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Interview

Schule, aber rechts: Was tun gegen rechtsextreme Schüler*innen und Eltern?

Rechtsextreme Cliquen auf dem Schulhof, Hakenkreuzschmierereien im Klassenzimmer und überforderte Lehrer*innen mittendrin. Was tun? Wir haben einen Experten gefragt, unseren Kollegen Benjamin Winkler, der im Rahmen des Projekts „Starke Lehrer – starke Schüler“ dorthin geht, wo es weh tut.

Die Schüler*innenräte in Ostdeutschland schlagen Alarm: Die Hemmschwelle gegenüber Rechtsextremismus sinkt. Die Schüler*innen fordern ein entschiedenes Vorgehen der Politik. Doch der Rechtsruck unter jungen Menschen ist längst da, rechtspopulistische Einstellungen nehmen drastisch zu. Die neue Studie „Jugend in Deutschland 2024“ belegt, dass 22 Prozent der Menschen zwischen 14 und 29 AfD wählen würden.

Was ist zu tun? Benjamin Winkler leitet das Büro der Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen und ist für das Projekt „Starke Lehrer – starke Schüler“ verantwortlich. Mit ihm haben wir über rechtsextreme Kader in Elterngesprächen, Hakenkreuzschmierereien und Gegenstrategien gesprochen.

Belltower.News: Höchststände beim Rechtsextremismus unter jungen Leuten, Normalisierung von Menschenfeindlichkeit: Wie nimmst du das wahr?
Benjamin Winkler: Wir hören das auch von den Lehrkräften, mit denen wir zusammenarbeiten, in Sachsen und bundesweit. Es gibt eine Häufung von klassischen Fällen, also Propagandadelikte, Verwendung von verbotenen Symbolen: also Parolen wie „Sieg Heil“, Hakenkreuzschmierereien oder NS-Propaganda auf T-Shirts. So etwas ist auch schon früher passiert, aber es ist deutlich mehr geworden. Die Hemmschwelle bei Schüler*innen sinkt. Ein Grund dafür sind die sozialen Medien, die einen großen Einfluss auf die politische Einstellung von Jugendlichen haben. Ein anderer, dass in Regionen, in denen sich rechtsextreme Strukturen verfestigt haben, in Familien und zum Teil auch in Vereinen überhaupt keine Distanz mehr zum Rechtsextremismus existiert. Lehrkräfte berichten auch, dass die Schüler*innen, die sowas machen, immer jünger werden. Zum Teil sind sie in einem Alter, in dem noch gar keine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stattgefunden haben kann.

Was heißt das für den Schulalltag?
An den Schulen bilden sich rechte Cliquen, rechte Dominanzgruppen, die den Schulhof und das Meinungsklima bestimmen. Jugendliche mit anderen Meinungen trauen sich nicht mehr, die zu sagen. Das heißt plurale Diskussion – eigentlich eine wichtige Aufgabe an Schulen – findet nicht mehr statt. Teilweise gehen diese Cliquen dann ins organisierte Spektrum über. Immer wieder hören wir, dass die Neonazipartei „Der III. Weg“, sehr um Schüler*innen wirbt, die nicht nur rechts sind, sondern sich organisieren wollen. Aber auch die Jugendorganisation der NPD, bzw. „Heimat“ ist aktiv, genauso wie die Freien Sachsen.

Alltagsdiskriminierungen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nehmen zu: rassistische Sprüche, sexistisches Verhalten, die Ausgrenzung von trans Schüler*innen. Das passiert schulartübergreifend und stößt bei vielen Lehrkräften auf große Hilflosigkeit. Es stellt sich die Frage nach Sanktions- oder Repressionsmöglichkeiten. Viel zu selten geht es leider um den Schutz der Betroffenen.

Drängen die Parteien auch direkt an die Schulen?
AfD bis Freie Sachsen und alle möglichen anderen Kräfte wenden sich an Schulen, weil sie dort politische Propaganda betreiben wollen. Das Ziel ist, die eigenen Kampagnen zu promoten.  Lieblingsthema: Gender, also der Kampf gegen Gleichstellung, aber es geht auch oft um eine angebliche Indoktrinierung durch linke Lehrer*innen. Während der Coronazeit und danach haben wir immer wieder von Lehrer*innen gehört, die selbst Verschwörungserzählungen verbreiten und fragwürdige, manchmal auch antisemitische Lehrmaterialien verwenden wollten. Auch wenn es um den Angriffskrieg Russlands geht, werden Dokumentationen verwenden, die ein realitätsfernes Bild zeigen. Dazu gibt es Berichte über AfD-Anhänger*innen unter den Lehrkräften und teilweise sogar noch rechteres Personal. Das wird erst seit kurzem mehr, möglicherweise weil sich rechte Lehrer*innen lange nicht getraut haben, ihre Gesinnung öffentlich zu machen. Aber die Erfolge der Rechten ermutigen, sich offener zu zeigen.

Was ist mit Lehrer*innen, die sich gegen Rechtsextremismus wehren wollen? Gibt es dafür Strukturen und Rückhalt im Kollegium und bei Behörden?
Lehrer*innen sind oft Einzelkämpfer*innen, leider gibt es oft keinen guten Zusammenhalt im Kollegium beim Thema Rechtsextremismus. Supervision, Fallbearbeitungen, all das ist in Schulen nicht die Regel. Auch die Unterstützung von Schulleitungen, die sich engagieren wollen, ist noch keine Routine.

