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Wie Desinformation Wahlen manipulieren kann

Wo ist hier oben und wo unten?

Angriffe auf demokratische Politiker*innen nur „inszeniert“? Wahlmanipulation in der Kleinstadt nur durch Polizeieinsatz verhindert? Vor den Wahlen dreht die Desinformations-Maschinerie voll auf: Aus den einschlägigen verschwörungsgläubigen und rechtsextremen Kreisen wird mit aller Kraft versucht, Debatten umzudeuten, Aufmerksamkeiten zu lenken, im eigenen Sinne zu manipulieren. Bei Desinformation geht es nur in zweiter Linie um „wahr“ und „falsch“. Entsprechend herausfordernd ist die Auseinandersetzung mit Desinformationskampagnen.

Der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke, der vor wenigen Wochen beim Plakatieren für die Europawahl angegriffen und dabei schwer verletzt wurde, wurde nicht nur einmal attackiert. Denn was auf den gewaltsamen Angriff auf den Politiker folgte, waren Informationsangriffe. Der Tenor in den einschlägigen verschwörungsgläubigen bis rechtsextremen Telegram-Gruppen: Die SPD und ihre Politik seien selbst schuld daran, dass sie während des Wahlkampfs angegriffen werden, sogar von „inszenierten“ Angriffen ist mitunter die Rede.

Die Diskussion wurde schnell vom eigentlichen Angriff und dem Opfer losgelöst: Der Angriff sei, laut dem rechtsextremen Aktivisten und Mitglied der Freien Sachsen Michael Brück, nur ein erneuter Anlass, um eine neue „Kampagne gegen Rechts“ zu beginnen. Wiederum andere einschlägige Akteure nutzten ein Video, das Gesundheitsminister Lauterbach zum Angriff auf Matthias Ecke aufgenommen hat, um eins klarzustellen: Die eigentlichen Opfer seien AfD-Abgeordnete.

Zugleich manipuliert und manipulativ

Dass es sich dabei um eine Desinformationskampagne handelt, liegt nicht (nur) daran, dass die verbreiteten Informationen falsch sind. Es handelt sich vor allem deshalb um Desinformation, weil die verbreiteten Informationen manipuliert und manipulativ sind: Sie wollen eine bestimmte Botschaft transportieren und das Transportmittel –  also der eigentliche Informationsanlass –  ist dabei völlig egal. Die populistische Botschaft lautet: Man kann niemandem trauen, die Eliten lügen, die Demokratie und ihre Institutionen funktionieren nicht und gehören abgeschafft. Eine Anleitung zum selbst legitimierten Staatsstreich.

Jenseits von wahr und falsch

Desinformation ist eine politische Strategie, mit der diese Botschaften verpackt und in die Öffentlichkeit hinein gesendet werden. Diese Strategie bewegt sich jenseits von „wahr“ und „falsch“, Desinformation kommt in vielen unterschiedlichen Variationen daher. Manchmal wird nur der Kontext einer Meldung angepasst, manchmal werden Bilder oder Tonaufnahmen gefälscht und bisweilen handelt es sich sogar bei ganzen Webseiten um reine Fälschungen.

Oder es wird nur ganz selektiv berichtet: Laut einer Meldung der Freien Sachsen soll es in Weinböhla Wahlbetrug gegeben haben, inklusive Einsatz der Kriminalpolizei im Rathaus und Ermittlungen des Staatsschutzes wegen Wahlmanipulation. Dass die Behauptung sich kurze Zeit später als haltlos erwies, wird nicht mehr berichtet. Die Desinformationsstrategie geht auf. Denn die Absicht der Freien Sachsen besteht nicht darin, die Bürger*innen zu informieren, sondern durch manipulative Berichterstattung die Weltanschauung zu verfestigen, nach der die Demokratie nicht funktioniert und den staatlichen Behörden grundsätzlich nicht zu trauen sei.

Nicht nur der Wahrheitsgehalt einer Nachricht ist von entscheidender Bedeutung bei der Beurteilung von Desinformation, sondern auch, wie hoch ihre Schadensabsicht ist. Das Ziel von Desinformationskampagnen ist es nicht, von einer bestimmten alternativen Erzählung zu überzeugen. Vielmehr ist das Ziel, durch multiple Krisen sowieso schon vorherrschende Konflikte in einer Gesellschaft zu verstärken, die Polarisierung der Gesellschaft zu vergrößern und dadurch eine Diskursverschiebung zu bewirken, bei der die eigene menschenverachtende Ideologie zur neuen gesellschaftlichen Norm stilisiert wird.

