Amadeu Antonio wurde mit nur 28 Jahren eines der ersten Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung. Seine Hautfarbe machte ihn zur Zielscheibe Rechtsextremer: Er wurde zu Tode geprügelt, weil er Schwarz war. Die Amadeu Antonio Stiftung will das Gedenken an ihn bewahren und setzt sich in seinem Namen für eine offene und demokratische Gesellschaft ein, die keinen Platz für Menschenverachtung lässt.
„Vasco! Ich kann in die DDR“, erzählt Amadeu Antonio seinem Cousin aufgeregt am Telefon, „ich kann in die DDR!“. Nachdem er erfahren hat, dass er als Vertragsarbeiter nach Europa kann, sollte für ihn ein neues Kapitel beginnen. Geboren am 12. August 1962 als ältester Sohn von Antonio Makeueng und Helena Alfonso in der portugiesischen Kolonie Angola, galt er nicht nur unter seinen 12 Geschwistern als Liebling. In der Stadt Quimbele der Provinz Uíge wurde der ruhige, aber hilfsbereite und aufgeschlossene Amadeu von seiner Familie, seinen Freunden und in der Nachbarschaft geliebt und geschätzt. Sein Aufwachsen in Quimbele soll trotz der aufkommenden Unruhen vergleichsweise ruhig, ja schon fast idyllisch gewesen sein.
Ein Leben voller Träume und Hoffnungen
Damals, noch vor der Unabhängigkeit Angolas im Jahre 1974 und den darauffolgenden Bürgerkriegen, konnte er noch von der großen weiten Welt träumen, die er später ein wenig bereisen durfte. Da sein Vater zusammen mit dem Bürgermeister in der portugiesischen Administration arbeitete, war ihm Europa schon immer ganz nahe: „Er sprach portugiesisch, ja wurde sogar europäisch erzogen und ausgebildet“, erinnert sich Vasco Samuel, sein Cousin, für den Amadeu wie ein großer Bruder war und mit dem er zusammen aufwuchs. Intelligent und ambitioniert war er. Ambitioniert genug, um Quimbele in einer Zeit zu verlassen, die geprägt war von Unsicherheit und blutigen Auseinandersetzungen unter portugiesischer Herrschaft. Der sogenannten Nelkenrevolution gingen seit 1961 zahlreiche Unabhängigkeitskriege gegen die diktatorische Kolonialbesetzung voraus, die im Befreiungsschlag durch die sozialistische Arbeiterbewegung der roten “Nelken” mündete und Angola und weiteren beraubten Staaten die Unabhängigkeit schenkte.
Doch nicht ohne Preis: Nachdem die Unruhen ihm die Möglichkeit nahmen, die Schule in seiner Heimatstadt auch nach der 6. Klasse zu besuchen, sah er zu Beginn der Krise die Chance, nach Luanda zu gehen, um bei seinem Cousin zu leben und die Schule wieder aufzunehmen. Dort arbeitete er anschließend im Photographieladen seines Cousins, bevor er von der Armee eingezogen wurde. Von einer Armee, die keine Scheu hatte in die Dörfer zu fahren, um Schüler*innen gewalttätig aus dem Unterricht zu zerren – und Amadeu für 5 Jahre ins sowjetische Russland zu schicken,wo er unter anderen eingezogenen Soldaten sozialistischer Staaten in Flugmechanik ausgebildet wurde. Bevor er schließlich 1987, gemeinsam mit 103 weiteren Personen aus Angola, als Vertragsarbeiter in die DDR kam, sollte er mehrere Male nach Angola zurückkehren und für den Flugbereich der Armee tätig sein, in Brasilien Kaffee verkaufen, sowie mehrere Ausbildungen in Schweden und Portugal absolvieren. Seinen wirklichen Traum, Flugzeugtechnik zu studieren, konnte er sich jedoch nie erfüllen.
Ein Wunsch, der ihm von der DDR-Verwaltung nie gewährt wurde. Stattdessen wurde er, wie zu dieser Zeit viele ausländische Vertragsarbeiter, zum Fleischer ausgebildet – der Hörsaal blieb für ihn geschlossen.
Ein neues Zuhause – Sehnsucht nach der Heimat
Amadeu fand seine neue Heimat in der brandenburgischen Stadt Eberswalde – damals einer von vielen rechtsextremen Brenn- und Sammelpunkten des Ostens. Er arbeitete in einem Schlacht- und Verarbeitungskombinat und wollte sich eine langfristige Perspektive in der Stadt aufbauen, eine Familie gründen. Die Ankunft wurde ihm jedoch von der Verwaltung erschwert: Die Vertragsarbeiter mussten in gesonderten Wohnhäusern wohnen, abgeschirmt von der restlichen Bevölkerung. Kontakte zu Einheimischen waren unerwünscht, in den örtlichen Gaststätten waren die „Ausländer“ nicht gerne gesehen. „Jedes Mal wenn ich nach Angola fliege, weine ich immer“ teilte er der Familie mit, die er vermisst und immer wieder aus der DDR heraus unterstützt hat.
Mit der Wiedervereinigung veränderte sich die Situation für ihn und viele andere schlagartig. Die allgemeine Stimmung des Aufbruchs und der Veränderung war für die Gastarbeiter geprägt von Unsicherheiten hinsichtlich des Arbeitsplatzes und des Aufenthaltsstatus und führte letztlich zur Annullierung der Verträge zwischen der DDR und ihren Herkunftsländern. Für Amadeu bedeutet dies vor allem eins: Eine unsichere Zukunft für sich und seine schwangere Freundin sowie die Frage, wie er nun weiterhin seine Familie in Angola unterstützen konnte.
Und dennoch: „Ich will wieder zurück nach Angola, aber ich kann nicht. Erstmal muss ich sehen wie mein Kind auf diese Welt kommt“, teilte er seiner Familie mit.
Die Sehnsucht nach der Heimat wurde noch stärker, angesichts der grassierenden rassistischen Stimmung der Wende-Zeit: Rechtsextreme Straßenbanden zogen durch Städte und Gemeinden und bedrohten all jene, die nicht in ihr Weltbild passten. Es kam zu regelrechten Gewaltexzessen durch Neonazis. Die Politik reagierte nicht, Gemeinden befürchteten einen Imageschaden und bagatellisierten den anwachsenden Rechtsextremismus. Die Gewalt wurde vielerorts stillschweigend in Kauf genommen. Und Amadeu Antonio wurde eines ihrer ersten Todesopfer.