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Interview

„We are all in this togehter“ – Filmteam von ‚Masel Tov Cocktail‘ spendet Preisgeld an den Opferfond CURA

Der Kurzfilm „Masel Tov Cocktail“ erzählt, wie es ist, als Jude in Deutschland aufzuwachsen. In nur 30 Minuten werden anhand des Schülers Dima antisemitische Klischees und Anfeindungen provokant und erfrischend klar thematisiert. Der Film sorgte für Aufsehen und gewann Anfang Oktober 2020 auch den CIVIS Medienpreis in der Kategorie des Top Awards. Der Preis ist mit 15.000 Euro dotiert und das Filmteam entschied sich, jeweils die Hälfte der Summe an den Opferfonds CURA und an Democ. Zentrum Demokratischer Widerspruch e. V. zu spenden. Wir hatten die Möglichkeit mit dem Co-Regisseur Arkadij Khaet zu sprechen.

Was hat dich motiviert einen politischen Film zu machen?

Es gibt so ein Erstsemester-Ding, dass Filmschüler immer gesagt bekommen: Macht was Persönliches, macht was, wo ihr euch auskennt.

Das Gefühl, das ich in dem Film kommunizieren wollten war, wie es sich anfühlt in Deutschland jüdisch zu sein, das hatte ich schon lange auf dem Schirm. Was das mit einem macht, wenn die eigene Anwesenheit in den Köpfen der Deutschen nichts anderes auszulösen scheint als Bilder der Shoah. Wie das ist, wenn man irgendwann sagt, man ist Jude und bringt damit eine ganze Gruppe zum Schweigen, weil die Gruppe nicht weiß, was sie jetzt sagen soll. Und wir wollten von der russischsprachigen jüdischen Community erzählen, in der ich aufgewachsen bin und die den Großteil der heute lebenden Jüdinnen und Juden in Deutschland ausmacht.

Irgendwann habe ich das Gefühl bekommen, okay, das ist wirklich etwas, was erzählenswert ist. Worüber es nichts gibt, zumindest im Filmischen. Jetzt wird der Film auch als Film gegen Antisemitismus betitelt – aber das war gar nicht die Prämisse, dass wir einen politischen Anti-Antisemitismus Film machen. Das war eher so: Wir machen einen Film, den wir gerne selber sehen würden, mit authentischen jüdischen Figuren.

In den letzten Jahren gab es auch immer wieder Debatten um Antisemitismus in der Schule. Hattet ihr das auch ein bisschen im Hinterkopf, als ihr euch entschieden habt, den Film auch dort spielen zu lassen? Oder war das nicht ausschlaggebend?

Man bekommt diese ganzen Diskussionen mit, über die Fälle von jüdischen Schülern, die praktisch aus den Schulen raus gemobbt wurden und dann von ihren Eltern auf jüdische Schulen gepackt wurden. Und ja, das schwingt da total mit rein.

Ich selbst kenne die Situation, wenn man zum Beispiel in der Oberstufe über den Holocaust spricht und die ganze Klasse dreht sich um und starrt einen an! Also das Gefühl im Mikrokosmos Schule, wo man sich zumindest in Bezug auf seine Kultur, auf sein Judentum, komplett alleine fühlt. Deswegen haben wir den Film in der Schule spielen lassen und natürlich auch, weil wir einen jugendlichen Protagonisten wollten. Wir wollten dem ganzen Film eine gewisse Leichtigkeit geben und von einem durchschnittlichen 18-Jährigen erzählen.

Für mich stach im Film auch heraus, dass ihr die Situation der Kontingentflüchtlinge thematisiert. Wie kam es dazu?

Es gibt total viel Erklärungsbedarf. Also es gibt ganz viele Leute in meinem näheren Umfeld, die gar keine Ahnung von dieser Migrationsbewegung von 200.000 Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion haben.

Die deutsche Politik hat damals ein Momentum gesehen und wollte so das jüdische Leben nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland wiederherstellen. Die haben sich damals dem Gesetz der Boat-People bedient und gesagt: „Hey, Welcome! Kommt bitte alle nach Deutschland. Wir wollen hier das jüdische Leben wieder mit Leben füllen“.

Es wird von einem blühenden jüdischen Leben in Deutschland gesprochen und so weiter und so fort. Aber meistens spricht man dann doch von den Israelis in Berlin, die hippe Hummus Bars aufmachen oder Elektro-DJs sind. Denn diese russischsprachigen Juden, die haben nicht so richtig in das Konzept gepasst.

