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Ist Diskriminierung eine Lappalie?


Dürfen Türsteher vor Diskotheken einem Gast aufgrund seiner Herkunft oder seines Geschlecht den Zutritt verweigern? Nein, das ist Diskriminierung, urteilte das Landgericht Tübingen – doch leider gibt es auch ein Aber.

Ende 2010 wurde David G. der Einlass in eine Diskothek in Reutlingen verwehrt – daran erscheint vielleicht noch nichts ungewöhnliches. Brisant wird diese Zurückweisung, wenn man weiß, dass David G. der Sohn einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters ist. Noch brisanter wird der Fall, denn es war nicht das erste Mal, dass man ihm den Einlass verweigerte. Der Fall ging vor das Landgericht Tübingen, das nun Ende Juli sein Urteil verkündete.

Die Hintergründe

David G. lebt mit seiner Familie seit Jahren in einer Kleinstadt in der Nähe von Reutlingen. Wie andere Jugendliche auch will er den Abend des 5. November 2010 gemeinsam mit einem Freund in der örtlichen Diskothek verbringen. Doch schon vor der Tür endet der Abend für die zwei jungen Männer. Der Türsteher verweigert ihnen mit den Worten „Ihr nicht!“ den Zutritt. Auf Rückfrage begründet er diese Entscheidung: „Es seien schon genug Schwarze drin.“ Beide haben ein Elternteil mit dunkler Hautfarbe. Dass die Behauptung des Türstehers nicht der Wahrheit entsprach, bestätigte eine Diskobesucherin. Gleichzeitig werden nicht nur andere Jugendliche, die offensichtlich keine dunkle Hautfarbe haben, sondern auch Davids Schwester problemlos eingelassen. Die ernüchternde Bilanz dieses Abends: David wurde nicht nur angesichts seines Migrationshintergrund, sondern auch aufgrund seines Geschlechts diskriminiert. Der wahre Grund für die Zutrittsverweigerung liegt in der Unterstellung, dass vor allem männlichen Diskobesucher mit Migrationshintergrund häufiger an Schlägereien beteiligt und für Belästigungen weiblicher Besucherinnen verantwortlich seien. Diese Ungleichbehandlung wollte David nicht akzeptieren: „Erst 6 Monate zuvor war ich schon einmal abgewiesen worden. Diesmal wollte ich es nicht auf mir sitzen lassen“.

Das Vorgehen

Unterstützung erhielt David dabei vom „Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) e.V.“ Gegründet wurde der Verein im April 2009, um bundesweit mit Musterklagen die Anwendung sowie die Interpretation des 2006 verabschiedeten Antidiskriminierungsgesetzes voranzubringen und Präzedenzfälle für die Zukunft zu schaffen. Dafür unterstützen die allesamt ehrenamtlichen Vereinsmitglieder von BUG e.V. gemäß dem eigenen Motto „Klagen statt Jammern“ diskriminierte Menschen kostenlos juristisch. In Davids Fall beschloss der Verein eine strategische Klage gegen die Diskothek anzustrengen. Dabei ging es ihnen nicht nur darum, die durch die Diskothek verursachte Ungleichbehandlung wieder gutzumachen, sondern sie wollten auch einen Präzedenzfall schaffen. „Davids Fall war insofern interessant, als dass sich in ähnlich gelagerten Fällen die Anwälte bislang nur auf die Feststellung einer ethnischen Diskriminierung konzentrierten. In diesem Fall wollen wir jedoch vom Gericht die Anerkennung einer multiplen Diskriminierung erwirken. Zeitgleich war Davids Schwester ohne Probleme in die Diskothek eingelassen worden – David wurde also aus mehreren Gründen ungleich behandelt, nämlich wegen seiner Hautfarbe und seines Geschlechts“, so Vera Egenberger, die Geschäftsführerin des BUG e.V.