Aber es gibt auch Verbesserungen. Die Kultusministerien und die untergeordneten Schulbehörden bemühen sich in Sachsen, aber auch in anderen Bundesländern, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Die entwickeln Strategien und Handlungsempfehlungen, aber auch ein Fortbildungssystem existiert mittlerweile. Das heißt Lehrkräfte, die etwas tun wollen, stehen in vielen Bundesländern nicht mehr ganz alleine da. Das ist auch deswegen wichtig, weil die Ministerien und Schulämter für die zweite Phase der Lehrer*innenausbildung zuständig sind. In einigen Bundesländern können sich Referendar*innen – unabhängig vom gewählten Schulfach – mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen. In Sachsen passiert das flächendeckend.

Wir haben über Lehrer*innen und Schüler*innen gesprochen, aber was ist eigentlich mit Eltern?
Es gibt besorgniserregende, aggressive Auftritte von Eltern mit rechter, rechtspopulistischer, rechtsradikaler oder rechtsextremer Gesinnung, die zum Beispiel Vielfalts- oder Demokratieprojekte ablehnen. Vielen Lehrer*innen bereitet das große Sorgen, denn Elterngespräche werden so ganz schnell zu einer Herausforderung, wo man sich über Sicherheit und Redestrategien Gedanken machen muss. Es gibt aber auch Fälle, in denen Elterngespräche zum Spießrutenlauf werden, wenn man es mit Aktivist*innen oder Kadern zu tun hat, die Eltern sind und mit diesem Selbstverständnis in die Schulen gehen. Das kann Sicherheitsprobleme verursachen. Entscheidend ist, dass die Lehrkräfte über ihre Rechte informiert sind und über Unterstützungsmöglichkeiten inner- und außerhalb des Schulsystems. In unseren Fortbildungen informieren wir zum Beispiel über Opferberatungen, aber auch über polizeiliche Präventionsarbeit und juristische Unterstützung.

Du sprichst da über dein Projekt „Starke Lehrer – starke Schüler“?
Starke Lehrer – starke Schüler“ hat schon 2013 an der TU Dresden begonnen und wurde 2018 als staatliches Regelprogramm übernommen. Seit Jahren gehört es unter anderem zu Sachsens Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus. Das Projekt will vor allem Lehrer*innen – aber auch die Schulleitungen – stärken und politisch bilden, weil nur so ein nachhaltiger Einsatz gegen Rechtsextremismus möglich ist. Das ist eine Erkenntnis, die sich in den Kultusministerien der Länder durchgesetzt hat. Wir brauchen Projekttage oder Gedenkstättenfahrten mit Schüler*innen, aber wir müssen auch die Lehrkräfte fit machen, systematisch Fortbildungen einführen, Routinen schaffen, für den Umgang mit Vorfällen.

Wie sieht es mit dem Neutralitätsgebot aus? Dürfen Lehrer*innen sich überhaupt gegen rechts engagieren?
Das Engagement gegen Rechtsextremismus ist durch die Schulgesetze gedeckt, weil die Unterrichtung von Kindern auf der Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geschieht. Wenn Lehrkräfte sich dazu bekennen und dafür auf die Straße gehen, ist es genau das, was die Gesellschaft von ihnen will.

Ein totales Neutralitätsgebot gibt es nämlich gar nicht. Das Neutralitätsgebot oder das Mäßigungsgebot, das für die verbeamteten Lehrer*innen gilt, sind ein Aufruf zur Ausgewogenheit und zur Sachlichkeit. Es geht aber nicht darum, sich von Werten zu distanzieren, die grundgesetzlich verbrieft sind. Die Neutralität findet im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung statt, der Lehrer*innen als allererstes verpflichtet sind. Das heißt im Umkehrschluss: Lehrer*innen müssen denjenigen gegenüber, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage stellen oder abschaffen wollen, nicht neutral sein. Das heißt, wenn darüber diskutiert wird, dass die AfD diese Grundordnung abschaffen will oder dass sie Prinzipien der Verfassung mit Füßen tritt, ist es legitim, dass Lehrkräfte darauf hinweisen. Daneben gilt auch immer der Beutelsbacher Konsens mit seinen drei Prinzipien. Erstens, das Überwältigungsverbot – Lehrer*innen dürfen Schüler*innen keine Meinungen aufdrängen. Zweitens, das Kontroversitätsgebot: Was in Politik und Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Das heißt nicht, dass extremistische, verschwörungsideologische oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdende Inhalte dargestellt werden müssen. Drittens, die Teilnehmenden- oder die Lebensweltorientierung: Politische Inhalte müssen an Schulen so transportiert werden, dass Schüler*ìnnen erkennen können, was ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen sind.

Gerade hat die Berliner AfD wieder ihr Meldeportal reaktiviert, auf dem angebliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot angezeigt werden sollen.
Der Gesetzgeber ruft die Parteien dazu auf, die Meinungsbildung an Schulen nicht mit Einschüchterung oder Bedrohungen zu beeinflussen. Das Gebot zur Mäßigung und der Beutelsbacher Konsens gilt auch für Parteien, wenn sie sich an Schule adressieren. Die AfD behauptet, dass Eltern und Schüler*innen über diese Portale Fälle von angeblicher Indoktrinierung durch Lehrer*innen melden können. Worum es der Partei aber eigentlich geht, ist Kritiker*innen einzuschüchtern. Das ist eine Beeinflussung der politischen Willensbildung an Schulen. Die Partei tritt damit selbst das politische Mäßigungsgebot mit Füßen. Wir haben solche Einschüchterungsversuche auch schon von den Freien Sachsen erlebt. Zunehmend fühlen sich Lehrkräfte betont, haben Angst um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Kinder. Das muss der Staat ernst nehmen.

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