Die NPD hat der AfD den Weg geebnet: Sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland profitiert die AfD von einer lokalen politischen Kultur, in der sich Demokratieverdrossenheit und Rechtsextremismus normalisieren konnten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung.
Bislang wurde der hohe Wahlerfolg der AfD überwiegend als Protestwahl gedeutet. Daher konzentrierte sich die Analyse vornehmlich auf sozioökonomische Ursachen wie Arbeitslosenquote und Einkommen. Auf dieser Grundlage wird der AfD-Erfolg häufig als Protest von Modernisierungsverlierern in abgehängten Regionen gedeutet.
Die ergänzende Untersuchung von politisch-kulturellen Aspekten ermöglicht eine weitergehende Analyse des Wahlverhaltens. Für die bundesweite Wahlkreisanalyse zur Bundestagswahl 2017 wurden neben sozioökonomischen Rahmendaten ergänzend auf den Nichtwähleranteil sowie den Zweistimmenanteil der NPD zur Bundestagwahl 2013 zurückgegriffen. Diese Merkmale sind Ausdruck von Demokratieverdrossenheit und politischer Entfremdung. Die Studie konnte einen eindeutigen Zusammenhang zwischen demokratischer Entkoppelung und Abschneiden der AfD bei der diesjährigen Bundestagswahl zeigen. Dort wo die NPD 2013 einen hohen Stimmanteil verzeichnen konnte, hat auch die AfD signifikante Wahlergebnisse erreicht.
So konnte die AfD im Wahlkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, wo die rechtsextreme NPD 2013 5,08 Prozent der Zweitstimmen erzielte, bei der Bundestagswahl 2017 ihr bundesweit höchstes Ergebnis mit 35,5 Prozent der Zweitstimmen verbuchen. Im Wahlkreis Münster in Nordrhein-Westfalen hatte die NPD 2013 nur 0,27 Prozent als Zweitstimmenergebnis, die AfD erzielte hier ihr schlechtestes Ergebnis 2017 mit 4,9 Prozent. Sozioökonomische Indikatoren, wie beispielsweise die Arbeitslosenquote (Münster: 5,5% und sächsische Schweiz Osterzgebirge: 6,4%) können hingegen eher wenig zur Erklärung dieser großen Unterschiede beitragen.
Der zweitstärkste Zusammenhang ergibt sich mit Blick auf den Nichtwähleranteil. Wo dieser 2013 höher ausfiel, konnte die AfD in diesem Jahr ebenfalls mehr Wähler an die Urnen mobilisieren, als dort, wo es zuvor eine höhere Wahlbeteiligung gab.
Als Beispiel für eine hohe Wahlbeteiligung sei hier Berlin Steglitz-Zehlendorf mit einem Nichtwähleranteil 2013 von 20,2 Prozent genannt, wo die AfD 2017 8,9 Prozent der Zweitstimmen erhielt. Demgegenüber lag der Nichtwähleranteil 2013 im Wahlkreis Harz bei 41,1 Prozent der Wahlberechtigten, 2017 erreichte die AfD hier ein Zweitstimmenergebnis von 16,9 Prozent. Dieser Effekt lässt sich keinesfalls nur in ostdeutschen Wahlkreisen beobachten. Der bayrische Wahlkreis Deggendorf verzeichnete mit 39,6 Prozent im Jahr 2013 den bundesweit dritthöchsten Nichtwähleranteil. Die Rechtspopulisten erreichten hier bei der Bundestagswahl 2017 19,2 Prozent.
Die Studie zeigt langfristige und stabile Raumeffekte, die durch ein Klima von politischer Entfremdung und erhöhter Affinität zu rechtsextremen Positionen gekennzeichnet sind. “Strukturschwäche, Demokratieentfremdung und höhere Bereitschaft zur Wahl von rechtsextremen Parteien gehen in vielen Regionen Hand in Hand und begünstigen die Wahlerfolge der Rechtspopulisten maßgeblich“, fasst Christoph Richter, einer der Autoren der Studie, die Befunde zusammen.
„Ursächlich für den Erfolg der AfD waren nicht die Aufnahme von Asylsuchenden und eine Überforderung der Kommunen. Die Rechtspopulisten können dort punkten, wo das Problem des Rechtsextremismus verharmlost wurde und Teile der Bevölkerung sich zunehmend vom demokratischen System abgekoppelt haben“, erklärt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. „Die AfD hat Teile der NPD-Programmatik übernommen und konnte weitere Wählergruppen für einen völkischen Nationalismus mobilisieren. Im AfD-Wahlerfolg schreibt sich die demokratische Entkoppelung fort, die mit einer Verharmlosung des Rechtsextremismus und einer Normalisierung der NPD über Jahre begünstigt wurde.“
Der Anteil der Nichtwähler ist nach wie vor viel größer als die Zahl der AfD-Wähler. Es ist zu befürchten, dass die Rechtspopulisten hier zukünftig weitere Wählerschichten erschließen. Die demokratischen Parteien sollten ihre Anstrengungen auf diese Gruppe lenken und sind gefordert, zukunftsfähige Konzepte und Programme zur Stärkung der demokratischen Kultur und rechtspopulistischen Ausgrenzung vorzulegen.
Über die Studie:
Für die Studie wurden in einer multivariablen Analyse zehn Mehrebenenmodelle hinsichtlich des Einflusses von 16 Variablen im sozioökonomischen und politisch-kulturellen Kontext in allen 299 Wahlkreisen untersucht. Die Datengrundlagen sind Angaben des Bundeswahlleiters sowie öffentlich einsehbare Daten der regionalen Statistikbehörden.