Der am 05.04.2017 durch die Bundesregierung verabschiedete Entwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) zielt auf die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung im Falle strafbarer Hassinhalte. Mithilfe gesetzlicher Regeln für soziale Netzwerke soll dem Problem der Hassrede im Netz begegnet werden. Dazu zählen die Einführung von Berichtspflichten zum Umgang mit Meldungen potentiell strafbarer Inhalte durch Nutzerinnen und Nutzer (§2), Vorschriften, wann und in welchem Zeitraum von den Plattformen als strafbar identifizierte Inhalte (und deren Kopien) zu löschen oder zu sperren sind („Beschwerdemanagement“, §1 (3) i. V. m. §3) sowie die Bereitstellung eines inländischen Ansprechpartners („Zustellungsbevollmächtigten“) zum Zwecke einer vereinfachten Rechtsdurchsetzung bei Problemen (§5). Bei Verstößen gegen die Vorschriften drohen den Plattformen erhebliche Geldbußen (§4).
Die Amadeu Antonio Stiftung begrüßte zunächst das Engagement der Bundesregierung, sich mit dem Problem der strafbaren Hassrede im Netz zu engagieren, stellen doch Kommunikationsinhalte, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, sexuellen Orientierung, körperlichen Einschränkungen oder Religion angreifen oder entsprechende Inhalte fördern, rechtfertigen oder dazu anstiften (Hate Speech) ein zunehmendes Problem in sozialen Netzwerken dar.
Allerdings wird der Gesetzesentwurf dem Ziel einer adäquaten Rechtsdurchsetzung im Kontext strafbarer Hassinhalte in keiner Weise gerecht. Er gefährdet nicht nur die Grundfesten einer wehrhaften Demokratie, die Informations- und Meinungsfreiheit, ohne adäquate Widerspruchsmöglichkeiten im Falle eines – ob der vorgeschlagenen Prozedere wahrscheinlichen – Versehens oder Missbrauchs. Die Bundesregierung verzichtet mit dem Gesetzentwurf en passant auf den staatlichen Strafanspruch: Möglichkeiten der Strafverfolgung werden nicht verbessert, der Status Quo einer freiwilligen Kooperation der Ermittlungsbehörden mit den Plattformbetreibern bleibt erhalten. Mit dem Vernichten von Beweismaterial ist in der Praxis von einer erschwerten Strafverfolgung auszugehen.
Der Sinn des Gesetzes bestand darin, Hate Speech zu verhindern und Straftaten zu verfolgen, seine Anwendung würde die Verfolgung von Straftaten gefährden. Damit ist der Gesetzesvorschlag irreparabel und abzulehnen.
Keine Verbesserung der Strafverfolgung im Kontext strafbarer Hassinhalte
Der Gesetzesentwurf zielte zunächst einmal auf die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung im Falle strafbarer Hassinhalte, die – auf Basis des deutschen Strafrechts – in erster Linie eine Verbesserung der Kooperation von Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden mit den großen Plattformanbietern vorsehen müsste sowie einen Ausbau staatlicher Instanzen. Dazu gehörten etwa eine Staatsanwaltschaft mit dem Schwerpunkt auf digitale Hasskriminalität sowie eine umfassende Sensibilisierung und Fortbildung im Polizei- und Justizapparat zum Thema digitale Gewalt. Letzteres spart der Gesetzesentwurf vollständig aus.
Im Kontext der Strafverfolgung wurde die Verpflichtung der Plattformanbieter auf die Bereitstellung eines inländischen Ansprechpartners („Zustellungsbevollmächtigten“, §5) seitens der Plattformen als wesentlicher Fortschritt in Presse und Öffentlichkeit gewertet. Diesem Versprechen hält allerdings eine nähere Betrachtung des Gesetzesentwurfes nicht stand: Für zivilrechtliche Klagen ist weiterhin nicht der inländische Zustellungsbevollmächtigte ausschlaggebend, sondern der Gerichtsstand des Unternehmens, der zumeist im Ausland liegt. Damit bleiben die aus diversen Presseberichten bekannten Probleme zivilrechtlicher Verfahren erhalten. Für den Bereich strafrechtlicher Klagen sieht die Begründung des Gesetzesentwurfs zu den inländischen Zustellungsbevollmächtigten (zu §5, S. 29) ausdrücklich keine zusätzlichen Auskunftspflichten (wie etwa zur Herausgabe von IP-Adressen) vor und unterstreicht das Fortbestehen von „Möglichkeiten einer freiwilligen Kooperation zwischen Strafverfolgungsbehörden und Providern“. Somit bleibt der Status Quo erhalten.
