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Reportage

Cottbus 1992 bis 2022 – 30 Jahre Rechtsextremismus 

Menschenmenge und Plakate bei einer Demonstration von "Zukunft Heimat" 2018

Wie in ganz Deutschland häuften sich auch in Cottbus in den Baseballschlägerjahren rechte Gewalttaten. Heute weiß aber fast niemand mehr davon. Bei einem Besuch in Cottbus blicken wir zurück auf die rassistischen Ausschreitungen im Jahr 1992 und suchen nach den rechten Strukturen, die die Stadt auch heute immer noch prägen. 

von Anna König

Cottbus-Sachsendorf 1992:  Nur drei Tage nach dem rassistischen Pogrom in Rostock-Lichtenhagen, vom 29. bis zum 31. August 1992, greifen 200 Neonazis eine Geflüchtetenunterkunft an. Organisiert mit Funkgeräten und bewaffnet mit Messern, Steinen und Molotow-Cocktails. Es fliegen Brandsätze auf Wohnhäuser und Autos, 300 Polizist*innen stehen zwischen dem rassistischen Mob und den angsterfüllten Heimbewohner*innen. Die Feuerwehr wird, wie schon in Lichtenhagen, massiv bei ihren Löscharbeiten behindert. Erst nach drei Tagen beruhigt sich die Situation. In der Presse werden die Ereignisse danach vielfach bagatellisiert und entpolitisiert, Betroffene und Gegenstimmen kommen nicht zu Wort.

Auf die gewalttätigen Angriffe von 1992 angesprochen, weiss niemand der Passant*innen, was damals passiert ist. Einzig eine ältere Dame an der Tramhaltestelle erinnert sich dunkel. Das Gespräch mit der 80-Jährigen, die bereits seit 56 Jahren in Cottbus lebt, zeigt die Alltäglichkeit rechten Terrors in den 1990er Jahren. Die mehrtägigen, gewalttätigen Ausschreitungen habe sie damals kaum bemerkt. „Ich habe am anderen Ende der Stadt gelebt, da bekam man so etwas nicht mit.“ Ihre Erzählungen passen in das Bild der frühen 1990er: Rassistische Gewalt war an der Tagesordnung, einzelne Übergriffe bekamen keine besondere Aufmerksamkeit. Auch, weil sich die Ausschreitungen nur drei Tage nach dem Pogrom in Lichtenhagen abspielten. Medien und Politik konzentrierten sich damals noch auf die Geschehnisse, die knapp 350 km entfernt stattgefunden hatten. Dazu waren Berichte von rassistischen Ausschreitungen nichts, was eine Stadt sonderlich attraktiv machte. Besonders in den neuen Bundesländern wollte man nicht in das Bild der „Modernisierungsverlierer“ und „Nazihochburg“ passen. Die Nachwendezeit war geprägt vom Strukturwandel in der Region und wachsender Arbeitslosigkeit. „Wir hatten damals auch einfach andere Sorgen“, erinnert sich die ältere Dame.

Auch im Nachhinein fand in Cottbus keine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Ausschreitungen statt. Anstatt die Perspektive von Betroffenen einzuholen, initiierte der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) im September 1992 Bürger*innen-Dialoge in Cottbus-Sachsendorf. Mit dem Führungskader der „Deutschen Alternative“  (DA) waren auch professionelle und in ganz Deutschland vernetzte Neonazis Teil der Gespräche und bekamen eine Plattform, um ihre rassistischen Positionen zu verbreiten. Die Neonazi-Partei war zu Beginn der 1990er drittstärkste Mitgliederpartei in Brandenburg – vor allem bei Jugendlichen fand sie mit vermeintlich sozialen Parolen, geschickter Jugendarbeit und militanter Aktivität Zulauf. Zwar wurde die DA 1992 wieder verboten. Die professionelle Vernetzung, die durch die Parteistruktur entstanden war, blieb jedoch bestehen. In den Nachwendejahren wurden bereits zuvor bestehende rechte Strukturen mit Hilfe aus Westdeutschland weiter aufgebaut. Auch heute noch ist die Szene gut vernetzt und organisiert.

„Es gibt da schon ein paar bekannte Leute, die häufiger Stress machen“

Auf den ersten Blick fallen rechte Strukturen in der Stadt nicht unbedingt auf. Bei genauerem  Hinschauen werden sie aber schnell sichtbar. Eine Gruppe Schüler*innen in der Innenstadt hat zwar noch nie von den Ausschreitungen 1992 gehört, die Frage nach der Präsenz von Neonazis bejahen alle aber prompt: „Ja, in meiner Klasse gibt es einen, der ist offen Neonazi“, erzählt eine Achtklässlerin. In der Stadt scheinen sich Rechtsextreme nicht zu verstecken. „Es gibt da schon ein paar bekannte Leute, die häufiger Stress machen. Ich halte mich da raus, aber bekomme es trotzdem mit“, erzählt eine junge Frau, mit Kinderwagen und Kleinkind auf dem Arm, auf dem Marktplatz. Auch, dass Schwarze Menschen auf der Straße von Neonazis verfolgt wurden, habe sie schon mitbekommen. Ob Neonazis in der Schule, Anfeindungen oder die Präsenz stadtbekannter Neonazis, die Passant*innen sind sich einig: Cottbus hat ein Naziproblem.