Die Regierenden sind damals davon ausgegangen, dass die jüdische Inteligencia zurückkommt. Aber das sind ja eigentlich ganz andere Jüdinnen und Juden als die, die damals Deutschland verlassen haben. Die Leute, die kamen, waren überwiegend komplett assimiliert und hatten über Jahrzehnte ihr Judentum nur durch den sowjetischen Antisemitismus bewahrt. Und hier in Deutschland hat man angefangen, diese jüdische Tradition erst wieder zu entdecken. Man kam in die Gemeinden, und hatte keine Ahnung von Religion. Man hat vielleicht noch ein paar jiddische Wörter in seinem Sprachgebrauch gehabt und man wusste so ein bisschen, was die Feste sind. Und so wuchs erst die nächste Generation, also wie ich – ich bin jetzt Ende 20 – in Deutschland damit heran. Wir sind durch jüdische Schulen gegangen, haben jüdische Studentenverbände und auch ein Netzwerk wie ELES (Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk, Anm. d. R.), wo man auf einmal auf das eigene Dasein in Deutschland reflektieren konnte.

Im Film gibt es eine Situation, in der der Großvater des Protagonisten an einem AfD-Stand stehen bleibt. Das ist ein Kontext, der in den letzten paar Jahren auch immer wieder diskutiert wurde. Wie sind die Reaktionen dazu, habt ihr welche bekommen?

Wir haben immer gesagt, dass wir lieber einen ehrlichen als einen richtigen Film machen möchten. Dazu zählt auch die AfD-Szene. Auch wenn es gewisse Reaktionen innerhalb der jüdischen Community geben wird, die das vielleicht nicht so gut finden. Aber die Reaktionen, die zurückkommen, sind eher so, dass die Leute dankbar sind, dass auch das thematisiert wurde. Denn ich weiß, abgesehen von den Juden in der AfD, die medial natürlich Aufmerksamkeit bekommen, dass es in sehr vielen russischsprachigen, ex-sowjetischen Familien diese Diskussionen gibt. Dabei geht es viel um die Erfahrungen des sowjetischen Antisemitismus, gemischt mit einem Rassismus und einer sowjetischen Sozialisierung. Es gibt da Menschen, die sehr viel Angst haben vor der Migration von Geflüchteten nach Deutschland, die viele russische Medien konsumieren und die das Gefühl haben: „Ja, das ist jetzt eine sehr große antisemitische Migration, die stattfindet“. Diese Auseinandersetzung findet in jüdischen Familien statt. Viel öfter, als man denkt.

In der Schlussszene spielt ihr mit dem Tritt und der Protagonist Dima stellt selbst die Frage: „Bin ich nicht doch einfach ein aggressiver Jude?“ Wieso habt ihr euch für eine solche Szene entschieden?

Der Tritt am Ende hat tatsächlich zu starken Diskussionen geführt. Es ist ein Ende, bei dem man sich fragt: Okay, was hat das jetzt zu bedeuten? Aber für uns war der Tritt die letzte Konsequenz der Ratlosigkeit. Wir glauben – in Wirklichkeit können wir natürlich niemanden treten – im Film und in der Kunst ist dafür Platz und da müssen die Aggressionen auch hin. Und dieses aggressive Jude-sein kontrastiert die so geliebten Juden in Deutschland, die auf jeder Gedenkveranstaltung stehen und immer, wenn Politiker die Rede vom Vorjahr auspacken, die mit den ganzen „Nie-wieders“ gespickt ist, alles abnicken. Ich meine, es war schon immer eine leere Phrase, vor allem seit Halle stimmt sie nicht mehr. Aber die hat schon vorher nicht gestimmt. Und der Tritt am Ende ist unser guilty pleasure. Er soll sagen, dass es auch okay ist, wenn man einfach ratlos ist.

Im Film kommt der Satz vor: „Hört auf die Vergangenheit zu bewältigen, bewältigt lieber eure Gegenwart“. Woher stammt dieser Satz? Geht das Eine überhaupt ohne das Andere?