Das Urteil

Mit diesem Fall hatte sich das BUG hohe Ziele gesteckt, denn das Urteil wird für seine Arbeit richtungweisend sein. „Wir haben den Fall unterstützt weil er in der Tat strategisches Potenzial hat. Leider sind Präzedenzfälle zumeist nicht gleich in der ersten Instanz klärend, sondern erst in den oberen Gerichtsinstanzen. Auch bei uns ist das so“, so Egenberger. „Wir haben zwar nun in der ersten Instanz ein Urteil bekommen, das die Diskriminierung feststellt – was sehr gut ist –, aber das Urteil sagt auch, dass es trotz der Diskriminierung keine Entschädigung gibt. Das heißt so viel wie: ja es gab eine Diskriminierung aber das ist ja nicht so schlimm. Das können wir natürlich nicht hinnehmen. Wir werden also in Berufung gehen, um zu erreichen, dass eine Entschädigung gezahlt wird“, kündigt Egenberger an. Es ist für das BUG e.V. und den Kläger David G. ernüchternd und für die deutsche Rechtssprechung beschämend, dass das Landgericht Tübingen zwar eine Diskriminierung des Klägers feststellt, aber dieses Fehlverhalten für die Diskothek keine Folgen hat. „Die einzige Konsequenz ist, dass der Kläger nicht mehr abgewiesen werden darf. Normalerweise gibt es jedoch eine Entschädigung. Hier scheint es aber so, dass der Richter Diskriminierung als eine Bagatellsache ansieht“, sagt Egenberger.

Das BUG e.V. strebte mit dieser Klage auch die Feststellung einer multiplen Diskriminierung an und musste auch hier einen vorläufigen Rückschlag hinnehmen. Die Geschäftsführerin von BUG e.V. kann sich dies nur so erklären: „Ich befürchte der Richter war damit hoffnungslos überfordert und hat sich im Urteil mit keinem Wort auf diesen Sachverhalt bezogen. Durch die Komplexität von mehrfachen Kategorisierungen (Frauen mit Behinderung oder schwule Menschen mit dunkler Hautfarbe beispielsweise) wurde die Situation bislang nur sehr begrenzt aus einem juristischen Blickwinkel beleuchtet. Bislang gibt es kein einziges Urteil hierzu. Wir haben die Hoffnung, dass das Oberlandesgericht dann etwas genauer auf diesen Sachverhalt schaut.“

Weiteres Vorgehen

Der Fall David G. ist also nach wie vor ungeklärt und das BUG e.V. wird so schnell nicht aufgeben: „Das Urteil ist ein Teilerfolg. Wir glauben jedoch, dass sich damit ein voller rechtlicher Erfolg erzielen lässt. Die Fallkonstellation ist sehr eindeutig, der Richter hat die Diskriminierung festgestellt. Jetzt müssen wir die Richter des Oberlandesgerichtes davon überzeugen, dass sie eine Entschädigung zugestehen. Das Antidiskriminierungsgesetz sieht das so vor.“

Der Fall von David G. zeigt nicht nur, dass Diskriminierung in Deutschland immer noch tagtäglich passiert, sondern auch das es für die Betroffenen auch ein langer Weg ist dagegen zu kämpfen. Umso wichtiger ist deshalb die Arbeit des BUG. Das findet auch die Amadeu Antonio Stiftung, die die Arbeit des BUG e.V. im Rahmen des Opferfonds CURA finanziell unterstützt. Vera Egenberger resümiert: „Da das BUG nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung hat und ich meine Arbeit weitgehend ehrenamtlich tue, war uns der Zuschuss aus dem CURA Opferfond mehr als willkommen. Er gewährleistet, dass wir regelmäßig mit dem Kläger in Kontakt sein können, bei der Verhandlung dabei waren, unsere Webseite hierzu regelmäßig updaten können, Pressearbeit gemacht haben und im September vor Ort eine Diskussionsveranstaltung durchführen. Hierbei geht es darum wie die Strukturen und Institutionen in der Stadt nachhaltig Diskriminierung beim Zugang zu Diskotheken bearbeiten können.“

Was nützen die hehren Absichten des Antidiskriminierungsgesetzes, wenn Diskriminierung dennoch tagtäglich geschieht, geduldet, folgenlos bleibt und selbst von Gerichten als Lappalie abgetan wird? Im Engagement für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft wird das BUG im Interesse von David G. und vielen weiteren Diskriminierten mit ungebrochener Ausdauer weiterkämpfen.

Von Katharina Weile

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