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Analyse

Entfesselter Hass: Rezeption des Israel-Angriffs auf Telegram

Nach einem unendlich langen Terror-Wochenende gegen die israelische Bevölkerung wirkt Telegram wie eine brennende Müllhalde entfesselter Menschenfeindlichkeit. Eine Medienanalyse zeigt, wie Antidemokrat*innen und Rechtsextreme um Diskurshohheit ringen und wie Desinformation in Echtzeit entsteht.

Die menschenfeindliche Maschinerie Telegrams läuft seit Tagen auf Hochtouren. Spindoktor*innen, Verschwörungsideolog*innen und rechtsextreme Meinungsmacher*innen versuchen den terroristischen Hamas-Angriffen auf Israel zu kapitalisieren. Das antidemokratische Telegram-Spektrum scheint auf einen ersten Blick mit weit unterschiedlichen und gegensätzlichen Narrativen zu antworten. So berichtet die deutsch-russische Desinformateurin Alina Lipp am 8. Oktober über Waffenlieferungen an die Hamas, die ausgerechnet aus der Ukraine kämen, während zur gleichen Zeit der rechtsextreme AUF1-Moderator, Stefan Magnet, bereits eine jüdische, transhumanistische Agenda hinter dem Angriff vermutet. QAnon-Anhänger*innen sprechen vom „roten Oktober“ und ewigem Kriegszustand. Indes entstauben deutsche Reichsbürger*innen, wie „Heinrichs Gedanken“ schon die ersten Palästina Karten, die den vermeintlich palästinensischen Landesverlust nachzeichnen wollen.

Screenshot von Telegram

Erste Solidaritätsbekundungen mit Palästina liest man bereits zwei Stunden nach den ersten Raketenangriffen am 7. Oktober 2023 in verschwörungsideologischen Ecken. Etwa zur gleichen Zeit heißt es bei den „Jungen Nationalisten“ auf X/Twitter: „Israel mordet und die Welt schaut zu“. Wer zu dieser Zeit auf Telegram blickt, mag wohl denken, dass pure Chaos herrsche hier, doch hinter diesem lassen sich die genauen Züge einer antisemitischen Medienstrategie erkennen. 

Screenshot von X/Twitter

Antisemitismus – Die Medienstrategie aller Menschenfeind*innen

Egal ob verschwörungsideologisch oder israelbezogen, Antisemitismus ist die zugrundeliegende Strategie und der Antriebsmotor des Hasses. Denn Antisemitismus ist die Form der Menschenfeindlichkeit, die wie ein Kitt zwischen den menschen- und demokratiefeindlichen Szenen agiert. Es bringt nicht nur zusammen, was ideologisch zusammen gehört, sondern dient als antidemokratischer Universalleiter und Grundkurs für die Telegram-Ideolog*innen von morgen. Gleichzeitig besitzen antisemitische Erzählungen eine unglaubliche Spannbreite, die von historisch tradierten Mustern („Brunnenvergifter“, „Kindermörder“) bis zu obskuren Nischenerzählungen reicht. Täglich wird auf Telegram das Alte mit dem Neuen verschmolzen, es entstehen Mischnarrative, die alte Bilder aufgreifen und mit dem aktuellen Tagesgeschehen nahtlos verschmelzen. Ein Beispiel etwa kommt aus dem verschwörungsideologischen QAnon-Kanal derVereinigten Wahrheitsbewegung“, die am 9. Oktober 2023 behaupten, Israel habe es auf die Organe palästinensischer Kinder abgesehen. Unlängst zeichnet sich dort das aus dem Mittelalter stammende Motiv vermeintlich jüdischer „Kindermörder“. 

Screenshot von Telegram

Es wird tief in die Trickkiste diskursiver Fehlargumentationen gegriffen, wie etwa Relativierungen, Derailing oder Verharmlosungen, um seine intrinsische Motivation (Antisemitismus) zu verschleiern. So fließen Krokodilstränen für die Menschen im Gaza-Streifen, einzig und allein nur um Israel als Aggressor darzustellen. Reiner Fuellmich, einer der Querdenken-Szenelieblinge und Anwalt, teilt apokalyptische Postings über die Zeit der „ewigen Kriege“, zumal der Ukrainekonflikt für die jüdische Weltelite nicht mehr ausreichend sei. Und sowieso wisse man, wer hinter den ganzen Terrorgruppen stünde: „Es gibt eine sehr böse Fraktion, die tief in Israel eingebettet ist und einen Großteil der terroristischen Organisationen in der Welt stellvertretend leitet. Die Schaffung von Terrorgruppen wie AQ, ISIS, Hamas usw. und ihre anschließende Nutzung zum Abschlachten von Zivilisten – insbesondere israelischen Zivilisten – hat diesen Leuten in den letzten 80 Jahren enorme Gewinne eingebracht.“

Das gegenseitige Ausspielen von Minderheiten als Strategie ist jedoch nicht nur Verschwörungsideolog*innen eigen, sondern auch in AfD-nahen Kreisen recht bekannt. So behaupten diese lautstark, sich die Hände rein von jeglichem Antisemitismus zu waschen, denn Deutschland gäbe es Antisemitismus nur noch als „Importrodukt, als menschenfeindliches Phänomen, das von Nicht-Bio-Deutschen-Menschen Verbreitung fände. Weiter wird diese Strategie auch verwendet, um Verantwortungsdiffusion zu betreiben. Etwa so auch Carsten Jahn, der sich über die (berechtigte) Sorge der jüdischen Community über den Wahlerfolg der AfD echauffiert, denn er wisse ja besser, dass in „Deutschland muslimische Antisemiten auf die Straße“ gehen und „den Massenmord“ in Israel feiern würden.

