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Was bedeutet es, konsequent antirassistisch zu handeln?

Mehmet Kubaşık floh 1991 vor den rechtsextremen grauen Wölfen aus der Türkei nach Deutschland. Hier wurde er am 4. April 2006 vom rechtsterroristischen NSU ermordet. Sein Schicksal erzählt viel über die doppelte Betroffenheit von Menschen, die Rassismus und rechtsextremen Terror von mehreren Seiten erleben. „Doppelt Unsichtbar – Innermigrantischer Rassismus in Deutschland und die organisierte türkische Rechte“ lautete der Titel der Fachtagung, die am vergangenen Wochenende in Frankfurt stattfand, organisiert vom Netzwerk kurdischer AkademikerInnen und der Amadeu Antonio Stiftung. Der folgende Text ist ein Auszug des Abschlusspanels und stammt aus einer Rede von Tahera Ameer, Vorstand der Amadeu Antonio Stiftung.

von Tahera Ameer

Die Mehrheitsgesellschaft muss die Bedrohung der organisierten türkischen Rechten wahr- und ernstnehmen. Sonst kann die Demokratie ihrem Versprechen, Minderheiten zu schützen, nicht nachkommen. Ein Beispiel: Ezid*innen leben als Minderheit in der Minderheit. Sie werden als muslimisch gelesen, aber vor allem von nationalistischen und rechtsextremen Muslimen bedroht. Wenn wir das nicht anerkennen, können wir keine Opfer von Rassismus und Rechtsextremismus unterstützen und den Artikel Drei des Grundgesetzes umsetzen.

Der Kampf gegen Rassismus wird stark vereinnahmt: Einerseits von türkischem Nationalismus und politischem Islam, die Akteur*innen in einer öffentlichkeitswirksamen antirassistischen Bewegung sind. Ihnen dürfen wir das Feld nicht überlassen, wenn sie im Namen eines antirassistischen Anliegens, ihre antidemokratische Agenda versuchen umzusetzen.

Andererseits findet eine Vereinnahmung durch die deutsche Rechte und Rechtsextreme statt. Sie machen mit Rassismus Stimmung gegen die angeblich homogene Masse der Einwander*innen, die sie alle als Muslim*innen lesen und angreifen. Jeden innermigrantischen Konflikt nutzen sie als strategische Möglichkeit, rassistische Hetze zu propagieren, die bis weit in die sogenannte „Mitte“ der deutschen Gesellschaft verfängt.

Ein konsequenter Antirassismus darf sich nicht vereinnahmen lassen und darf auch keine Angst vor Vereinnahmung haben. Das ist eine große Herausforderung in einer Gesellschaft die gerade erst begonnen hat, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen.

Diese Gesellschaft ist in großen Teilen noch weit davon entfernt, einen Begriff von Rassismus und seiner ganz konkreten Bedeutung für den Alltag und das Leben von Betroffenen in dieser Gesellschaft zu haben: Täglich kommt es zu rassistischen Übergriffen ohne das dies skandalisiert wird, ohne dass die Mehrheitsgesellschaft sich davon betroffen oder angesprochen fühlt.

Konsequent antirassistisch zu handeln, bedeutet, Rassismus als das allumfassende zersetzende Moment von täglicher Abwertung, Hass und Mord innerhalb dieser Gesellschaft anzuerkennen. Aber dabei auch zu sehen, dass das Feld der Akteur*innen, die diesen Rassismus verbreiten, dazu aufrufen und ihn auch tödlich umsetzen, nicht auf deutsche Rechtsextreme beschränkt ist.

Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, hier wegzugucken, denn innermigrantischer Rassismus hat ebenso alltägliche und tödliche Bedrohung zur Folge. Dafür braucht es Sichtbarkeit. Ohne Angst verschieden sein zu können, ist das Versprechen, was die Demokratie gibt. Wir als AAS wollen Betroffene darin unterstützen, den innermigrantischen Rassismus dem sie ausgesetzt sind, zum Thema zu machen und sichtbar zu sein.

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Warum die Gesellschaft noch keinen sicheren Umgang mit Rassismus hat

Tahera Ameer im Interview: „Das gesellschaftliche Bewusstsein dafür, dass es Rassismus in Deutschland gibt, ist stark gestiegen. Das ist ein Schritt vorwärts, dazu hat die Amadeu Antonio Stiftung beigetragen. Bis praktische Maßnahmen umgesetzt werden, die Rassismus als strukturelles Problem bekämpfen, ist es noch ein weiter Weg. Wir brauchen Proviant und Ausdauer für einen Marathon, nicht für einen Sprint.“

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