Am 15.03.2019 haben rechtsextreme Terrorist*innen in Neuseeland 50 Menschen ermordet und 50 weitere zum Teil schwer verletzt. Zwei Moscheen wurden angegriffen, die Masjid-al-Noor-Moschee in Christchurch und eine Moschee im Vorort Linwood. Um 13:45 Uhr Ortszeit sollen laut Augenzeugenberichten, die ersten Schüsse gefallen sein. 300 Gläubige befanden sich zu dem Zeitpunkt im Gebäude. Vier Verdächtige wurde festgenommen, drei Männer und eine Frau, drei von ihnen sollen unmittelbar an der Tat beteiligt gewesen sein. Drei der Personen kommen aus Neuseeland, ein vierter Terrorist aus Australien. Der 28-jährige Mann hat vor der Tat ein „Manifest“ mit dem Titel „The Great Replacement“ („Der große Austausch“) veröffentlicht. Während der Terrorattacke hat der Mann den Anschlag live gestreamt, was in der Optik wie ein Egoshooter wirkt, nur dass es hier um die reale Ermordung von Menschen geht.
Der Artikel erschien zuerst auf belltower.news
Mindestens eine Bombe wurde von der Polizei entschärft, auch das Auto der Verdächtigen soll mit Sprengstoff präpariert gewesen sein. Mike Bush, der New Zealand Police Commissioner und damit der höchste Polizeibeamte des Landes, riet neuseeländischen Muslim*innen am Freitag: „Ich möchte jeden, der heute darüber nachgedacht hat, eine Moschee in Neuseeland zu besuchen, darum bitten, das nicht zu tun, und seine Türen zu schließen, bis er wieder von uns hört.“ Etwa 46.000 Menschen, weniger als ein Prozent der Bevölkerung in Neuseeland, sind Muslime.
Der 28-jährige Festgenommene hatte einen – mittlerweile gelöschten – Twitteraccount unter dem Namen „Brenton Tarrant“. Zwei Tage vor der Tat postete er auf dem Kanal Bilder von Waffen, die in weißer Farbe beschriftet waren. Die gleichen Waffen sind auch im gestreamten Video der Tat zu sehen. Unter anderem ist die „schwarze Sonne“ abgebildet, ein von Neonazis verwendetes Erkennungszeichen mit nationalsozialistischem Ursprung. Außerdem ist auch immer wieder die Zahl 14 zu lesen. 14 ist in der extremen Rechten ein Code für die „14 Words“ des amerikanischen Neonazis David Lane: „We must secure the existence of our people and a future for white children”. Zu deutsch: „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für unsere weißen Kinder sichern.“ Fast exakt diesen Wortlaut verwendet „Brenton Tarrant” auch in seinem „Manifest” zu der Frage, warum er die Tat begehen will. Daneben sind auch Namen zu sehen, die in Zusammenhang mit der Schlacht am Kahlenberg von 1683 stehen, die vor allem in der sogenannten „neuen“ Rechten ein zentraler Bezugspunkt ist . In der „Schlacht um Wien“ besiegte ein deutsch-polnisches Heer die osmanische Armee. Außerdem ist auch das Wort „Migration Compact“ zu sehen: der „Migrationspakt“ der UN, der im vergangenen Jahr mit Hilfe einer rechtspopulistischen und rechtsextremen Desinformationskampagne erfolglos verhindert werden sollte.
Der rechtsextreme Terrorist von #Christchurch hat vor den Schüssen auf die Moscheen seine Waffen und Magazine mit Namen beschriftet. Viele der Personen stehen im Zusammenhang mit der Schlacht um Wien 1683. #Neuseeland pic.twitter.com/1HnuSfMDVn
— Jan-Henrik Wiebe (@jan_wiebe) 15. März 2019
„Der große Austausch“
Der Titel des Manifests von „Tarrant“, „Der große Austausch“ ist eine direkte Referenz auf ein Essay des französischen Vordenkers der sogenannten „neuen“ Rechten, Renaud Camus, mit dem gleichen Titel. „Der große Austausch“ ist eine Verschwörungserzählung, die behauptet, dass europäische „Völker“ von „Eliten“ durch Geflüchtete, hauptsächlich Muslime, ausgetauscht würden. Ziel ist dabei laut „neuer“ Rechter die Schwächung Europas, um die „Völker“ des Kontinents leichter manipulieren zu können. Jan Rathje ist ein Experte der Amadeu Antonio Stiftung für Verschwörungsideologien und erklärt: „Während in Kreisen der ’neuen Rechten‘ zumeist die Verantwortlichen für den ‚Austausch‘ nicht genannt, oder in antisemitischen Codes, etwa als ‚Kulturmarxisten‘ oder ‚Globalisten‘, beschrieben werden, hat diese Erzählung in der extremen Rechten eine explizit antisemitische Tradition. Dort wird angenommen, dass die europäische und die US-amerikanische Regierungen von einer ‚jüdischen Weltverschwörung‘ gesteuert diesen ‚white genocide‘ (Genozid an Weißen) durchführen.“
Die Austauscherzählung ist ein zentrales Ideologieelement der sogenannten „neuen“ Rechten geworden. Rechtspopulist*innen wie Beatrix von Storch beziehen sich darauf, neurechte Zeitschriften wie die „Sezession“ des Kleinverlegers Götz Kubitschek, verteidigen das Konzept.