Zudem droht die Strafverfolgung von strafbaren Inhalten durch Mangel an Beweismaterial zusätzlich erschwert zu werden. Das erschwert den Rechtsschutz potentieller Opfer.
Privatisierung der Rechtsdurchsetzung
Anstelle der Verbesserung der Rechtsdurchsetzung tritt eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung: Kern des Entwurfs sind gesetzliche Standards für die Plattformen für den Umgang mit Beschwerden über Hassinhalte seitens der Nutzerinnen und Nutzer: Die sozialen Netzwerke sollen verpflichtet werden, anwendungsfreundliche Beschwerdemechanismen anzubieten, Beschwerden unverzüglich zur Kenntnis zu nehmen und auf strafrechtliche Relevanz zu überprüfen. „Offensichtlich strafbare Inhalte“ sollen innerhalb von 24 Stunden gelöscht oder gesperrt werden, „strafbare Inhalte“ innerhalb von 7 Tagen (§1 (3) i. V. m. §3). Weiterhin sollen die sozialen Netzwerke gewährleisten, dass auch alle Kopien von als strafbar identifizierten Inhalten gelöscht oder gesperrt werden. Dies setzt automatisierte Verfahren der Identifikation und Kategorisierung aller hochgeladenen Inhalte voraus (mittels so genannter Content-ID) und erhöht die Reichweite getroffener Einschränkungen. Bei Verstößen gegen die Vorschriften drohen den Plattformen erhebliche Geldbußen (§4). Die im Kontext des Beschwerdemanagements einzuführenden Berichtspflichten über Beschwerden (§2) geben keine Auskunft darüber, ob zu Recht oder Unrecht gelöscht oder gesperrt wurde. Somit wird eine adäquate Prüfung bzw. Evaluation des Verfahrens verhindert.
Der harten, durch hohe Bußgeldandrohungen unterstrichenen Verpflichtung der Plattformbetreiber, als strafbar gemeldete Inhalte zu löschen, stehen im Gesetzesentwurf keine entsprechenden Widerspruchs-Möglichkeiten oder Instanzen gegenüber. Nutzerinnen und Nutzer, die der Ansicht sind, dass ein Beitrag von ihnen zu Unrecht gelöscht worden ist, können sich nur vor den ordentlichen Gerichten zur Wehr setzen. Eine entsprechende Auseinandersetzung ist mit einigen Kosten und Mühen verbunden. Hier treten die Risiken privatisierter Rechtsdurchsetzung zutage: Ein Grundrecht wie die Meinungsäußerungsfreiheit ist zuvorderst ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Der Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit erfolgt im Rahmen des NetzDG jedoch unmittelbar durch private Unternehmen. Der Staat entgibt sich hier auch en passant seines Strafanspruches. Die Unversehrtheit der Rechtsordnung auf dem Gebiet der Strafverfolgung durch die Inanspruchnahme von Eingriffsrechten mitsamt der Einschränkung von Grundrechten wird an private Unternehmen abgegeben. Durch die Abgabe der Rechtsdurchsetzung an private Unternehmen entzieht sich der Staat seiner Aufgabe, das Recht durchzusetzen, Recht zu sprechen und den Betroffenen ein angemessenes Gehör zu gewähren.
Damit trägt der Gesetzesentwurf in der vorliegenden Form nicht zu einer Verbesserung der Rechtsdurchsetzung bei. Stattdessen gefährdet das geplante Vorgehen die Meinungsfreiheit und die Rechtsstaatlichkeit: Die adäquate Einordnung von Inhalten als Hate Speech, insbesondere strafbaren Hassinhalte, ist äußerst schwierig – es ist davon auszugehen, dass viele problematische Aussagen legal sind. Die Übertragung der Entscheidung über die Einschränkung von Meinungsfreiheit an Mitarbeitende der sozialen Netzwerke bedeutet eine Verlagerung rechtsstaatlicher Verantwortlichkeit im Bereich elementarer Grundrechtseingriffe und ist äußerst kritisch zu bewerten. Sie verhindert eine adäquate Prüfung der Inhalte und öffnet dem Missbrauch von Beschwerden Tür und Tor. Die Vorgabe extrem kurzer Bearbeitungszeiten sowie die Androhung erheblicher Bußgelder lassen darüber hinaus übermäßiges Löschen erwarten – eine elementare Gefahr für die demokratische Debattenkultur, die sich durch die Verpflichtung auf Content-ID technisch verstärkt.
