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Interview

„Wir müssen den Kompass wieder gewinnen“

Beate Küpper, Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein, spricht über Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtspopulismus – und darüber, was wir dagegen tun können.

Das Interview führte Franziska Schindler.

Frau Küpper, Sie forschen zu den Ursachen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Warum gibt es die? Warum werten Menschen andere Menschen ab?

Da gibt es ein ganzes Bündel von Ursachen. Zum einen spielen Faktoren eine Rolle, die viel mit der eigenen Sozialisation und Biografie zu tun haben. Unser Umfeld ist wichtig: Aus den Einstellungen von Eltern und Großeltern, Peers und Freunden, dem, was wir durch Medien vermittelt bekommt, entwickeln wir unsere Weltsichten – Grundhaltungen von Gleichwertigkeit, aber eben auch ganz konkrete Vorurteile. Die werden erstmal nachgeplappert, dann irgendwann auch übernommen und gegebenenfalls weitergetragen. Das geschieht auch, um in der eigenen sozialen Gruppe anerkannt zu werden.

Die Forschung hat zwei Modelle von Weltsichten entwickelt, die inzwischen gut belegt sind. Sie unterscheiden sich daran, ob man die Welt eher als bedrohlichen Ort wahrnimmt, oder eher als einen Dschungel, in dem nur der Stärkere überlebt. Wer die Welt eher als bedrohlichen Ort wahrnimmt, neigt zu Law-and-Order Autoritarismus und wertet Menschen ab, die außerhalb der Norm erscheinen. Diejenigen, die eher ein Wettbewerbs-Dschungel-Weltbild haben, neigen dazu, in sozialen Hierarchien zu denken, und werten diejenigen ab, die in der Hierarchie unter ihnen zu stehen scheinen. Bei beiden Weltsichten geht es letztlich darum, sich selbst durch die Abwertung der Anderen besser zu fühlen und den eigenen sozialen Status abzusichern.

Welche Rolle spielen gesellschaftliche Faktoren für die Entstehung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit?

Hier gibt es zwei große Theoriestränge. Einerseits wird argumentiert, dass Ressourcen ausschlaggebend sind. Dazu gehören etwa Land, Wasser, Öl, Wohnraum oder Arbeitsplätze, aber auch die Definitionsmacht über das, was „richtig“ ist, über Symbole wie die Höhe des Kirchturms oder des Minaretts. Demnach entstehen Vorurteile, wenn Menschen sich in einer schlechten sozialen Lage befinden oder sich vom sozialen Abstieg bedroht fühlen. Da ist ein bisschen was dran, die Forschung zeigt aber, dass es gar nicht so sehr auf die tatsächliche Ressourcenknappheit ankommt, sondern vielmehr auf die Wahrnehmung davon. Wenn ich das Gefühl habe, meine eigene Gruppe, mit der ich mich identifiziere, bekommt unberechtigt zu wenig, dann ist das Feld frei für Abwertung der jeweils Anderen und die Suche nach Sündenböcken. Das sehen wir zum Beispiel daran, wie Rechtspopulist*innen Neid gegen Geflüchtete schüren.

Andererseits können Gruppenkonflikte auch unabhängig von einem tatsächlichen oder gefühlten Kampf um Ressourcen oft allein durch die Aufteilung in „wir“ und „die“ funktionieren. Wir Menschen haben immer den Wunsch nach einem positiven Selbstwertgefühl. Das können wir stärken, indem wir zu einer positiv bewerteten Gruppe gehören, wobei die eigene Gruppe gar nicht so toll sein muss – schon durch die Abwertung der anderen Gruppe kann ich meine Eigengruppe und damit auch mich selbst aufwerten.

Was sind Auswege? Wie können wir Rassismus und anderen Formen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken?

Vorurteile erfüllen für diejenigen, die sie teilen, eine Funktion. Es hilft also, diese Funktion statt mit Vorurteilen, durch etwas Positives zu ersetzen. Also: Etwas mit der gleichen Funktion zu tun, was aber ohne die Abwertung des Gegenübers auskommt. Da ist zuerst einmal Wissen wichtig: Wissen hilft Menschen, die Kontrolle über ihre Umwelt zu behalten. Weil Vorurteile aber sehr resistent gegen Fakten sind, brauchen wir zusätzlich positive Emotionen. Die Gruppe, gegen die ich Vorurteile habe, muss ich mit etwas Positivem belegen, und auch der Abbau von Vorurteilen muss Spaß machen.
Wirksam ist auch, Bindungen zu schaffen, die nicht auf Abwertung basieren. Man kann sich sehr zusammengehörig fühlen, wenn man andere ausgrenzt. Man kann aber auch eine gemeinsame Identität schaffen, ohne dafür andere abwerten zu müssen. Das sehen wir zum Beispiel bei Skatergruppen oder bei Sportvereinen, die inklusiv arbeiten und Wettbewerb spielerisch austragen.

