Die gute Nachricht vorweg, in Thüringen ist es der AfD nicht gelungen, in den Stichwahlen weitere Landrät*innen oder Bürgermeister*innen zu stellen. Dennoch kann die extreme Rechte weitere Landgewinne verzeichnen, langfristig und mit Blick auf die Landtagswahlen im September steigt der Druck auf die demokratische Zivilgesellschaft enorm. In dieser Kurzanalyse werten unsere Kolleg*innen vom IDZ Jena die Ergebnisse der Stichwahlen der Thüringer Kommunalwahlen und der Europaparlamentswahlen vom 9. Juni 2024 aus – mit Fokus auf die AfD und andere rechtsextreme Akteur*innen sowie mit ersten Schlussfolgerungen für die Landtagswahlen in Thüringen am 1. September 2024. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Auswirkungen der Wahlen auf die Thüringer Zivilgesellschaft.
Die vollständige Kurzwahlanalyse steht nun zur Ansicht und zum Download bereit.
Die wichtigsten Erkenntnisse vorab:
- In Thüringen ist es der AfD nicht gelungen, in den Stichwahlen weitere Landrät*innen oder Bürgermeister*innen zu stellen. Ein Blick auf die absoluten Stimmen in den Stichwahlen bestätigt jedoch, dass AfD und der Neonazi Tommy Frenck in Hildburghausen erfolgreich Wähler*innen zu den Stichwahlen mobilisieren konnten.
- Die Thüringer Wahlergebnisse der Europaparlamentswahlen unterstreichen: Die rechtsextreme Thüringer AfD ist derzeit mit Abstand die Partei mit der größten Zustimmung im Freistaat. Das ist nicht überraschend, sondern vielmehr Ausdruck der politischen und gesellschaftlichen Verschiebung nach rechts und der beschädigten demokratischen Kultur in Thüringen.
- Ein Vergleich der Stichwahlergebnisse mit den Europawahlergebnissen zeigt auf, dass die AfD ein noch höheres Potenzial hat als die ohnehin schon hohen 30,7 % bei den Europaparlamentswahlen.
- Die Bestätigung der hohen Umfrageergebnisse für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) durch 15,0 %der Stimmen und unter 5 % der Stimmen für die derzeitigen Landtagsparteien FDP und GRÜNE bei der Europawahl in Thüringen deuten darauf hin, dass sich am 1. September auch die Zusammensetzung des Thüringer Landtages grundlegend ändern kann und neue Koalitionsoptionen möglich erscheinen.
Dennoch besteht nach den Stichwahlen und Europaparlamentswahlen weiterhin keine „Entwarnung“ für die Demokratie in Thüringen – vielmehr ist von einer deutlichen Bedrohung durch antidemokratische und menschenfeindliche Positionen und Akteur*innen zu sprechen. Auch wenn die AfD und andere extrem rechte Kandidat*innen keine Landrats- oder Bürgermeisterämter gewinnen konnten, zeigen die Wahlergebnisse der Kommunal- und EU-Wahlen insgesamt, dass sich rechtsextreme Politik in Thüringen weiter etablieren und normalisieren konnte. Die Bezeichnung oder „Entlarvung“ dieser Akteur*innen als antidemokratisch oder rechtsextrem oder medienwirksame Skandale halten Wähler*innen nicht davon ab, diesen Parteien und Kandidat*innen ihre Stimme zu geben.
Es braucht folglich andere Strategien, um Wähler*innen anzusprechen und für demokratische Inhalte zu mobilisieren. In einem Positionspapier des IDZ werden verschiedene Handlungsoptionen dargestellt. Hier wollen wir einige Punkte hervorheben: Es ist nun notwendig, dass alle demokratischen Akteur*innen – von Politiker*innen über Institutionen der politischen Bildung und Journalist*innen bis hin zu zivilgesellschaftlichen Gruppen und Interessensvertretungen – ihre bisherigen Strategien zur Stärkung der demokratischen Kultur ergebnisoffen und selbstkritisch hinterfragen. Denn die Wahlen zeigen, dass eine Fixierung auf die rechtsextreme AfD in der Öffentlichkeit diese nicht schwächt. Vielmehr ist es jetzt von umso größerer Bedeutung, eigene Inhalte, Problemlösungsansätze und Visionen in den Mittelpunkt zu rücken.
Angesichts gesellschaftlicher Transformationsprozesse und Krisen braucht Thüringen neben Aufklärung und Bildung zu Rechtsextremismus, Desinformation und Verschwörungsideologien sowie Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung vor allem politische Visionen in Feldern wie Wohnen, Pflege und Gesundheit, der Bekämpfung von Armut, Infrastruktur und regionaler Wirtschafts- und Kulturförderung. In diesem Zusammenhang sollten gerade die soziodemografischen und sozioökonomischen Erfordernisse „schrumpfender“ Regionen ernst und in den Fokus genommen werden. Dabei ist es entscheidend, sich inhaltlich nicht von der extremen Rechten vorantreiben zu lassen (bspw. beim Thema Migration und Asyl) und dem Ausspielen verschiedener Bevölkerungsgruppen klar entgegenzutreten. Dies gilt gerade für demokratische zivilgesellschaftliche Bündnisse und Initiativen, die mit eigenen Themensetzungen in die (Kommunal-)Politik hineinwirken und eine klar pro-demokratische und menschenrechtsorientierte Politik einfordern können.
Damit dieses Engagement bestehen kann, braucht es Vernetzung, gegenseitige Unterstützung und Solidarität, gerade bei Angriffen und Bedrohungen. Auch bundesweite Akteur*innen und Organisationen sind hier gefragt, lokal verankertes, demokratisches zivilgesellschaftliches Engagement in Thüringen und anderen Bundesländern über die Wahlen hinaus zu fördern und langfristige Unterstützungsstrukturen aufzubauen.