Demokratie braucht Meinungsfreiheit, nicht ausuferndes Löschen
Das Grundgesetz sieht seit jeher Möglichkeiten vor, die Meinungsfreiheit (und andere Grundfreiheiten) einzuschränken, etwa im Falle von Volksverhetzung (einschließlich der NS-Verherrlichung und Holocaust-Leugnung, §130 StGB) oder im Falle von Propaganda verfassungswidriger Organisation (§86 StGB).
Bereits der ursprüngliche Gesetzesentwurf (24.03.17) benannte vielfältige Tatbestände, die mit dem Gesetzesentwurf als strafbare Hassinhalte definiert werden – mehr als der Begriff von Hate Speech, die Herabsetzung und Verunglimpfung von bestimmten Bevölkerungsgruppen im Sinne von Volksverhetzung, ursprünglich fasste. Dazu zählen Beleidigung und Propagandadelikte, aber auch die Verunglimpfung des Bundespräsidenten oder des Staates und seiner Symbole sowie die Belohnung und Billigung von Straftaten. Damit würde das Vorgehen gegen Hate Speech diskreditiert.
Die Erweiterung des Anwendungsbereiches in dem aktuellen (3.) Gesetzesentwurf um Tatbestände wie der landesverräterischen Fälschung, staatsgefährdender Gewalttaten oder der Bildung terroristischer Vereinigungen birgt weitere Risiken: Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Hasskriminalität wird die Liste der Straftatbestände ausgeweitet, die zum einen in keinem Zusammenhang mit Hate Speech stehen und zum anderen zu komplex sind, um sie in kurzen Bearbeitungszeiträumen von Nicht-Juristen bewerten lassen zu können.
Rückblick Hate Speech: Warum wir als Gesellschaft aktiv werden müssen
Die Amadeu Antonio Stiftung engagiert sich seit 19 Jahren gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und tritt ein für eine Stärkung demokratischer Debattenkultur. Daher sind ihr die Probleme von Hate Speech aus Betroffenenperspektive wohlbekannt:
Die international als Hate Speech bezeichneten Kommunikationsinhalte, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, sexuellen Orientierung, körperlichen Einschränkungen oder Religion angreifen oder entsprechende Inhalte fördern, rechtfertigen oder dazu anstiften, stellen ein zunehmendes Problem in sozialen Netzwerken dar. Es geht dabei um die Herabsetzung und Verunglimpfung von bestimmten Bevölkerungsgruppen (gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit). Jenseits dieser allgemeinen Definition ist die konkrete Einordnung häufig sehr schwierig und kontextabhängig, da intentionale Akte digitaler Gewalt versehentlichen gegenüber stehen, die auch direkt oder indirekt erfolgen können. In Deutschland klar strafbare Inhalte (z.B. Volksverhetzung) können von legalen Formen von Hate Speech unterschieden werden – dazu zählen etwa Cybermobbing, die Diffamierung, Belästigung, Bedrängung und Nötigung der Opfer, oder schlicht und einfach: toxisches Kommunikationsverhalten.
Ausblick Hate Speech: Politische und gesellschaftliche Lösungsansätze
Der Gesetzesentwurf zielt zunächst einmal auf die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung im Falle strafbarer Hassinhalte und damit nur auf einen äußerst geringen Teil von Hate Speech im Netz. Der juristische Zugriff auf die Problematik, in dessen Fokus das Löschen von entsprechenden Inhalten steht, wird den eigentlichen Opfern von Hate Speech nicht gerecht. Diese benötigten in erster Linie Schutz und Unterstützung im Falle von Angriffen sowie Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung. Zudem kommt der Strafverfolgung eine wesentliche Bedeutung bei der Prävention von Rechtsextremismus zu, im Sinne einer klaren Repression rechtsextremer Aktivitäten.
Es geht darum anzuerkennen, dass Hate Speech ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, welches sich in konzentrierter Form auf Facebook und anderen sozialen Plattformen manifestiert. Daraus resultiert, dass die Bekämpfung von Hate Speech mit der Bekämpfung der zugrundeliegenden menschenverachtenden Haltungen einhergehen muss.
Die durch das NetzDG beabsichtigte Verbesserung der Rechtsdurchsetzung würde so oder so nur einen Bruchteil dessen abdecken: Ein Großteil des Problems von Hate Speech kann durch kein Gesetzt bearbeitet werden.
Prävention muss politische Priorität haben
Die Sanktionierung strafbarer und diskriminierender Inhalte sorgt nicht für ein Verschwinden von Problemen wie Rechtsextremismus, Antisemitismus, Sexismus oder Rassismus. Viel eher wird damit eine Verlagerung auf Plattformen gefördert, auf denen die Rechtsdurchsetzung noch schwieriger sein wird, als es aktuell der Fall zu sein scheint.
Die Beobachtungen der Amadeu Antonio Stiftung und von Jugendschutz.net zeigen, dass zum Beispiel rechtsextreme Inhalte in den letzten Jahren immer stärker auf Plattformen wie das russische Netzwerk VKontakte verlagert werden. Es wirkt so, als ob das NetzDG diese Problematik überhaupt nicht fassen kann und bearbeiten möchte.
Ein umfassendes Konzept ist notwendig
Um dem digitalen Hass, der reale menschenfeindliche Einstellungen ausdrückt, fördert und verstärkt, langfristig und effektiv entgegen zu treten, fordert die Amadeu Antonio Stiftung neben der tatsächlichen Verbesserung staatlicher Rechtsdurchsetzung:
Die Einrichtung einer kontinuierlichen Arbeitsgruppe zum Umgang mit Hate Speech im Netz, in der Vertreterinnen und Vertreter seitens der Politik, der Zivilgesellschaft und der Plattformen zusammenkommen und gemeinsam Strategien zum Thema digitale Gewalt entwickeln.
Studien & Monitoring: Ob juristisch, politisch oder zivilgesellschaftlich – Voraussetzung zielgerichteter Reaktionen auf Hate Speech in sozialen Netzwerken sind Erkenntnisse zum tatsächlichen Aufkommen und zur Dynamik von Hate Speech, etwa in Bezug auf bedeutsame Rednerinnen und Redner, Zuhörerinnen und Zuhörer, Inhalte und Ziele, sowie ihrer Effekte auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Daher fordert die Stiftung, den bislang vernachlässigten Bereich von Studien und Monitoring zu den verschiedenen Formen digitaler Gewalt auszubauen und darauf aufbauend umfassende, gesamtgesellschaftliche Strategien zum Umgang mit Hate Speech zu entwickeln.
Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements und der Medien- und Informationskompetenz: Dem Problem von Hate Speech kann durch das Löschen strafbarer Inhalte nur begrenzt begegnet werden, gefordert ist eine Auseinandersetzung mit diskriminierenden Inhalten im Netz. Daher kommt der allgemeinen Sensibilisierung für die verschiedenen Formen digitaler Gewalt und für das Phänomen Hate Speech eine ebenso große Bedeutung zu wie der Stärkung der Medien- und Informationskompetenz. Ansatzpunkte dazu bieten etwa die Einrichtung von entsprechenden Anlaufstellen, die Erarbeitung pädagogischer Konzepte sowie ihre Anwendung in Informationsbroschüren, Weiterbildungen und innovativen Kampagnen.
Einrichtung von Beratungsstellen für Opfer digitaler Gewalt (in Kooperation mit Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt): Betroffenen von Hate Speech steht bislang wenig Unterstützung zur Verfügung. Daher kommt der Einrichtung und Stärkung entsprechender Stellen eine besondere Bedeutung zu, die dazu beitragen soll, das Erfahrene zu verarbeiten, eigene Rechte durchzusetzen, Möglichkeiten des individuellen Schutzes kennenzulernen und Austausch für Betroffene zu bieten.