der Bürger*innen ernst zu nehmen und durch kontinuierliches Engagement vor Ort, auch außerhalb des Wahlkampfs, um Vertrauen zurückzugewinnen. „Kümmerer vor Ort” kann nicht nur die AfD. Eine starke Präsenz in sozialen Medien und das Eingehen auf die „kleinen Probleme“ des Alltags spielen eine wichtige Rolle: konsequente Kommunikation und Ansprechbarkeit. Diese Strategie setzt jedoch nicht allein auf Politik, sondern erfordert auch das Engagement der gesamten demokratischen Zivilgesellschaft.
Der Filter: Zivilisieren durch Einbindung und Aneignung
Die Filter-Strategie beschreibt die selektive Einbindung rechtsextremer Parteien und Aneignung ihrer Themen. Indem demokratische Parteien den Filter steuern, sollen die Positionen zivilisiert und Gemäßigten in rechten Parteien Oberhand verschafft werden. Inhalte und Sprache der extremen Rechten werden von den demokratischen Parteien in Teilen übernommen und in weniger radikaler und kontrollierter Form umgesetzt. Indem sich demokratische Parteien bestimmte Themen wie die Begrenzung von Einwanderung zu eigen machen, wollen sie die Wähler*innen rechtsextremer Parteien zurückgewinnen. Gleichzeitig sollen rechtsextreme Parteien durch die Unterstützung gemäßigter Positionen und Personen wieder demokratischen Boden unter die Füße bekommen.
Als Positivbeispiel wird oftmals eine Studie von Bonnie Menguid über Dänemark aus dem Jahr 2005 angeführt. Als die Dänische Volkspartei immer höhere Wahlerfolge verzeichnen konnte, begannen die Sozialdemokrat*innen, die Positionen der rechtsextremen Partei hinsichtlich der Beschränkung von Einwanderung zu übernehmen. Die Stimmenanteile der Dänischen Volkspartei nahmen daraufhin in den folgenden Jahren wieder ab, die Sozialdemokratische Partei verzeichnete Wahlerfolge. Dänemark ist aktuell das europäische Land, mit der geringsten Anzahl an Wähler*innen nominell rechtsextremer Parteien.
Doch die Erfahrungen zeigen, dass eine Beteiligung rechtsextremer Politiker*innen und die Aneignung ihrer Themen nur selten zu ihrer Zivilisierung führt. Vielmehr trägt diese Strategie durch eine Verschiebung des politischen Spektrums nach rechts zur Normalisierung von rechtsextremen Positionen bei. So ist Dänemark in Europa mittlerweile auch als das Land bekannt, das am härtesten gegen Einwanderung vorgeht. Ziel der dänischen Regierung sind „null Asylanträge”, ob diese Forderung von einer sozialdemokratischen oder rechtsextremen Partei kommt, ist am Ende egal, das Ziel ist nicht menschenrechtskonform und menschenfeindlich. Dass diese Maxime auch gegen das internationale Asylrecht verstoßen würde, scheint der sozialdemokratischen Regierung egal zu sein und verkommt zur Randnotiz.
Das dänische Beispiel zeigt vor allem eins: Der Kampf gegen den parlamentarischen Rechtsextremismus ist kein Selbstzweck. Ziel sollte es nicht sein, einem selbst erklärten parlamentarischen Gegner um jeden Preis die Wähler*innenstimmen zu nehmen. Geflüchteten dürfte es egal sein, welche Partei für ihre Abschiebung verantwortlich ist. Auch Bürgergeldbezieher*innen interessiert vermutlich wenig, wer genau die Kürzungen ihrer Sozialleistungen verabschiedet hat. Vielmehr müssen demokratische Parteien den Wähler*innen überzeugende Gegenentwürfe zu menschenfeindlichen Forderungen präsentieren.
Der Hoffnungsschimmer: Unterstützung der kritischen Zivilgesellschaft
Angesichts der vielen Schwächen der vorgestellten Strategien kann der Kampf gegen den parlamentarischen Rechtsextremismus schnell aussichtslos erscheinen. Keine Strategie ist ein Allheilmittel, vielmehr sind es Versatzstücke, die in manchen Situationen erfolgversprechend sein können. Nicht vergessen werden darf jedoch die Kraft der Zivilgesellschaft und eine intakte demokratische Kultur: Als in Reaktion auf die CORRECTIV-Recherche im Frühjahr 2024 zeitweise Millionen Menschen in ganz Deutschland gegen Rechtsextreme und ihre Massendeportationsfantasien auf die Straße gegangen sind, büßte die AfD an Stimmen ein. Leider ist aus der kurzfristigen Empörung keine langfristige zivilgesellschaftliche Kraft entstanden. Der Zusammenschluss und die Mobilisierung waren situativ, aber nicht nachhaltig. Es fehlte ein Narrativ, über die Ablehnung Rechtsextremer hinaus. Regelmäßige Demonstrationen, aber auch öffentliche Veranstaltungen, Bildungsangebote sowie die Unterstützung unabhängiger (kritischer) Medien können die Normalisierung rechtsextremer Parteien ausbremsen. Insbesondere die Unterstützung der Kinder- und Jugendarbeit besitzt ein nachhaltig präventives Potenzial, indem junge Menschen schon früh in demokratische Prozesse eingebunden, demokratisch sensibilisiert und aufgeklärt werden. So entsteht ein positives Bild der Demokratie und ihrer Prozesse. Jugendliche werden selbstwirksam.
Der Kampf gegen den parlamentarischen Rechtsextremismus kann nicht in den Parlamenten allein gewonnen werden. Aber auch Verbote werden die Bedrohung durch Rechtsextreme und Demokratiefeinde nicht bannen. Am Ende kommt es, wie es sich für eine Demokratie gehört, auf alle an.