Im Zuge verstärkter Migrationsbewegungen erlebt die rechtsextreme Szene seit 2015 in ganz Deutschland neuen Aufwind. In der Debatte um Migrationspolitik werden in Deutschland offen rassistische und islamfeindliche Positionen salonfähig. Auch in Cottbus versuchen Neonazis neue Anhänger*innen zu gewinnen und nutzen das Thema zur Mobilisierung. Im Süden Brandenburgs gründet sich 2015 der rechtsextreme Verein „Zukunft Heimat“. Die neonazistische Bewegung „besorgter Bürger“ warnt vor der „Zerstörung der Heimat“ und der Bedrohung durch „gewalttätige Fremde“. Durch inszenierte Bürgerlichkeit und Heimatliebe mobilisiert der Verein unter dem Motto „Grenzen ziehen!“ zu asylfeindlichen Demonstrationen. Während zu Beginn alle zwei Wochen etwa 450 Personen an den Demonstrationen teilnehmen, zeigt sich drei Jahre später ein anderes Bild: Nach mehreren Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Geflüchteten im Jahr 2018, erlebt die Mobilisierungsstärke einen Höhepunkt. „Zukunft Heimat“ mobilisiert 3.000 bis 3.500 Menschen zu Demonstrationen. Teilnehmende sind Aktivist*innen der Identitären Bewegung, der Ein Prozent-Bewegung, rechtsextreme Hooligans von Energie Cottbus und die Brandenburger AfD. Auch bekannte Köpfe von PEGIDA beteiligen sich mit Redebeiträgen. Wie bereits 1992 reagiert die Stadtpolitik mit Bürger*innen-Dialogen. Wieder wird Rassismus reproduziert: Teilnehmende äußern antimuslimisch-rassistische und verschwörungsideologische Positionen, die von vielen der Zuhörenden mit Applaus begrüßt werden. Wieder sind unter den Teilnehmenden fast keine Personen mit Migrationsgeschichte. Marginalisierte Perspektiven: Fehlanzeige.

Die rassistischen Mobilisierungen haben brutale Folgen. Der Verein „Opferperspektive e.V.“ aus Cottbus dokumentiert einen alarmierenden Anstieg rechter und rassistischer Gewalt in der Stadt. Im Jahr 2015 verdreifachte sich die Anzahl rechter Übergriffe im Vergleich zum Vorjahr auf 28. Im Folgejahr erreichten sie mit 41 Angriffen einen erschreckenden Höhepunkt. Auch 2017 und 2018 erfasste die Opferperspektive in Cottbus 32 und 36 Taten. Mittlerweile sind die erfassten Übergriffe rückläufig. 16 Fälle im letzten Jahr zeigen jedoch, dass es immer noch ein rassistisches Klima in der Stadt gibt.

Neben Verbindungen zu PEGIDA und der „Identitären Bewegung“ pflegt der rechtsextreme Verein „Zukunft Heimat“ Kontakt zur AfD. Die Partei teilt auf ihrem Telegram Kanal fleißig Inhalte und Demonstrationsaufrufe von „Zukunft Heimat“. Im Gegenzug wirbt die Initiative für die Wahl der AfD. Gemeinsame Demonstrationen stellen die Stadt wiederholt vor ein Sicherheitsproblem. Immer wieder kommt es zu Eskalationen, Angriffen auf Polizei und Journalist*innen. Seit der COVID-19-Pandemie nutzen Rechtsextreme die Kritik an Infektionsschutzmaßnahmen zur Mobilisierung. Im Dezember 2021 erreichen die Anti-Corona-Demos mit bis zu 5.000 Teilnehmenden einen Höhepunkt. Die Teilnehmenden versuchen erst gar nicht ihren Antisemitismus zu verstecken, sondern stellen ihn durch gelbe Davidsterne mit der Inschrift „nicht geimpft“ zur Schau.

In Cottbus finden in knapp einem Monat Bürgermeister*innenwahlen statt, der Wahlkampf der demokratischen Parteien ist bislang aber kaum sichtbar. Die ältere Dame von  der Tramhaltestelle bestätigt den Eindruck: „Von der anstehenden Wahl bekommt man im Alltag fast gar nichts mit.“ Und sie erkennt das Problem: „Viele gehen gar nicht wählen. Entweder sie bekommen es nicht mit, oder sie denken Bürgermeisterwahlen sind doch nicht so wichtig.“ Dabei ist das Bürgermeister*innen-Amt ein sehr bedeutsames. So entscheidet die Kommunalpolitik beispielsweise über Fördermittel für zivilgesellschaftliche Projekte. Die AfD versucht bereits in vielen anderen Kommunen lokalen Einfluss zu gewinnen. Auch in Cottbus rühren sie bereits fleißig die Werbetrommel. Der AfD werden gute Chancen zugerechnet, den neuen Bürgermeisterkanditaten für Cottbus zu stellen.

