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Eine unendliche Geschichte

abgebranntes "Haus der Demokratie", Foto: Eric Stritter

Was gibt es Neues in Zossen? Nachdem im Januar 2010 das „Haus der Demokratie“ bei einem Brandanschlag vollständig zerstört wurde, unterstützte auch der Opferfonds CURA den Wiederaufbau. Seitdem ist zwar viel passiert, doch nur wenig hat sich geändert.

Wiederholt berichtete die Amadeu Antonio Stiftung über die Situation in Zossen, einer Kleinstadt südlich von Berlin. Engagierten Bürgern wird hier das Leben schwer gemacht und dass nicht nur vom vermeintlich politischen Gegner, sondern auch von der dortigen Bürgermeisterin.

Ein Rückblick

Im Jahr 2008/09 war Zossen wiederholt durch neonazistische Provokationen und Aktionen aufgefallen. So wollte Rainer Link, Betreiber eines Internetcafés im November 2008 die Verlegung von Stolpersteinen, die an eine ermordete jüdische Familie erinnern sollen, unter Einsatz von Gewalt verhindern. Einen Monat später wurde eine Gedenkkundgebung für Zossener Juden, die in der Zeit des Nationalsozialismus vertrieben und ermordet wurden, von Neonazis gestört. Schließlich veranstalteten die neonazistische Vereinigung „Freien Kräfte Teltow-Fläming“ am Holocaustgedenktag im Januar 2009 auf dem Zossener Marktplatz eine Demonstration.
Um den Neonazis etwas entgegenzusetzen, deren Provokationen nicht länger hinzunehmen und um zu verhindern, dass sich in Zossen eine feste Neonaziszene entwickelt, gründeten engagierte Zossener Bürgerinnen und Bürger im Januar 2009 die Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“. Infoabende, Bürgerfeste und Konzerte gegen neonazistisches Gedankengut wurden veranstaltet und schließlich gelang es den ehrenamtlich Engagierten mit hohem Arbeits- und Zeitaufwand und in Zusammenarbeit mit dem Verein „Bildung und Aufklärung Zossen e.V.“ im September 2009 das „Haus der Demokratie“ in der Zossener Innenstadt zu eröffnen. Dieses sollte für Initiativen und Engagierte zur Anlaufstelle werden, Jugendbands einen Raum zum Proben und Platz für Ausstellungen bieten.

Doch leider stieß das Engagement der Bürger von Anfang an auf Gegenwehr. Neonazistische Parolen, Todesdrohungen gegen in der Bürgerinitiative Engagierte und Hakenkreuze wurden immer wieder an Hauswände und Denkmäler geschmiert. Auch 2010 verlief der Holocaustgedenktag nicht ohne Neonazis. Die von Bürgerinitiative auf dem Marktplatz organisierte Gedenkveranstaltung wurde durch Lärm, Parolen und Hitlergrüße gestört.

Nachdem nur zwei Wochen nach der Eröffnung des „Hauses der Demokratie“ in dieses eingebrochen und die Räume verwüstet worden waren, erreichten die Übergriffe nur vier Monate später ihren traurigen Höhepunkt. Das Haus brannte in der Nacht zum 23. Januar 2010 vollständig nieder. Wenig später gestand ein 16-jähriger Neonazi die Brandstiftung. Dennoch blieb diese Tat strafrechtlich ohne Folgen. Das Amtsgericht Zossen stellte das Verfahren ein und ordnete die Unterbringung des Täters in einem Heim an, da er ein Intensivstraftäter auf der Suche nach Anerkennung sei und deshalb psychologische Betreuung bedürfe. Auch ein Verfahren wegen Beihilfe gegen einen 15-Jährigen wurde eingestellt. Bis heute wartet die Bürgerinitiative auf die Eröffnung des Verfahrens gegen den volljährigen Anstifter des Brandanschlages. Die Verzögerung sei darauf zurückzuführen, dass lange Zeit unklar war, ob der Fall vor dem Amts- oder Landesgericht verhandelt werden soll, erklärt Jörg Wanke, Sprecher von „Zossen zeigt Gesicht“. Inzwischen ist entschieden worden, den Fall vor dem Amtsgericht Zossen zu verhandeln.

Die aktuelle Situation

Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützte damals den schnellen Wiederaufbau des Hauses im Rahmen des Opferfonds Cura. Inzwischen sind anderthalb Jahre vergangen seit das „Haus der Demokratie“ niedergebrannt ist und in Zossen hat sich viel getan, wenn auch nicht alles im positiven Sinne. Von Seiten der neonazistischen Szene ist es in Zossen, vorsichtig gesagt, etwas ruhiger geworden. Zwar gab es keine Mahnwachen mehr, doch auch im Verlauf des Jahres 2010 wurden Morddrohungen an die Hauswand eines Ladens und Hakenkreuzschmierereien an Fassaden, Schildern, ans Rathaus und auf Stolpersteine geschmiert. Auch in den letzten Wochen haben die Neonazis bewiesen, dass sie immer noch präsent sind. So wurde an die Fassade eines Supermarktes in Zossen neben der Parole „Mord verjährt nicht“ auch das Gesicht von Rudolf Heß gesprüht. Außerdem erhielt der Sprecher sowie ein weiterer in der Bürgerinitiative Engagierter ebenso wie drei Mitglieder der SPD, nach Angaben von Jörg Wanke, wieder postalische Morddrohungen. Obwohl es in Zossen nach wie vor Neonazi-Aktivitäten gibt, spricht Wanke von einer entspannteren Lage: „Erfreulicherweise wurden die Aktivitäten zurückgedrängt. Dies steht natürlich in direktem Zusammenhang mit dem erhöhten Druck von Seiten der Polizei und der Justiz, seit des Haus der Demokratie niederbrannte und mit Verbot der ‚Freien Kräfte Teltow-Fläming’ im April 2011.“ Deshalb ist das Engagement der Bürger in Zossen nach wie vor gefragt.

