Drei Tage vor der Landtagswahl in Brandenburg hat die Gruppe gegen jeden Antisemitismus Potsdam zu einer Veranstaltung über Antisemitismus in der AfD eingeladen. Die Amadeu Antonio Stiftung hat den Vortrag mit einer Projektförderung finanziell ermöglicht.
Von Luisa Gehring
Nicht erst seit dem 7. Oktober inszeniert sich die AfD gerne als die einzig wahre Verteidigerin des israelischen Staates und jüdischen Lebens in Deutschland. Und dennoch nutzt die AfD strategisch antisemitische Codes und Argumentationen. Die Partei instrumentalisiert dabei den Kampf gegen den Antisemitismus, um rassistisch gegen „die Anderen“ zu hetzen. Im Land der Nachfahren des Nationalsozialismus sei die Bedrohung von Jüdinnen*Juden im Sinne eines „importierten Antisemitismus“ rein auf Menschen zurückzuführen, die in den Augen der AfD als „nicht-deutsch“ gelten.
Parallel zur Wahlkampfabschlusskundgebung der AfD in Cottbus sind in der feministischen Bibliothek des Potsdamer Kulturverein Chamäleon einige Menschen zusammengekommen, um sich über die paradoxe Haltung der Rechtsextremen zum Antisemitismus zu informieren. Der Vortrag gehört zu einer vierteiligen Veranstaltungsserie der Gruppe gegen jeden Antisemitismus Potsdam, welche über Antisemitismus in all seinen Facetten aufklären möchte. Die Amadeu Antonio Stiftung hat die Veranstaltung mit einer Förderung finanziell ermöglicht.
Antisemitische Einstellungen in der deutschen Gesellschaft
Der Referent des Vortrags ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Antisemitismusexperte, der seinen Namen aber aus Sicherheitsgründen nicht nennen möchte. Allein dies zeigt bereits, wie alltäglich die Gefahr ist, die von Antisemit*innen und Rechtsextremen in Deutschland ausgeht. Er berichtet darüber, wie präsent antisemitische Einstellungen in der deutschen Gesellschaft sind. Die Mitte-Studie 2023 zeigt, dass mehr als jede zehnte Person in Deutschland der Aussage, dass der „Einfluss von Jüdinnen*Juden zu groß“ sei, „überwiegend“ oder „voll und ganz“ zustimmt. Acht Prozent finden, dass Jüdinnen*Juden „mehr als andere Menschen mit üblen Tricks (arbeiten), um das zu erreichen, was sie wollen“ sowie „etwas Besonderes und Eigentümliches an sich (haben) und (…) nicht so recht zu uns (passen)“.
Antisemitismus in der AfD
Unterschieden werden kann zwischen dem „klassischen Antisemitismus“ und sekundärem Antisemitismus. Klassischer Antisemitismus zeigt sich in offenem Judenhass und Gewalt gegen Jüdinnen*Juden. Ein AfD-Abgeordneter in Nordrhein-Westfalen darf seit Juli 2024 nur noch die Räume der eigenen Fraktion im Landtag betreten, weil er wegen Körperverletzung und antisemitischer Beleidigungen verurteilt wurde. Er hatte sein Opfer mit einem Gürtel geschlagen und als „Drecksjude“, „Saujude“ und „Judensau“ beleidigt.
Der sekundäre Antisemitismus bezieht sich auf die Schuldabwehr der Shoah. Dieser ist bei der AfD, die immer wieder mit holocaustrelativierenden Aussagen und Forderung nach einem Schlussstrich auffällt, sehr gängig. Björn Höcke bezeichnete in seiner Dresdner Rede vom 17. Januar 2017 die Gedenkkultur als „dämliche Bewältigungspolitik“, die die deutsche Geschichte „mies und lächerlich“ mache. Die Deutschen seien das einzige Volk, das sich ein „Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt“ habe, gemeint ist das Holocaust-Mahnmal. Er forderte stattdessen eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, eine „Erinnerungskultur, die uns vor allen Dingen und zuallererst mit den großartigen Leistungen der Altvorderen in Berührung bringt“ Dieser Geschichtsrevisionismus findet sich auch im Wahlprogramm der Partei zu den Bundestagswahlen 2021 wieder. Dort heißt es: „Die deutsche Geschichte ist in ihrer Gänze zu würdigen. Die offizielle Erinnerungskultur darf sich nicht nur auf die Tiefpunkte unserer Geschichte konzentrieren, sie muss auch die Höhepunkte im Blick haben.“
Mit dieser Form des Antisemitismus kommt die Partei bei ihren Wähler*innen gut an. Eine Analyse des American Jewish Committee zeigt: Fast 60 Prozent der AfD-Wähler*innen glauben, dass Jüdinnen*Juden „für sich einen Vorteil aus der deutschen Schuld am Holocaust zögen“. Damit liegt der Zustimmungswert doppelt so hoch wie bei der Gesamtbevölkerung.
„Nein, die AfD ist keine Partei für Juden!“
Die AfD gilt folglich als Wahlpartei für Antisemit*innen. Die Partei hat den Hass gegen Jüdinnen*Juden zunächst sanktioniert, dann geduldet und schließlich übernommen. Vor allem während der COVID-19 Pandemie vermischten sich auch in der AfD rechtsextreme, verschwörungsideologische und antisemitische Inhalte. Obwohl sich in der AfD mittlerweile kleine jüdische Interessenvertretungen gegründet haben, gehört Antisemitismus laut dem AJC zum „programmatischen Kern“ der Partei. Die Gründung der Bundesvereinigung Juden in der AfD 2018 wurde von Bundesvorstandsmitglied und Sprecher der Christen in der AfD Joachim Kuh als „echte(r) Glücksfall“ für die Partei bezeichnet, der den gegnerischen Parteien das „Spielzeug der Nazikeule“ weggenommen habe.
Israelsolidarität und den Schutz jüdischen Lebens nutzt die AfD somit höchst funktional. Einen Monat nach dem Hamas-Angriff Israels forderte die Partei Maßnahmen gegen den durch Einwanderung vermeintlich „importierten Antisemitismus“, der eine „ernstzunehmende wachsende Bedrohung für unser gesamtes westliches Wertesystem“ darstellen würde. Der islamfeindliche Rassismus der Partei, den sie in ihrem vorgeschobenen Kampf gegen Antisemitismus zu verdecken versucht, geht gleichzeitig jedoch auch mit einer starken Bedrohung der Religionsfreiheit einher. Diese richtet sich zwar zunächst gegen die freie und öffentliche Ausübung des muslimischen Glaubens, kann jedoch auch schnell in eine Einschränkung jüdischen Glaubens umschlagen. In einer gemeinsamen Erklärung stellen die unterzeichnenden jüdischen Organisationen und Verbände klar: „Nein, die AfD ist keine Partei für Juden! (…) Die AfD agitiert unumwunden gegen Muslime und andere Minderheiten in Deutschland. Dabei versucht die AfD, „die“ Muslime als Feinde der westlichen Welt oder „der“ Juden darzustellen. Muslime sind nicht die Feinde der Juden! (…) Wir lassen uns von der AfD nicht instrumentalisieren.“