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Hintergründe

„Atomwaffen Division“, „Knockout 51”, „Combat 18“: Deutschlandweite Razzien bei 50 Rechtsextremen

Auch in Erfurt durchsuchten Beamte die Wohnung eines mutmaßlichen "Knockout 51"-Mitgliedes. (Quelle: BTN)

Heute fanden bundesweite Durchsuchungen gegen die rechtsextreme Szene statt, die es in diesem Ausmaß schon lange nicht mehr gegeben hat. Auch Spezialeinheiten wie die GSG9 waren im Einsatz. Am 6. April 2022 führte das Bundeskriminalamt (BKA) in den frühen Morgenstunden Razzien gegen militante Neonazis in elf Bundesländern durch. Laut Bundesstaatsanwaltschaft wurden 61 Objekte mit über 800 Polizeikräften durchsucht. Betroffen sind 50 Rechtsextreme, von denen vier bereits festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt werden. Unter anderem werden den Beschuldigten die versuchte Bildung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, einigen bei einer kriminellen Vereinigung. Anderen sollen den Neonazi-Verein „Combat 18“ trotz Verbots weiterbetrieben haben. Insgesamt wird in fünf unterschiedlichen Verfahren ermittelt, wie der Spiegel berichtet. Im Mittelpunkt steht die rechtsextreme Kampfsportgruppe „Knockout 51“, die rechtsterroristischen Gruppierungen „Atomwaffen Division“ (AWD) und „Sonderkommando 1418“ (SKD 1418) sowie die verbotene Gruppierung „Combat 18 Deutschland“. 

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n den USA ist die „Atomwaffen Division“  erstmals 2015 in Erscheinung getreten. Gruppenmitglieder werden für mindestens fünf Morde verantwortlich gemacht. Nach einer großen Verhaftungswelle Anfang 2020 gegen US-Mitglieder wurde es zeitweise recht ruhig um die Gruppierung. Allerdings nahmen zahlreiche Neonazis die „Atomwaffen Division“ zum Vorbild, sodass es immer wieder Versuche gab, neue Ableger zu gründen wie Belltower.News-Recherchen zeigten.

Hier mehr zur „Atomwaffen Division Deutschland“ lesen

Die Ermittlungen lassen den begründeten Verdacht entstehen, dass sich ein Deutschland neue rechtsterroristische Zellen bilden könnten. Das Bundeskriminalamt durchsuchte 2019 bereits die Wohnung des jetzt festgenommenen Leon R., weil er im Verdacht stand, eine „Atomwaffen Division Deutschland“ aufbauen zu wollen und es Hinweise auf Bombenpläne gäbe. Recherchen von t-online zeigten damals, wie R. über das Neonazi-Forum „Iron March“ Kontakt mit US-Mitgliedern der AWD aufnahm und wenig später an dem ersten und vorerst letzten Propagandavideo eines deutschen Ablegers mithalf. 2020 wurde ein 23-jähriger Elektriker zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er einen rechtsterroristischen Anschlag vorbereitete. Er war Mitglied der „Feuerkrieg Division“, einer Ausgründung der AWD. 2021 stand ein 20-Jähriger aus dem hessischen Spangenberg unter Terrorismusverdacht, der Kontakt zur AWD suchte. Bei dem früheren CDU-Kandidaten wurden 600 selbst gebaute Kleinsprengkörper sowie sechs sogenannte unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen gefunden, außerdem ein Manifest, in dem er sich für einen „Rassenkrieg“ aussprach.

„Anhänger der AWD treten offen rassistisch, antisemitisch und nationalsozialistisch sowie extrem gewaltverherrlichend auf. Ihr Ziel ist die Entfachung eines ‚Rassenkriegs‘, aus dem die ‚weiße Bevölkerung‘ siegreich hervorgehen soll“, heißt es in der Pressemitteilung des Generalbundesanwalts. Die Gruppe verfolgt einen akzelerationistischen Ansatz und will die Gesellschaft durch Anschläge destabilisieren. In einer Rekrutierungsemail, die der Spiegel zitiert, heißt es: „Unser Schwerpunkt liegt auf Gewalt und Töten, sowie auf Propaganda, die zu solcher Gewalt und solchem Töten führt.“ Aktuell ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen zehn Beschuldigte im Zusammenhang mit der Terrorgruppierung. Hausdurchsuchungen gab es heute bei fünf von ihnen und einem weiteren Zeugen. Einer der Beschuldigten, der offenbar nicht festgenommen wurde, ist Chris Marvin C., ein ehemaliger Offiziersanwärter.

Im Zusammenhang mit der AWD, aber auch mit der rechtsextremen Kampfsportgruppe „Knockout 51“, die vor allem im thüringischen Eisenach aktiv ist, steht der festgenommene Leon R. Er trainiert laut Generalbundesanwalt den rechtsextremen Nachwuchs für den Straßenkampf, ausgerechnet in der Landeszentrale der NPD. Teile der Räume wurden heute durchsucht. Seit 2020 soll „Knockout 51“ für mehrere Angriffe und gewalttätige Aktionen gegen politisch linke Personen verantwortlich sein, „aber auch gegen die Polizei und sonstige Personen, die nach der rechtsextrem und rassistisch geprägten Weltsicht der Gruppierung bekämpft werden dürfen.“ Neben Leon R. wurden Maximilian A., Bastian A. und Eric K. verhaftet.