Diskursverschiebung in Sachsen: Michael Kretschmer und der „übergriffige Staat“

An Begriffen wie „Flüchtlingswelle“ oder „Remigration“ lässt sich die antidemokratische Diskursverschiebung gut analysieren und beschreiben. Ein aktuelles Beispiel liefert der Freistaat Sachsen: Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach in einem Interview vom „übergriffigen Staat“ und war scheinbar so überzeugt von seinem Statement, dass er es auch auf seinem Account auf X nochmal zitierte und reproduzierte. Kretschmers inhaltliche Kritik an den Entscheidungen der Bundesregierung muss an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Aber dass die Rede vom „übergriffigen Staat“ seinen Ursprung in rechtsextremen Diskursen hat, das hat auch die rechtsextreme Partei Freie Sachsen erkannt, die prompt mit einem Kommentar reagierte und auf den Ursprung des Begriffs hinwies.

Der Begriff funktioniert wie eine Hundepfeife (Dogwhistle): Für nicht eingeweihte wirkt es wie eine – vielleicht etwas unbeholfen formulierte – Kritik am Regierungshandeln. Für die Feinde der Demokratie, die dem Staat schon seit Jahren unterstellen, „alles regeln“ zu wollen, wirkt es wie eine Bestätigung der eigenen Weltanschauung und Politik. Dies veranschaulicht einen ganz entscheidenden Effekt von Desinformation: nicht nur Menschen zu erreichen, die vielleicht noch nicht ganz davon überzeugt sind, dass die liberale Demokratie gescheitert sei, sondern vor allem diejenigen in ihrer Weltsicht zu bestärken, die sie ohnehin daran glauben. Michael Kretschmer wird damit nicht selbst zum Demokratiefeind, aber an seinem Beispiel kann man gut sehen, wie die Diskursverschiebung von antidemokratischen Haltungen bis in die sogenannte „Mitte“ der Gesellschaft wirkt.

Gegen Desinformation bilden

In der Politik und den Sicherheitsbehörden wurde die Gefahr, die von Desinformationen ausgeht, bereits erkannt. Immer wieder ist davon die Rede, dass auch der zivilgesellschaftlichen Bildungsarbeit bei der Aufklärung von Desinformation und über deren Gefahr für den demokratischen Diskurs eine wichtige Rolle zukommt. Im Kontrast dazu konzentrieren sich die meisten Bildungsangebote jedoch auf die Stärkung von Informations-, Medien- und Quellenkompetenz, so als wäre das einzige Problem von Desinformation ausschließlich auf einen Mangel an der Fähigkeit zurückzuführen, sich zu informieren und die eigenen Informationen oder Quellen zu überprüfen. Diese Lücke versuchen wir mit unserem Projekt faktenstark zu schließen. Unserem Bildungsansatz liegt ein mehrdimensionaler Begriff von Desinformation zugrunde, den wir mithilfe des integrativen Modells zum Umgang mit Desinformation von CeMAS entwickelt haben.

In unseren Workshops zeigen wir, dass Desinformation nicht nur auf Informationsebene ein Problem darstellt, also dort, wo sich der Wahrheitsgehalt einer Nachricht überprüfen lässt. Vielmehr ergänzen wir diesen wichtigen Ansatz um eine gesellschaftspolitische –  Desinformation als politische Strategie von antidemokratischen Akteur*innen – und eine netzpolitische – Desinformation als digitale Herausforderung durch KI, Social Media u. a. – Dimension. Nicht zuletzt fokussieren wir in unserer Vermittlungsarbeit auch die Handlungsoptionen in Bezug auf Desinformation. Hier geht es uns nicht nur darum zu zeigen, wie Informationen überprüft werden können. Sondern vielmehr darum zu verstehen, wie Informationsmanipulation auf der Metaebene funktioniert, weshalb Menschen ihr Glauben schenken und welche Möglichkeiten von Gegenrede oder Intervention uns zur Verfügung stehen, wenn wir – on- oder offline, privat oder beruflich – auf Desinformation treffen.

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