In der Zwischenzeit zwirbelt der Chefredakteur vom „Heimatkurier“, Philip Huemer, bedächtig seinen üppigen Schnurrbart und posaunt sechs Thesen zum Nahostkonflikt in einem „Leitartikel“, der eine Vielzahl rechtsextremer Dogwhistles verwendet. So spricht Huemer vom großen Austausch, einer neurechten Verschwörungserzählung, um sich von jeglicher Menschlichkeit endgültig zu verabschieden. Der Konflikt, Huemer zufolge, sei schließlich kein deutsches Problem, vielmehr hindere der deutsche „Schuldkult“ in der Entfaltung deutscher Souveränität. Währenddessen ist es bei einigen Szenegrößen der verschwörungsideologischen Szene wie etwa Boris Reitschuster ungewöhnlich still. Vor allem meinungsstarke Wortführer wie Reitschuster reagieren in der Regel sehr früh auf das Weltgeschehen, doch diesmal wird das Vakuum lieber mit Pöbeln gegen die Ampel und den Wahlergebnissen in Hessen gefüllt. 

Liveticker Desinformation

Wer einen Blick in den Desinformationssumpf von Alina Lipp auf Telegram wirft, merkt, dass die Kreml-nahe „Influencerin“ sich selbst für rohste Niederträchtigkeit nicht zu schade ist. Lipp scheint ihre Narrative im Minutentakt anzupassen, denn selbst gegensätzliche Erzählungen, vermögen ihren Desinformations-Liveticker nicht weiter zu stören. So solidarisiert sich Lipp in einem Telegram-Beitrag vom 8. Oktober über den Hamas Überfall auf ein Musik-Festival mit den Opfern. Einen Tag später ist ihre Solidarität für die Opfer komplett zerflossen: „Neues zu der von den Palästinensern misshandelten Deutschen. Im Netz tauchte ein Foto der Deutschen auf, auf dem sie ein okkultes Symbol um den Hals trägt. Worum es sich handelt: SEPHIROT-KARTE DES PHARAONISCHEN TODESKULTES, auch bekannt als Der Kult des Baal. Die Sephirot-Karte folgt der Entwicklung eines okkulten Glaubenssystems, das sich an Menschenopfern und Krieg erfreut und das Bankwesen als Werkzeug für die globale Vorherrschaft nutzt.“ Empathie-adé, willkommen krude antisemitische Verschwörungserzählung. Bei Lipp kann sehr gut nachvollzogen werden, wie Agenda Setting und prorussische Positionierung in Echtzeit funktionieren. Schon früh beginnt die Kreml-nahe Influencerin an einem Schuldnarrativ zu basteln und lanciert am 8. Oktober ihre erste Theorie: Die Ukraine, soll Waffen an die Hamas geliefert haben, heißt es in einem ersten Posting. Kurz darauf wird ein weiteres veröffentlicht, dass die Ukraine mitverantwortlich für den Überfall macht. Womöglich mag sie mit ihren wahnsinnigen Lügen, nicht die richtige Stoßrichtung angegeben zu haben, denn kurz darauf (einen Tag später), wird gleich eine neue Hypothese lanciert. Diesmal wird das israelische Militär als Aggressor, der „den Gazastreifen dem Erdboden gleich“ machen möchte, inszeniert. Ob diese Theorie in zwei Tagen noch Bestand hat, bleibt abzuwarten. 

Screenshot von Telegram

Nicht alle Desinformationsexpert*innen verfahren gleichauf chaotisch. Der rechtsextreme AUF-1 Moderator, Stefan Magnet, führt Umfragen durch, um die antisemitischen Präferenzen der eigenen Community abzuklopfen. Wer hat wen provoziert? Und ist das Ganze nicht vielleicht doch eher eine PsyOp, also eine psychologische Operationen zur Meinungsmanipulation? Stefan fragt nach. Wenig später und zwei Antworten reicher – ja, Stefans Community hält Israel für schuldig und glaubt, die Regierung führe nichts Gutes im Schilde – findet Magnet seine diskursiven Leitlinien: PsyOp und Israel als Aggressor. Nicht verwunderlich, dass noch am selben Tag auch AUF-1 die erste politische Einschätzung veröffentlicht, die Israel laut eigenen Angaben „als Aggressor“ sieht. 

Die nächsten Tage und Wochen werden sicherlich neue Desinformationskampagnen und wüste Verschwörungsideologien entfesseln. Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheit und Krisen werden von antidemokratischen Milieus gezielt eingesetzt, um neue Mobilisierungsstrategien zu spinnen und weiter den gesellschaftlichen Konsens auszuhöhlen. Der Hamas-Angriff hat schon jetzt reale Konsequenzen für die Sicherheit von Juden und Jüd*innen in diesem Land. Und Telegram, die brennende Müllhalde, ist der Verstärker des antisemitischen Hasses von morgen.

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