Besonders wichtig ist das Konzept für die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“. Das Manifest des Attentäters von Christchurch weist dabei markante Parallelen zu Verlautbarungen der IB auf. Auf ihrer Website schreiben die Rechtsextremen: „Durch niedrige Geburtenraten der deutschen und europäischen Völker bei gleichzeitiger massiver muslimischer Zuwanderung werden wir in nur wenigen Jahrzehnten zu einer Minderheit im eigenen Land.“ Im Manifest steht: „Wenn es ein Sache in diesem Text gibt, die du dir merken solltest, ist es die, dass die Geburtenraten sich ändern müssen. […] Jeden Tag werden wir weniger, wir werden älter, wir werden schwächer. Wir müssen die Geburtenraten erhöhen, oder es wird uns umbringen.“
Die Identitären schreiben: „Die Fortsetzung der aktuellen Familien- und Einwanderungspolitik wird nach allen zugrundeliegenden mathematischen Modellen das Verschwinden der Deutschen und Europäer in ihren eigenen Ländern zur Folge haben. Bereits heute weisen nahezu 50% aller Neugeborenen in deutschen Großstädten einen Migrationshintergrund auf.“ Das Manifest behauptet, dass trotz der niedrigen Geburtenrate in europäischen und „westlichen“ Ländern, die Bevölkerung wachse: „Masseneinwanderung und die höhere Fruchtbarkeit der Migranten führen zu diesem Bevölkerungswachstum. […] Die Krise aus Masseneinwanderung und niedrigen Geburtenraten ist ein Angriff auf die europäischen Völker, der wenn nichts dagegen getan wird, am Ende zu einem kompletten ethnischen und kulturellen Austausch der europäischen Völker führen wird.“
Das „Manifest“ – Ein Aufruf zum Terror
Der amerikanische Fachjournalist Robert Evans versteht das Manifest als Aufruf, der sich direkt an virtuelle Unterstützer*innen vor allem aus dem Umfeld des Imageboards 8chan richtet. Auf der Website soll Tarrant die Anschläge angekündigt haben.
Immer wieder rufen der oder die Verfasser*innen des Textes dazu auf, selbst aktiv zu werden. Sie liefern gar eine Liste mit potentiellen Opfern: Kanzlerin Angela Merkel, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und den Londoner Bürgermeister Sadiq Khan. Auch sollen Wirtschaftsakteur*innen getötet werden: „Wenn jemand ein Unternehmen oder eine Firma betreibt und den Massenimport Nicht-Weißer fördert, um die eingeborene europäische Bevölkerung zu ersetzen, muss dieser Verräter zerstört werden.“ Darunter steht in Großbuchstaben: „KILL YOUR LOCAL ANTI-WHITE CEO“.
Mattias Quent, Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena interpretiert das Manifest so: „Die Täter sehen sich als Krieger im Kampf gegen die angebliche Islamisierung. So soll ein Bürgerkrieg zwischen weißen Nationalisten einerseits und Einwanderern, Muslimen und Demokraten andererseits ausgelöst werden. Der Täter sieht sich selbst als Teil einer globalen, rassistischen und neofaschistischen Bewegung. Und tatsächlich breitet sich diese Ideologie vor allem über das Internet international aus – einige der Vordenker kommen aus Deutschland.“
Evans erkennt in großen Teilen des Manifests sogenanntes „Shitposting“, also unterschiedliche, teils ironische und plakative Inhalte, die dazu gedacht sind, Leser*innen zu provozieren oder auf falsche Fährten zu locken. So gibt es beispielsweise einen „Interviewteil“, in dem der oder die Verfasser*innen gefragt werden, ob Videospiele sie dazu gebracht hätten, Gewalt auszuüben.
Gleichzeitig finden sich im Manifest und auch im Video der Tat Anspielungen auf das 8chan-Umfeld oder die amerikanische Alt-Right-Bewegung. Zu Anfang des Videos ruft „Tarrant“ beispielsweise dazu auf, einen in der Szene beliebten YouTuber zu abonnieren. Während der Fahrt zu der Tat läuft im Hintergrund „Remove Kebab“, ein Lied, das ursprünglich von serbischen Soldaten als Tribut für einen Kriegsverbrecher veröffentlicht wurde und das zum antimuslimischen 8chan-Meme geworden ist.
Dabei tritt aber immer wieder Rassismus und Hass zu Tage. So sei das Töten der „Invasoren“ – gemeint sind Migrant*innen – ein Beitrag zum Umweltschutz, da dadurch etwas gegen die Überbevölkerung getan werde, die für den Klimawandel verantwortlich sei.
Beim Publikum kommt das Massaker dementsprechend gut an. Auf 8chan wartet man bereits auf die nächste Tat.
Bezeichnend ist in dem Zusammenhang, wie die extreme Rechte in Deutschland mit aller Kraft versucht, den rechtsextremen Terroranschlag von Christchurch von sich wegzulenken. Der Hauptverdächtige wird dort kurzerhand zum „Umweltaktivisten“ erklärt, weil er sich in seinem Manifest selbst „Eco-fascist“ nennt. Unterschlagen wird, dass das Manifest vor Rassismus, Nationalismus, und Vorstellungen einer „Weißen Überlegenheit“ strotzt. Der Täter bezieht sich auf den Rechtsterroristen Anders Breivik und ruft zu weiteren Morden an Aktivist*innen, Linken und Politiker*innen wie Bundeskanzlerin Angela Merkel auf. Sein Fabulieren vom „großen Austausch“ ist das was die extreme Rechte seit Jahren tut.