Es hilft, Menschen dazu zu bringen, sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen, mitzufühlen, Empathie zu entwickeln. Wie ist das, wenn ich als junger muslimischer Mensch in diesem Land aufwachse und dauernd negative Botschaften höre? Gleichzeitig: Wenn wir an unseren eigenen Rassismus erinnert werden, dann schämen wir uns, und neigen dann dazu, mit Trotz zu reagieren. Menschen zu beschämen ist also der falsche Weg. Viel entscheidender ist es, Ähnlichkeiten statt Unterschiede zu betonen und Menschen bei ihrer Großherzigkeit abzuholen. Denn so ein verengtes Herz fühlt sich ja auch für einen selbst nicht besonders gut an.

Wir wissen auch: Vorurteile verlieren ihre Kraft, wenn ich mein Gegenüber kenne. Aber die Kontaktaufnahme kann auch schief gehen, zum Beispiel, wenn ich bei einem Fußballturnier geflüchtete Kinder gegen Kinder ohne Fluchterfahrung antreten lasse. Da entsteht kein „Wir“. Besser ist es, die Gruppen zu mischen und sich gemeinsame Ziele zu setzen, die ohne Wettbewerb auskommen – wie zusammen einen Garten, einen Spielplatz, einen Sportparkour anzulegen.

…Da wurde in den letzten Jahren viel gut gemeint und dabei viel falsch gemacht…

…Mein Lieblingsbeispiel ist der Besuch im Klettergarten: da stehen dann die weniger sportlichen Kinder unten und sichern die sportlichen, in der Gruppe sowieso schon gut angesehenen Kinder ab. Wir müssen alle mitnehmen! Oft wird ja gesagt: wir wollen ja Integration, aber die Migrant*innen müssen… schon verloren. Ein „Aber“ ist schon ein Ausschluss, bei einem „Müssen“ habe ich keine Lust mehr. Stattdessen gilt es, ein einschließendes „Wir“ zu formulieren, und zwar auch von Autoritätspersonen, wie der*m Bürgermeister*in, Trainer*innen im Sportverein oder angesagten Personen aus den Medien. Letzter Punkt: Würde und Gleichwertigkeit für alle zu schaffen, das ist keine Projektaufgabe, sondern eine Daueraufgabe, und zwar für jede*n.

Sie haben sich auch damit beschäftigt, wie Rechtspopulist*innen die Zivilgesellschaft beeinflussen. Dazu haben Sie Menschen befragt, die im Migrationsbereich und anderen sozialen Feldern arbeiten, die besonders unmittelbar von Rechtspopulismus betroffen sind. Was haben Sie herausgefunden?

Wir hatten es in den letzten Jahrzehnten geschafft, Gleichwertigkeit als Norm zu setzen, aber sie wird schwächer. Alltagsrassismus gab es schon immer, aber der fühlt sich jetzt wieder ermutigt. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass Mitarbeiter*innen der Verwandtschaft beim sonntäglichen Kaffeetisch lieber nicht mehr erzählen, dass sie mit Geflüchteten arbeiten, weil sie keine Lust haben, sich das vorhersehbare „Warum das denn?“ anzuhören. Gleichzeitig erleben wir in einigen Regionen, dass die, die Geflüchtete und Migrant*innen unterstützen, ganz persönlich von handfester Bedrohung betroffen sind. Das macht natürlich was mit den Menschen und der Stimmung in der Gesellschaft.

Andererseits beobachten wir, dass die Institutionen langsam aufwachen. Die großen Verbände beziehen klarer Position für Vielfalt und Gleichwertigkeit und kommunizieren das nicht nur gegenüber ihren Mitarbeiter*innen, sondern zunehmend auch nach außen. Der Präsident von Eintracht Frankfurt hat beispielhaft vorgeführt, wie das funktioniert. Anstatt negativ zu formulieren, was Eintracht Frankfurt nicht ist, hat er positiv gesetzt, dass Vielfalt und Gleichwertigkeit ganz zentral im Selbstverständnis des Vereins sind. Und daraus geschlussfolgert, dass sich eine Mitgliedschaft bei Eintracht Frankfurt eben nicht damit vereinen lässt, die AfD zu unterstützen. Hieran kann sich auch die Politik ein Vorbild nehmen.

Was ist für eine aktive Zivilgesellschaft wichtig? Wie können wir sie stärken?

Wir haben oft ein verkürztes Verständnis davon, was Demokratie eigentlich ist: Demokratie bedeutet nämlich nicht nur, alle vier Jahre wählen zu gehen, sondern auch, einander zuzuhören und mühselig Kompromisse zu finden und dies mit den Spielregeln von Würde und Gleichwertigkeit zu tun, die das Grundgesetz vorgibt. Es ist Zeit, uns zusammenzuschließen, Bündnisse quer durch die europäischen Länder zu knüpfen, gerade auch mit Konservativen, die aber nicht völkisch und reaktionär sein wollen. In den letzten 80 Jahren haben wir viel erreicht. Daran sollten wir uns erinnern, aber auch daran, wo wir auf gar keinen Fall wieder hinwollen. Wir dürfen uns nicht beirren lassen und müssen den Kompass wieder gewinnen. Und dabei alle mitnehmen, jene, die unmittelbar im Fokus der Abwertung stehen, und vor allem auch die schweigende Mehrheit. Niemand kann sich raushalten. Wir alle sind gefragt.

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