Mittlerweile ist dieser Vergangenheitsbewältigungsmythos gar keine Frage mehr. Noch vor zehn Jahren hatte ich das Gefühl: Ahja, man lebt in einem Land, das sich wirklich ernsthaft auseinandergesetzt hat und viel erinnert hat. Und irgendwann wird man älter. Und man liest in der Literatur und merkt: Moment mal, das ist alles eine große Lügengeschichte gewesen. Also ich glaube die Deutschen waren jahrzehntelang damit beschäftigt, die Vergangenheit zu erinnern und Mahnmale aufzustellen und alles mit Stolpersteinen zu zupflastern, um sich für die Gegenwart zu immunisieren. Dabei hat das Land der Erinnerungsweltmeister heute um die 20 Prozent Menschen mit antisemitischen Ansichten. Das sind mehr Bürger mit antisemitischen Ansichten als Wähler der SPD in der letzten Sonntagsfrage. Und trotzdem versucht man dieses Bild aufrechtzuerhalten, dieses Narrativ von „Wir haben die Vergangenheit bewältigt“.

Es ist halt total gescheitert. Dafür muss man heute nur die Nachrichten schauen. Am Tag unserer Fernsehpremiere wurde ein Student in Hamburg mit einem Spaten verprügelt und schwer verletzt. Ja, es gab Halle, es gab Hanau und die deutsche Vergangenheit ist eben keine Vergangenheit. Das ist eine Gegenwart. Und wenn man sich so die deutsche Politik anschaut, dann guckt man immer total ratlos darauf. Ich erinnere mich, wie Steinmeier nach Halle aufgetreten ist und gesagt hat, dass er sehr überrascht ist, dass so ein Anschlag in einem Land wie Deutschland mit seiner Geschichte überhaupt geschehen konnte. Und wenn ich jetzt in meine jüdischen Freundeskreise schaue und wir über Vergangenheit sprechen, da kann jeder Familiengeschichten erzählen. Wenn ich in meinen deutschen Freundeskreis blicke, dann hat da vielleicht eine Vergangenheitsbewältigung oder ein Versuch der Vergangenheitsbewältigung auf einer institutionellen Ebene stattgefunden. So ein bisschen oktroyiert, aber nicht im Privaten. Und ich glaube, das ist das Problem bis heute.

Ich glaube, man muss sich von diesem Narrativ verabschieden, dass die Deutschen die Vergangenheit bewältigt haben. Wir sind an einem Punkt, wo man das Narrativ neu schreiben muss. Es stimmt einfach nicht, dass Nazis seit 1945 keinen Platz mehr haben, dass es keinen institutionellen Rassismus gibt, und es stimmt auch nicht, dass sich Einzelfälle bloß häufen.

Und wieso spendet ihr euer Preisgeld zur Hälfte an Democ und an den Opferfonds CURA?

Weil wir wissen, dass Filme in Deutschland über Juden Preise gewinnen. Auch wenn das ein wichtiger Film ist, bleibt er am Ende nur ein Film. Und gleichzeitig findet Gewalt und Hass auf Menschen, die als sogenannte Fremde markiert werden, alltäglich statt. In der Bedrohung sind alle Minderheiten gleich und deswegen ist es Zeit für Allianzen. Und es gibt wichtige Organisationen wie eure, die konkrete Arbeit leisten. Dadurch, dass ihr euch dieser wichtigen Arbeit widmet, haben wir das Privileg, unsere Filme zu drehen. Weil wir die ganze Zeit wissen, jemand kümmert sich um die echten Probleme. Deswegen dachten wir, dass es eigentlich nur folgerichtig ist, das Geld an euch weiterzugeben.

Als gesamtes Team wünschen wir uns einfach, dass es mehr Zusammenhalt gibt und mehr Austausch zwischen Organisationen wie eurer und der Kunst – wie es so schön heißt im Highschool-Musical: We are all in this togehter.

Vielen Dank Arkadij! Die ganze Stiftung und auch meine Kolleg*innen vom Opferfonds CURA, wir, und bitte leite das an dein Team weiter, sind euch sehr dankbar!

 

Masel Tov Cocktail (2020)
Producer*innen: Christine Duttlinger, Ludwig Meck, Lotta Schmelzer
Kamera: Nikolaus Schreiber
Editor: Tobias Wieduwilt
Drehbuch: Merle Kirchhoff
Regie: Arkadij Khaet, Mickey Paatzsch

Bis zum 13.02.2021 ist der Film in der Arte-Mediathek verfügbar.

 

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