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FAQ: Verklagt die Amadeu Antonio Stiftung den stellvertretenden Neuköllner Bezirksbürgermeister Falko Liecke?

© Michael Thurm via flickr cc

Anders als in Medienberichten dargestellt, verklagt die Amadeu Antonio Stiftung nicht den stellvertretenden Neuköllner Bezirksbürgermeister Falko Liecke. Richtig ist, dass sich die Stiftung mit einer Unterlassungsaufforderung an das Beziksamt Neukölln richtete, die sich gegen die Verbreitung einer einseitigen Pressemitteilung durch das Bezirksamt richtet.

Zum Hintergrund:

Falko Liecke (CDU), stellvertretender Bezirksbürgermeister und Jugendstadtrat von Berlin-Neukölln, verbreitet aktuell über Facebook und Twitter: „Die Amadeu Antonio Stiftung verklagt das Bezirksamt Neukölln. Bei Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro soll so verhindert werden, dass die umstrittene Broschüre „Ene, mene, muh – und raus bist du“ von mir kritisiert wird.“

Ist das so? Was steckt hinter dieser Aussage?

  1. Das Bezirksamt Neukölln hatte am 30.11.2018 eine Pressemitteilung versendet. Darin heißt es: „Das Bezirksamt Neukölln rät von der Nutzung der umstrittenen Broschüre „Ene mene muh – und raus bist Du!“ der Amadeu Antonio Stiftung ab.“ Es folgen Vorwürfe, basierend auf einem verkürzt und einem falsch wiedergegebenen Zitat aus der Broschüre, und ein Zitat von Falko Liecke, dem stellvertretenden Bezirksbürgermeister und Jugendstadtrat von Berlin-Neukölln, der der Broschüre u.a. vorwirft, Vorurteile zu schüren, Eltern unter Generalverdacht zu stellen und zu einseitig nur dem Rechtsextremismus gewidmet zu sein, während in Neukölln eher der religiöse Extremismus ein Problem sei. (vgl. Twitter, Profil von Falko Liecke).
  2. Das Problem daran ist nicht die getätigte Aussage – Kritik an einer Broschüre können Personen wie auch Falko Liecke jederzeit äußern, was er seitdem auch ausgiebig getan hat und weiterhin tun kann. Aber das Bezirksamt als staatliche Institution ist der Absender der Pressemitteilung. Und staatliche Institutionen unterliegen dem Sachlichkeitsgebot. Das Versenden einer einseitigen und nicht die notwendige Kontroversität beinhaltende Pressemitteilung durch das Bezirksamt erscheint uns dem entsprechend unzulässig.
  3. Deshalb hat die Amadeu Antonio Stiftung das Bezirksamt um eine klärende Stellungnahme gebeten. Damit hätte der Vorgang beendet sein können.
  4. Das Bezirksamt hat aber bekräftigt, dass die Broschüre eine einseitige Ausrichtung besitze und damit nicht geeignet sei, Handlungsempfehlungen für das sensible Umfeld von Kindertagesstätten in Neukölln zu geben.
  5. Daraufhin wurde dem Bezirksamt ein förmliches Unterlassungsbegehren übermittelt. Weil es sich dazu nicht verhalten hat, wurden rechtliche Schritte eingeleitet und nun ist ein Verfahren am Verwaltungsgericht Berlin anhängig. Es gibt noch keinen Verhandlungstermin.
  6. Das Ordnungsgeld, auf das Herr Liecke hinweist, ist erst fällig, wenn das Gericht die Verbreitung der Pressemitteilung durch das Bezirksamt Neukölln mit einer einstweiligen Anordnung untersagen sollte, und auch dann erst, wenn das Bezirksamt Neukölln dagegen erneut verstoßen sollte. Auch dann stellen 250.000 Euro nur den möglichen Rahmen dar, nicht die zu erwartende Strafe.

 

Also: Verklagt die Amadeu Antonio Stiftung Herrn Liecke?

Nein, es geht nicht um eine Klage, sondern um eine Unterlassungserklärung.
Diese richtet sich gegen die Verbreitung einer einseitigen Pressemitteilung durch das Bezirksamt Neukölln, nicht gegen die Privatmeinung von Herrn Liecke.

Darf Herr Liecke dann seine Meinung nicht mehr sagen?

Doch, das darf er – als Privatperson.
Wenn eine offizielle Pressemitteilung des Bezirksamtes Neukölln versendet wird, muss diese dem Sachlichkeitsgebot entsprechen und Sachverhalte zumindest mit notwendiger Kontroversität darstellen. Dies ist hier nicht der Fall gewesen.

Kommentar der Stiftung zum Vorgang

Die Broschüre ist eine Fachpublikation für Erzieher*innen, die nicht an Kitas verteilt wird, sondern aktiv bei der Amadeu Antonio Stiftung angefragt und bezogen werden muss. Wenn also Neuköllner Kita-Erzieher*innen fänden, dass sie das Problem rechtsextremer Eltern nicht beschäftigt, würden sie diese Publikation weder anfordern noch lesen. Warum das Bezirksamt Neukölln eine Pressemitteilung herausgibt, die vor der Broschüre warnt, ist deshalb nicht verständlich. Dem Sachlichkeitsgebot entspricht das nicht, und besonders zielführend erscheint die Aktion ebenfalls nicht, denn die Aufmerksamkeit für die Publikation ist nun weit größer, als sie es ohne gewesen wäre. Wenn Argumente wie auf rechtspopulistischen Blogs verkürzt und verdreht dargestellt werden, um von staatlicher Stelle vor der Broschüre einer zivilgesellschaftlichen Initiative zu warnen, ist dies ein für uns ein bedenklicher, nicht hinnehmbarer Vorgang.

Warum der Wunsch nach einer Unterlassungserklärung?

Die Pressemitteilung greift in die Grundrechte der Amadeu Antonio Stiftung ein, weil damit faktisch verhindert werden soll, die Broschüre im angesprochenen Personenkreis zu verbreiten. Das ist ein Eingriff in die Pressefreiheit. Sie entspricht inhaltlich nicht dem Sachlichkeitsgebot, das verlangt, das Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Die Pressemitteilung greift lediglich zwei Fallbeispiele aus der über sechzigseitigen Broschüre heraus. Diese beiden Fallbeispiele sind zuvor durch gezielte Auslassung, falsche Zitierung und bewusste Missinterpretation von rechtspopulistischen Medien in der Öffentlichkeit platziert wurden. Außerdem verstößt der Versand durch das Bezirksamt gegen das Demokratieprinzip, nach dem die öffentliche Meinungsbildung offen, frei und unabhängig vom Staat vollzogen werden soll. Deshalb darf ein Amtsträger nicht steuernd auf politische Meinungsbildungsprozesse einwirken.

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