Sicherheit – ein Fall für Neonazis 

In der Spree-Galerie, einem Einkaufszentrum in der Innenstadt, verweist eine junge Frau bei der Frage nach rechten Strukturen auf den Sicherheitsdienst, dessen Mitarbeiter sich 20 Meter entfernt unterhalten. Für Sicherheitsfragen seien in Cottbus häufig Neonazis verantwortlich, sagt sie: „Für das eigene Sicherheitsgefühl tun die natürlich nicht sonderlich viel und sie sind halt überall – bei Veranstaltungen, beim Fußball natürlich und auch hier im Einkaufszentrum.“
Auch im Fall eines brutalen Angriffs auf eine Gruppe Geflüchteter wurden erhebliche Vorwürfe gegen das zuständige Sicherheitspersonal der Unterkunft laut. Im Januar 2018 beleidigten, schlugen und verfolgten mindestens sechs Personen die Gruppe bis in ihre Unterkunft. Ein afghanischer Mann wurde mit einem Gegenstand niedergeschlagen, einer erlitt einen Kieferbruch. Die Geflüchteten versuchten, sich in der Unterkunft in Sicherheit zu bringen, doch die Angreifer kamen nach. Die Initiative „Cottbus schaut hin“ wirft dem Sicherheitsdienst vor, bei der Schlägerei nur zugesehen zu haben und zu spät die Polizei alarmiert zu haben.

Rechtsextreme Sicherheitsfirmen, Rocker, Kampfsportclubs, Kleidungs- sowie Musiklabels und Hooligans – die extreme Rechte in Cottbus ist gut vernetzt, finanziell gut aufgestellt und hat Einfluss. Das Problem ist bei den Behörden bekannt. Immer wieder kommt es zu  Razzien, mit eher mäßigem Erfolg. Im April 2019 wurde nach einer Razzia gegen 20 Personen ermittelt, die der „Kampfgemeinschaft Cottbus“ angehören sollen. Drei Jahre später die Bilanz: vier Anklagen wegen gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffen- oder Sprengstoffgesetz. Das Neonazi-Netzwerk in und um Cottbus besteht nach wie vor.

Besonders Personen, die als „nicht deutsch“ gelesen werden und Menschen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, leiden unter den Folgen. Sie erleben rassistische Anfeindung, Ausgrenzung und Gewalt in ihrer Stadt. Was hilft, um Neonazis in Cottbus die Stirn zu bieten: Mutige Menschen, die für eine Stadt ohne Neonazis kämpfen, versuchen, rechte Strukturen aufzubrechen und Solidarität mit Betroffenen leben.

Angsträume aufbrechen und die Zivilgesellschaft stärken

„Als Initiativen brauchen wir in Cottbus ein gemeinsames Ziel, müssen uns vernetzen und austauschen“, erklärt eine Jona Adamski (Name geändert), die sich bei der Initiative Cottbus 92 engagiert. „Vor allem braucht es auch wieder mehr politischen Willen. Neben finanzieller Unterstützung braucht es eine klare Positionierung der Stadt und Anerkennung der Arbeit toller Initiativen, die hier wirklich viel leisten“, erklärt sie weiter.
Ob Kultur- oder, Jugendangebote, Diskussionsveranstaltungen oder praktischer Erinnerungsarbeit – viele Cotbusser*innen setzen sich entschieden gegen Rechtsextremismus ein. Dazu gehört auch, die Erinnerung wachzuhalten.
„Wir brauchen eine Erinnerungsarbeit, die nicht Täter*innen, sondern Betroffene in den Mittelpunkt stellt.“  Zum 30. Jahrestag der Ausschreitungen in Cottbus-Sachsendorf erinnert die Initiative Cottbus 92 an rechte Gewalt in den 1990er Jahren und problematisiert dessen Kontinuität.  Das von der Amadeu Antonio Stiftung geförderte Projekt stellt Betroffenenperspektiven in den Vordergrund. Bereits in der ersten Hälfte des Jahres hat die Initiative in einer Diskussionsreihe Stimmen damaliger Betroffener und Aktivist*innen sichtbar gemacht. Um die Ergebnisse zugänglich zu machen, haben sie vor, diese in einer Ausstellung aufzuarbeiten. Am 4. September findet außerdem zum Jahrestag des Angriffs auf das Geflüchtetenheim  eine Gedenkveranstaltung statt.

Im Rückblick auf 30 Jahre, die seit den rassistischen Ausschreitungen in Cottbus-Sachsendorf vergangen sind, wird deutlich: Die Neonazis waren nie weg.

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