Leon R. gilt als Anführer von „Knockout 51“. Der Eisenacher betreibt seit 2019 die Kneipe „Bull’s Eye“ in der thüringischen Kleinstadt und organisiert die Kampfsporttrainings im „Flieder Volkshaus“, der örtlichen NPD-Parteizentrale. Dass weniger der Sport im Vordergrund steht, sondern vielmehr die Anwendung, zeigt ein Blick die vergangenen Straftaten, die der Gruppe „Knockout 51“ zur Last gelegt werden. Darunter fallen Landfriedensbruch, schwere Körperverletzung und Angriffe auf Vollstreckungsbeamte. Laut Bundesanwaltschaft wolle die Gruppe durch Patrouillengänge eine Art „Nazi-Kiez“ durchsetzen und habe vor allem für Angriffe gegen „Linke“ trainiert. Die Gruppe hat sich mit ihrer Straßengewalt oft in Szene gesetzt. Ein Aushängeschild war lange Zeit der Eisenacher Kevin N. Er stieg 2020 für das rechtsextreme Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“ in den Ring und war an einer Reihe brutaler Angriffe auf linksalternative Jugendliche beteiligt. 2019 wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und hielt sich seitdem bedeckt. Nach Informationen von Belltower.News ist N. ebenfalls von den Ermittlungen betroffen und seine Wohnung in Erfurt wurde durchsucht.

„Die jetzigen Festnahmen und Ermittlungen werden dazu führen, dass dieses dauerhafte Drohszenarium, das insbesondere von ‚Knockout 51‘ für viele Menschen ausgeht, erstmal akut sinken wird“, so die Thüringer Landtagsabgeordnete der Linken Katharina König-Preuss gegenüber Belltower.News und hält die Ermittlungen für ein wichtiges Zeichen. „Allerdings weisen Antifaschist:innen schon seit mehreren Jahren auf die steigenden Neonazi-Aktivitäten und die Netzwerke, die von Eisenach aus gepflegt werden, hin“, kritisiert König-Preuss den Umstand, dass erst jetzt gegen „Knockout 51“ vorgegangen wird. „Ich würde mir wünschen, dass die wichtige Arbeit von Antifaschist:innen, Journalist:innen und Rechercheur:innen schon früher ernst genommen wird.“

Die Aktivitäten der Gruppe um „Knockout 51“ konzentrieren sich nicht nur auf Thüringen. Die Bundesanwaltschaft teilt mit, dass die Gruppe „zwischen Ende August 2020 und Ende März 2021 mehrere Protestveranstaltungen gegen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie im Bundesgebiet“, besucht hat, unter anderem in Leipzig und in Kassel. Immer wieder kamen es dabei zu Angriffen auf Polizei und Gegendemonstrant:innen. Am 28. August 2020 trat die Gruppe in Berlin bei den sogenannten „Querdenken“-Protesten auf und griff auch hier Polizisten an. Auf falschen Anschuldigungen, sie würden zur „Antifa“ gehören, reagierte Leon R. damals unter einem Video mit dem Kommentar: „Googel halt einfach meinen Namen“ und „Dann hör auf so’n Quatsch zu labern, dass wir Linke sind“. Des Weiteren verfügt R. über zahlreiche Kontakte zu Rechtsextremen im gesamten Bundesgebiet – und darüber hinaus. Seit Ende Februar ist er auch Mitglied einer Telegram-Gruppe, in der der ehemalige NPD-Politiker Tobias Schulz alias Baldur Landogart zu Beginn des Ukraine-Krieges versuchte, Deutsche als Kämpfer für das rechtsextreme „Asow“-Regiment zu rekrutieren (siehe Belltower.News).

Die Razzien treffen auch Unterstützer des Neonazivereins „Combat 18“. Seit Januar 2020 ist die Gruppierung in Deutschland verboten. Gegründet wurde „Combat 18“ 1992 als Sicherheitstruppe der britischen Neonazipartei „British National Party“ (BNP), ging aus dem Netzwerk „Blood & Honour“ hervor und gilt als dessen bewaffneter Arm. Die 18 steht dabei für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets, also die Initialen von Adolf Hitler. „Blood & Honour“ wurde in Deutschland bereits im Jahr 2000 verboten. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen 21 Personen, die das Verbot ignoriert und den Verein weitergeführt haben sollen. Offenbar fanden mehrere „Pflichttreffen“ der organisierten Neonazis statt, bei denen unter anderem trainiert worden sei und neue Mitglieder aufgenommen wurden, dazu gehörte „neben einer praktischen Aufnahmeprüfung auch eine Art theoretische Prüfung mit Fragen zum Nationalsozialismus“, so der Generalbundesanwalt.

„Sonderkommando 1418“ (SKD 1418) war eine Chatgruppe, die rechtsterroristische Anschläge plante und eine ähnliche Ideologie wie die AWD verfolgt. Die Mitglieder versuchten online Unterstützer und neue Mitglieder für „terroristische Anschläge zum ‚Rassenkrieg‘ und zur Zerstörung bestehender demokratischer Systeme unter Ersetzung durch ein neofaschistisches System zu gewinnen“, so der Generalbundesanwalt. Gegen fünf Beschuldigte wird in diesem Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Die Wohnungen von vier von ihnen wurden heute durchsucht, „bei dem weiteren Beschuldigten war bereits in anderer Sache durchsucht worden“, heißt es in der Pressemitteilung.

Auswirkungen könnte die Razzia auf einen aktuellen Prozess vor dem Amtsgericht in Berlin haben. Angeklagt ist der 29-jährige Maurice P., der einen Jamaikaner mit einem Messer angegriffen und dabei nur knapp die Halsschlagader verfehlt haben soll. Gegen P. wird auch wegen seiner AWD-Mitgliedschaft ermittelt. Der heutige Prozessauftakt wurde aus „organisatorischen Gründen” abgesagt.

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