Auch in diesem Jahr organisierte „Zossen zeigt Gesicht“ zum dritten Mal das „Frühlingsfest“, das als polit-kulturelle Veranstaltung auch eine Diskussionsrunde zum Thema „Bürgerhaushalt“ anbot und nach eigenen Angaben rund 600 Besucher anlocken konnte. Leider belasten seit dem Brand im Januar 2010 auch neue, schwerwiegende Probleme die Arbeit der Bürgerinitiative. Ihr Bemühen schnell eine neue Immobilie zu finden, indem das „Haus der Demokratie“ seine Arbeit fortsetzen kann, wurde zur Geduldsprobe. Zwar unterstützte der Landkreis Teltow-Fläming die Bürgerinitiative tatkräftig und bald konnte ein geeignetes Objekt im Zossener Stadtzentrum gefunden werden, doch wider Erwarten fingen die Probleme da erst an. Die ehemalige Führerscheinstelle in der Fischerstraße hatte 17 Jahre lang leer gestanden und sollte nun neu belebt und sinnvoll genutzt werden. Die Lösung schien für alle Beteiligten ideal. Der Landkreis Teltow-Fläming wollte das Haus kaufen, die Sanierung mitfinanzieren und es dann der Bürgerinitiative zur Verfügung stellen. Deren Mitglieder hatten bereits in einer ersten Aktion begonnen, dass Haus zu entkernen und das dazugehörige Grundstück aufzuräumen.

Doch dann machte die Stadt Zossen dem Plan einen Strich durch die Rechnung. Die Zossener Bürgermeisterin Michaela Schreiber übte ohne Beschluss der Stadtverordnetenversammlung das Vorkaufsrecht der Stadt aus und begründete diese Entscheidung damit, dass ein Abriss des Hauses verhindert werden soll. Auch dass das Grundstück im Sanierungsgebiet „Innenstadt“ liegt, könnte zur Entscheidung der Bürgermeisterin beigetragen haben. Damit ist nun die Stadt Zossen Eigentümer der Immobilie und hat die Entscheidungsgewalt. Bedauerlicherweise scheint Michaela Schreiber das „Haus der Demokratie“ nur widerwillig zu unterstützen. Stattdessen möchte sie ein Haus der Vereine, indem neben der Bürgerinitiative auch andere Initiativen Räumlichkeiten für ihre Arbeit finden. Jörg Wanke sieht diese Idee kritisch. Denn da die meisten Vereine in Zossen Sportvereine sind, die ihre Vereinslokale nutzen, besteht seiner Einschätzung nach wenig Bedarf oder Interesse an einem Haus der Vereine. Auch ein konkretes Konzept von Seiten der Bürgermeisterin zur sinnvollen Nutzung des Hauses vermisst Wanke. Den Vorwurf, die Bürgerinitiative hätte sich, nachdem die Stadt Zossen nun Eigentümer des Hauses in der Fischerstraße ist, beleidigt zurückgezogen, möchte Wanke jedoch nicht auf sich sitzen lassen. Allerdings äußert er sich sichtlich enttäuscht: „Wir als Bürgerinitiative wollten ein selbstverwaltetes Projekt. Die Stadt Zossen hingegen möchte durch Mietverträge die Nutzung des Hauses mitbestimmen.“ Bis heute konnte keine Einigung gefunden werden und das weiterhin leerstehende Haus ist nach wie vor dem Verfall ausgesetzt.

Ein Ausblick

Nach wie vor ist die Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“ weit davon entfernt ein neues „Haus der Demokratie“ in Zossen zu eröffnen. Um jedoch ihren ungebrochenen Willen dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen und ihre Präsenz zu zeigen, plant die Bürgerinitiative am 1. September, dem Weltfriedenstag, einen Aktionstag. „Wir werden das Haus symbolisch in Beschlag nehmen, um ein Signal zu setzen. Ein Signal, das wir weder das Projekt noch unsere Arbeit aufgeben werden und weiterhin für neue Ideen und Projekte offen sind.“, erläutert Jörg Wanke. Deshalb will die Bürgerinitiative an der Hausfassade Texte, Fotos und Bilder anbringen, die für die Demokratie in Zossen sprechen. Daneben stehen Straßenmusik und die erstmalige Verleihung des Wilhelm-Witt-Preis für Demokratie und Zivilcourage in Zossen auf dem Programm.

Spannend wird die Situation in Zossen am 11. September. An diesem Tag sind die Zossener Bürgerinnen und Bürger aufgerufen ihre Stimme bei der Bürgermeisterwahl abzugeben. Neben der amtierenden Bürgermeisterin Michaela Schreiber von Plan B kandidiert Carsten Preuß mit Unterstützung von SPD, der Linken, VUB und Bündnis 90/ Die Grünen. Aus naheliegenden Gründen hat Michaela Schreiber den Streit um das Grundstück nicht zum Wahlkampfthema gemacht, während der Gegenkandidat Carsten Preuß bereits seine Unterstützung ankündigte. Unabhängig davon wie die Situation in Zossen nach der Bürgermeisterwahl aussieht, die circa 30 Engagierten der Bürgerinitiative und zahlreiche weitere Unterstützer wollen ihre Arbeit auch in Zukunft fortsetzen.

Von Franziska Jung
 

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