Von Charlotte Sauerland
Bautzen ist in den letzten Jahren mit einigen negativen Schlagzeilen bekannt geworden. 2016 wurde eine Asylunterkunft in Brand gesetzt, Schaulustige zeigten unverhohlene Freude. Die rechtsradikale AfD gewann bei den letzten Landtagswahlen drei der fünf Direktmandate im Landkreis. Und der rechtsextreme Rapper Chris Ares, der zur Identitären Bewegung gehört, versuchte, in der Kleinstadt einen rechtsextremen Szenetreff aufzubauen. Eine gewaltbereite neonazistische Szene ist zudem seit Jahren aktiv.
Aber es gibt auch eine demokratische Zivilgesellschaft im Landkreis Bautzen. Und es gibt sehr unterschiedliche Migrant*innenorganisationen, die Teil dieser demokratischen Zivilgesellschaft sind. Im Gremium Kommit haben sie sich organisiert. Ende September trafen sie sich bei Leuchtturm Mayak, einem der Mitgliedervereine im Bautzener Stadtteil Gesundbrunnen.
Vernetzung und gegenseitige Unterstützung
„Es gibt im Landkreis sehr viele Migant*innenorganisationen“, erzählt Hamida Taamiri, die das Komitee im Jahr 2019 mithilfe des Kulturbüros Sachsen und des Trägers für politische Bildung pokubi gegründet hat. ,,Aber diese Organisationen haben wenig zusammengearbeitet. Das wollte ich ändern“. Die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung untereinander gehört zu den wichtigsten Zielen des Gremiums. Den Austausch zwischen Migrant*innen, die schon lange in der Region leben, und „neuen“ Migrant*innen, wie z.B. Geflüchteten, die ab 2015 herkamen, beschreibt Taamiri als besonders wertvoll. Länger existierende Vereine, die oft von Spätausiedler*innen gegründet wurden, haben beispielsweise viel Erfahrung beim Schreiben von Projektanträgen, von denen jüngere Vereine profitieren können. Da es für viele der Migrant*innenselbstorganisationen schwierig ist, städtische Räumlichkeiten zu nutzen, helfen sich die Mitglieder von Kommit gegenseitig mit Veranstaltungsräumen aus.
„Uns ist es wichtig, auch Netzwerke zwischen Migrant*innen aus der Stadt und dem Landkreis Bautzen zu stärken“, betont Taamiri. „Im ländlichen Raum ist vieles schwieriger.“ Deswegen finden die Treffen des Kommitees nicht nur in Bautzen statt, sondern auch in Hoyerswerda, Bischofswerda oder Kamenz, wo einige der Mitglieder aktiv sind. Marina Ewert, Mitarbeiterin beim Haus der Begegnung, einem Verein von Spätaussiedler*innen in Kamenz, ist froh, dass es Kommit gibt. „Unseren Perspektiven wurde nicht viel Gehör geschenkt vorher“. Um herauszufinden, was für Probleme und Lösungsideen Migrant*innen im Landkreis haben, wird Kommit noch im Jahr 2020 drei Workshops in Bautzen, Hoyerswerda und Bischofswerda durchführen.
Ein weiteres Ziel von Kommit ist es, die unterschiedlichen migrantischen Stimmen im Landkreis sichtbar zu machen und gleichberechtigte Teilhabe einzufordern – auch als engagierter Teil der regionalen demokratischen Zivilgesellschaft. Bei einer Konferenz zur Rolle von Migrant*innenorganisationen im Landkreis im März 2020 stellte Kommit das Netzwerk und seine Mitglieder vor – vom syrischen Frauenverein über Mitglieder der vietnamesischen Community bis hin zu mehreren Spätaussiedler*innenvereinen und einigen nicht-migrantischen Bündnissen zur Unterstützung von Geflüchteten. „Wir brauchen Verbündete, auch sie sollen Teil unseres Netzwerkes sein“, erklärt Taamiri die Entscheidung, nicht nur migrantische Selbstorganisationen als Mitglieder aufzunehmen.
