Feindlichkeit gegen Muslime und islamistischer Fundamentalismus sind eng miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig. Mobilisierungs- und Radikalisierungsstrategien beider Lager ähneln sich und auch ideologisch gibt es Gemeinsamkeiten. Dies zeigt sich besonders in der Internetpropaganda in sozialen Netzwerken.
Zu diesen Ergebnissen kommt eine anlässlich des bundesweiten Tags gegen antimuslimischen Rassismus am 1. Juli vorgestellte neue Studie des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Londoner Institut für Strategischen Dialog, die vom Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde.
Die Analyse islamistischer und rechtsextremer Beiträge in sozialen Netzwerken zeigt, dass die Themen der beiden radikalisierten Milieus miteinander interagieren. Wechselseitige Bezüge dienen der Behauptung einer durch die jeweils andere Gruppe bedrohten Opferidentität. Gleichzeitig werden sie gebraucht, um Feindbilder zu konstruieren und aufrecht zu erhalten. Die sich gegenseitig bestärkende Rhetorik gipfelt in der Beschwörung eines Bürgerkriegs. Der Studienautor und Politikwissenschaftler Maik Fielitz stellt fest: „Extreme Rechte und Islamisten lehnen Freiheit, Pluralismus und Liberalismus ab. Es geht ihnen darum, die Demokratie notfalls mit Gewalt abzuschaffen und durch einen Führerstaat oder die Scharia zu ersetzen.“ Die Studie weist auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Islamismus und Rechtsextremismus hin: Beide treffen sich ideologisch im Antisemitismus, in Verschwörungsmythen und im Ziel homogener Gesellschaften entlang von Dogmen, die sich bei den Rechten rassistisch und bei den Islamisten religiös begründen.
Muslimfeindliche Beiträge im Vergleich radikaler und verbreiteter
Linguistische Analysen der Beiträge islamistischer und rechtsextremer Konten zeigen, dass es Überlappungen im Vokabular der beiden Spektren gibt. Überraschend dabei: Islamische Begriffe wie zum Beispiel „kuffar“ (Ungläubige) werden häufiger von rechtsextremen als von islamistischen Usern verwendet. Die Untersuchung stellte bei diversen Gruppen und Begriffen auch fest, dass islamistische Netzinhalte von den sozialen Netzwerken effektiver entfernt werden als rassistische und rechtsextreme Botschaften. Die Londoner Extremismusexpertin Julia Ebner hebt hervor: „Unsere Analysen zeigen, dass islamistische Kommunikation stark eingeschränkt und ihre Rhetorik deutlich gemäßigter ist als noch Anfang 2017. Dies trifft deutlich weniger auf die Propaganda und Netzwerke von Rechtsextremen zu. Das Ausmaß offen rechtsextremer und muslimfeindlicher Inhalte übertrifft das Ausmaß islamistischer Inhalte bei Weitem.“
Vor allem im Nachgang von islamistischen Terroranschlägen steigt die Zahl antimuslimischer Beiträge in den Sozialen Medien an und neue Begriffe zur pauschalen Abwertung von Muslime werden in das Vokabular der Rechtsextremen übernommen. Soziologe und Institutsdirektor Matthias Quent schlussfolgert: „Rassismus, rechter Populismus und Extremismus bildet die nationalen Resonanzräume des internationalen Dschihadismus. Die Wirkung islamistischer Anschläge wird durch die rechtsextreme Agitation vor allem im Netz erheblich verstärkt.“
Rechtsextremismus und Islamismus brauchen sich gegenseitig
Demgegenüber reagieren auch Islamisten auf Ereignisse wie rechtsextreme Demonstrationen oder die Wahlergebnisse der AfD, um das Bild eines muslimfeindlichen Westens zu verstärken und als Argument zur Radikalisierung von Muslimen zu verwenden. Jakob Guhl, Extremismusforscher am ISD in London, analysiert: „Diese Prozesse reziproker Radikalisierung finden nicht nur in Deutschland, sondern in vielen westlichen Gesellschaften statt. In sozialen Netzwerken agieren islamistische und muslimfeindliche Extremisten grenzübergreifend. Sie begründen die Betroffenheit und Zusammengehörigkeit ihrer Bezugsgruppen durch Ereignisse auf der ganzen Welt.“
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass beide Seiten in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, um ihren extremistischen Narrativen Glaubwürdigkeit und ihren Aktivitäten Legitimität zu verleihen. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, fordert, dass diese Zusammenhänge in der politischen Debatte sowie in der Präventionsarbeit berücksichtigt werden sollten: „Die Studie zeigt, dass antimuslimische Vorurteile und Stimmungsmache letztlich jenen islamistischen und rassistischen Fanatikern in die Hände spielen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt spalten wollen. Islamistische Radikalisierung, antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus müssen zusammengedacht und gemeinsam begegnet werden. Viele Präventionsprojekte haben dies bereits verinnerlicht. In öffentlichen Diskursen wird häufig der Eindruck erweckt, dass rechte Islamfeinde der Gegenpol zu radikalen Islamisten sein. Das stimmt nicht: Beide Spektren ähneln sich und bedrohen die offene Gesellschaft.“
Über die Studie:
Auf Grundlage einer Metaanalyse internationaler Studien sowie qualitativer und quantitativer Erhebungen in sozialen Netzwerken hat das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena in Kooperation mit dem Londoner Institut für Strategischen Dialog (ISD) islamfeindliche und islamistische Netzinhalte analysiert. Dazu wurden über 10.000 islamistische und rechtsextreme Facebook-Inhalte und mehr als eine Million deutschsprachige muslimfeindliche Twitter-Beiträge aus dem Zeitraum zwischen 2013 und 2017 analysiert. Ermöglicht wurde das Forschungsprojekt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport im Rahmen des Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit.