Die 2. Phase der Kampagne BerlinzeigtCURAge nimmt rechte Gewalt in den Berliner Außenbezirken in den Blick. Diese werden in den Debatten um vorurteilsmotivierte Gewalt oft außen vor gelassen, aber Menschenfeindlichkeit endet eben nicht am Berliner S-Bahn Ring.
Das folgende Gespräch ist Teil einer Interviewserie mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und Vertreter*innen aus der Politik und der Verwaltung, mit denen wir über rechte Gewalt in ihren Bezirken sprechen. Hier schildert die Initiative Aktives Gedenken in Lichtenberg die Situation in ihrem Bezirk und erläutert, warum eine aktive und antifaschistische Gedenkkultur auch konkrete Orte braucht.
Opferfonds CURA: Wie ist die Lage im Bezirk Lichtenberg? Ist rechte, rassistische und antisemitische Gewalt dort ein großes Problem? Gibt es lokale Besonderheiten?
Initiative Aktives Gedenken in Lichtenberg: Lichtenberg hat leider eine traurige Tradition, was rechte Strukturen im Bezirk angeht. Lange Zeit galt besonders die Gegend um die Weitlingstraße als „Nazikiez“, nicht ganz zu Unrecht. Nach dem Fall der Mauer in den 1990er Jahren wurde massiv von Neonazis versucht, das entstandene Machtvakuum zu nutzen. Das prominenteste Beispiel dafür sind wohl die von Neonazis aus dem Umfeld der „Nationalen Alternative“ besetzten Häuser in der Weitlingstraße. Aber auch einige Jugendclubs wurden zu Rückzugsorten der extremen Rechten – dank des verfehlten Konzepts der „akzeptierenden Jugendarbeit“ verschiedener Sozialarbeiter:innen. Kameradschaften etablierten ihre eigene Kneipenkultur im Kiez, die erst in den 2000ern durch massive Proteste und Aktionen großteils beseitigt werden konnten. Einige Locations, wie beispielsweise das „Sturgis“ oder das Tattoostudio „Utgard“, halten sich leider sogar bis heute. In Lichtenberg fühlten sich Neonazis zu Hause. Davon zeugt euch die exzessive und offen ausgeübte Gewalt, die sie an den Tag legten, wie an so vielen Orten in Ostdeutschland zu der Zeit. In Lichtenberg fand dies traurige Höhepunkte in den Morden an Klaus-Dieter Reichert (11.12.90) und Kurt Schneider (06.10.99).
Seitdem hat sich viel getan, es gab breit angelegte Kampagnen wie „Hol die den Kiez zurück“, die gezielt Anwohnende und Gewerbetreibende ansprachen, gegen die Neonazis mobilisierten. Ende der 2000er Jahre war von dem Mythos des „Nazikiezes“ nicht mehr viel übrig, die Nazi-Strukturen waren weitgehend zerschlagen. Doch auch heute leben noch einige aber organisierte Neonazis in Lichtenberg. Die Weitlingstraße dient der extremen Rechten weiterhin nach Aktionen als Rückzugsort, wie zuletzt am Abend nach dem (verhinderten) Aufmarsch des III. Weg am 03.10.2020 zu sehen war. Antifaschistische Gedenkorte, wie die (provisorische) Gedenkplakette für Kurt Schneider oder die „Blutmauer“ sind immer wieder Ziele von Vandalismus. Auch antisemitisch motivierte Brandanschläge scheinen wieder im Rahmen des Möglichen zu sein, wie der Angriff auf die Kneipe „Morgen wird besser“ am 14.08.2020 zeigt. Der jüdische Eigentümer war schon seit Jahren immer wieder Ziel rechter Bedrohungen.
Weiterhin muss die rechte bzw. neonazistische Propaganda erwähnt werden. Fast überall im Bezirk sind rechte Aufkleber und Graffiti zu finden, die auch regelmäßig erneuert werden.
Die Bedrohung geht aber nicht nur von der organisierten extremen Rechten aus, wie sich leider 2016 wieder zeigte. Auch der Alltagsrassismus und gesellschaftlich verankerte Sozialchauvinismus sind tödlich. Eugeniu Botnari wurde am 17.09.2016 Opfer dessen, als der Filialleiter des Edeka am S+U Lichtenberg André S. ihn in ein Hinterzimmer seines Ladens zerrte und dort mit Quartzhandschuhen so heftig verprügelte, dass dieser am 20.09 an den Folgen des Angriffs verstarb.
Habt ihr schon selbst Erfahrungen mit rechter Gewalt gemacht?
Im Weitlingkiez besteht für Menschen, die den Rechten nicht in ihr faschistisches Weltbild passen, eine erhöhte Bedrohungslage. Das soll nicht bedeuten, dass sich hier seit den 90er Jahren nichts getan hat. Wir für unseren Teil sind uns aber dessen bewusst, dass politische Arbeit hier im Bezirk zu Problemen führen kann und müssen entsprechend vorbereitet sein.
Als Menschen, die auch äußerlich als antifaschistisch gelesen werden können, sind wir leider immer wieder Beleidigungen ausgesetzt. Bunte Haare, lackierte Fingernägel, linke Slogans auf Kleidung, Pins und Patches, reichen den Rechten dafür oftmals schon. In einzelnen Fällen geht das soweit, dass die Bedrohungen sehr persönlich werden und Menschen bis nach Hause verfolgt werden, um diese so einzuschüchtern oder gar anzugreifen.
Doch wir kennen das Risiko. Wir treten bewusst politisch auf, haben in den meisten Fällen die Möglichkeit unter dem Radar zu fliegen. Viel wichtiger ist doch die Frage, wie die Bedrohungslage für diejenigen aussieht, die dieses Privileg nicht haben. Leider bekommen wir immer wieder von Übergriffen auf rassifizierte, jüdische oder queere Personen im Bezirk mit. Manchmal durch unseren direkten Bekanntenkreis, manchmal erst aus den Medien oder Polizeimeldungen. Diese traurige Kontinuität gehört zum Alltag und es ist wichtig, darauf zu reagieren. Es ist wichtig, sich solidarisch zu zeigen, wenn es wieder zu einem Übergriff kam. Es ist wichtig, den Betroffenen Hilfe anzubieten. Es ist außerdem wichtig, keinen rechten Angriff unbeantwortet zu lassen. Wir sind deshalb froh, dass es in den letzten Monaten als Reaktion immer wieder zu Plakat- und anderen Aktionen kam, die diese Übergriffe in die Öffentlichkeit tragen.
Wird rechte Gewalt auf Bezirksebene verhandelt? Gibt es Angebote für Betroffene? Wird dem Phänomen Aufmerksamkeit geschenkt?
An der Stelle muss wohl zuallererst auf die Rolle der AfD aufmerksam gemacht werden. Diese sitzt seit 2016 mit etwa 20% als drittstärkste Kraft in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg und nutzt diese Position natürlich dafür, sich als parlamentarischer Arm der extremen Rechten zu profilieren. Hier wird durch rassistische Anträge und Wortmeldungen die Gewalt im Bezirk beflügelt. Die Verordneten machen keinen Hehl daraus, dass sie selbst in der AfD dem rechten Rand zuzuordnen sind. So wurden sie auf „Bärgida“-Demos gesichtet und haben gemeinsam beim „Wartenbergfest“ des völkischen „Flügels“ Reden von Björn Höcke und Andreas Kalbitz beklatscht. Kay Nerstheimer, der vor kurzem zur NPD übergelaufen ist, kam ebenfalls über die Lichtenberger AfD ins Berliner Abgeordnetenhaus. Die Auswertungen des Berliner Registers belegen zudem, dass extrem rechte Straftaten seit 2015 konstant um einiges höher liegen als in den Jahren zuvor.
An dieser Stelle müssen wir als Gedenkinitiative aber auch sagen, dass die Zusammenarbeit mit dem Rest der BVV sehr reibungslos läuft. Unser Anliegen, Gedenkorte für Opfer rechter Gewalt zu schaffen, stößt bei mehreren Parteien auf Sympathie. Die Umsetzung steht natürlich noch aus, aber auch hier sind wir zuversichtlich. Nachdem wir mit der Gedenktafelkommission im Gespräch waren, eine Gedenkplakette für Kurt Schneider aufzuhängen, hat sich die Lichtenberger SPD eigenständig um eine Pressemitteilung und einen Antrag in der BVV dazu bemüht. Die Linke hat ebenfalls mit einem Antrag zur Umbenennung des Bahnhofsvorplatzes nach Eugeniu Botnari Initiative gezeigt, nachdem wir kurz zuvor diese Forderung öffentlich gemacht hatten.
Natürlich freuen wir uns über den Support innerhalb der BVV. Aus anderen Bezirken wissen wir, dass solche Vorhaben von offizieller Seite leider nicht immer so reibungslos ermöglicht werden.
Wir würden uns aber auch wünschen, dass es Vertreter:innen auch vermehrt zu unseren Gedenkveranstaltungen zieht. Bislang haben sich leider nur vereinzelt Abgeordnete auf unseren Gedenkkundgebungen wiedergefunden, auch wenn diese direkt vor dem Rathaus Lichtenberg stattfanden.
Was wäre eurer Meinung nach notwendig, um dem Problem rechter Gewalt (in Lichtenberg) effektiv entgegenzutreten?
Es ist wichtig als Zivilgesellschaft konsequent Haltung zu zeigen. Die Aktionen gegen die besetzten Häuser in der Weitlingstraße und die breite Mobilisierung gegen rechte Strukturen im Kiez haben gezeigt, dass antifaschistische Arbeit Früchte trägt. Die extreme Rechte ist heute sehr verstreut im Bezirk, die wenigen verbliebenen Strukturen bilden für sie deshalb enorm wichtige Ankerpunkte. Es liegt an uns, ihnen die letzten Rückzugsorte madig zu machen. Wir müssen den Rechten den Raum nehmen. Jeden Tag. Das kann auf ganz unterschiedliche Weise passieren.
Wir sind froh über die vielen antifaschistischen Projekte, die in Lichtenberg bestehen und in letzter Zeit viel Zuwachs bekommen. Gerade die Jugend setzt mit eigenen Aktionen antifaschistische Akzente im Kiez, die nicht zu übersehen sind. Nazipropaganda hängt nirgendwo in Lichtenberg lange, faschistische Graffiti sind innerhalb kürzester Zeit übermalt, rassistische Beleidigungen und Übergriffe bleiben immer seltener unbeantwortet. Wir freuen uns über diese Entwicklung und möchten uns bei allen antifaschistischen Projekten dafür bedanken, die den Grundstein für einen solidarischen Bezirk legen.
Wir konzentrieren uns als Initiative darauf, eine sichtbare antifaschistische Gedenkkultur im Alltag zu verankern. Wir wollen die mörderische Gewalt der faschistischen Ideologie greifbar machen und die Opfer nicht in Vergessenheit geraten lassen. Wir wollen Menschen darauf aufmerksam machen, die im Umkreis wohnen oder einfach auf dem Weg zur Arbeit daran vorbeikommen. Dass sich die Rechten daran enorm stören, sehen wir an deren Versuchen, diese zu zerstören. Das zeigt uns aber nur, wie wichtig es ist, das Gedenken aufrecht zu erhalten. Der Kiez braucht antifaschistische Gedenkorte.
Die Gedenktafel für Kurt Schneider wird kommen. Die Benennung des Bahnhofsvorplatzes nach Eugeniu Botnari muss es ebenso und dafür werden wir weiterhin kämpfen!