Rassismus an Schulen
Bei der Konferenz im März 2020 wurde auch deutlich, wie sehr das Thema Rassismus an Schulen Migrant*innen im Landkreis Bautzen beschäftigt – auch Mitglieder des Komitees. Viele von ihnen sind Eltern und erleben, wie ihre Kinder oder sie selbst in der Schule rassistisch diskriminiert werden. „Zum Beispiel fordern weiße Schüler*innen einen Extra-Eingang für migrantische Schüler*innen, Mütter mit Kopftuch werden beleidigt, oder eine Mutter will ihr Kind nicht mehr zur Schule schicken, weil das Kind dort immer beleidigt oder körperlich angegangen wird“, berichtet Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen. Sie hat das migrantische Komitee seit seiner Gründung begleitet.
Kommit möchte auch als Bindeglied für Migrant*innen zur Bautzener Landkreisverwaltung dienen. Gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren aus dem Landkreis baten die Engagierten das Schulamt und die Ausländerbehörde um ein Gespräch. Sie schilderten die rassistischen Vorfälle und zeigten damit auf, dass es ein grundsätzliches Problem mit Rassismus an Schulen gibt. Im Schulamt stießen sie jedoch auf keinerlei Problembewusstsein. Statt von Rassismus oder Diskriminierung sprachen die Behördenmitarbeiter*innen nur vage von „Vorfällen“, die vorgebrachten Rassismuserfahrungen wurden als bedauerliche Einzelfälle abgetan. „Es war frustrierend,“ resümiert Taamiri. Das Kulturbüro Sachsen hat nun gemeinsam mit der Opferberatung einen Fragebogen entwickelt, welcher mithilfe der Engagierten von Kommit an Migrant*innen im Landkreis gestreut werden soll. Darin werden migrantische Eltern und Lehrer*innen nach Rassismuserfahrungen in Schulen befragt. Auf einer Fachtagung sollen die gesammelten Ergebnisse präsentiert und die Tragweite des Problems verdeutlicht werden.
„Für viele ist Politik weit weg“
„Wenn ich etwas Ungerechtes sehe, dann muss ich etwas tun“, erklärt Taamiri auf die Frage, warum sie sich in Bautzen engagiert. Taamiri ist nicht nur bei Kommit aktiv. Schon bald nach ihrer Ankunft aus Syrien im Jahr 2015 gründete sie den arabischen Frauenverein Nissaa e.V., initiierte eine Gruppe mit Frauen aus verschiedenen Ländern und begann Vorträge zu ihrer Vorstellung von Integration zu halten – Integration als Teilhabe und gegenseitige Annäherung von Mehrheitsgesellschaft und Migrant*innen.
Schon in Syrien war Taamiri politisch aktiv, in der Opposition gegen Hafez al-Assad, den Vater des jetztigen Präsidenten al-Assad. „Viele Migrant*innen, mit denen ich rede, wollen mit Politik nichts zu tun haben. Politik ist weit weg für sie“, erzählt Taamiri. „Das betrifft natürlich nicht nur Migrant*innen,“ schiebt sie nach. Sie möchte ins Gespräch kommen und darüber aufklären, dass Politik nicht nur mit Institutionen oder autoritären Politiker*innen zu tun hat. „Für mich ist es wichtig, Leuten zu vermitteln, was Politik alles sein kann. Wenn sich Mütter über Rassismus an Schulen beschweren, dann kann man etwas dagegen machen, das ist Politik. Oder wenn sie beleidigt werden auf der Straße wegen ihres Kopftuchs – mit Politik kann man dagegen kämpfen. Wenn ich das meinen Mitstreiter*innen sage, dann sind sie manchmal verwundert und kommen ins Nachdenken.“
Aber erstmal geht es bei Kommit auch um ganz praktische organisatorische Fragen: beim Treffen in Bautzen Ende September wird besprochen, was der Sprecher*innenrat für Funktionen hat, wie die Öffentlichkeitsarbeit aussehen soll und wer konkret welche Aufgaben übernimmt. „Ich bin dabei bei der Öffentlichkeitsarbeits-AG“, ruft Taamiri voller Energie, „wer macht noch mit?“ Einige melden sich. Erst in der Pause traut sich eine junge Engagierte aus Kamenz auf Taamiri zuzugehen: „Man könnte Videos drehen, die erklären, was wir machen“, schlägt sie vor. „Das gucken sich jüngere Leute wie ich eher an, als einen Text zu lesen.“ Taamiri ist begeistert.