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Opferfonds CURA

Hassgewalt begegnen und Betroffene stärken

Am 13. Februar organisiert CURA gemeinsam mit der Amadeu Antonio Stiftung den Tageskongress „Hassgewalt begegnen – Betroffene stärken“ in Berlin.

Hassgewalt hat in Deutschland eine hohe Dunkelziffer. Das zeigt bereits die Diskrepanz zwischen 198 Todesopfern rechter Gewalt und 12 weiteren Verdachtsfällen, die die Amadeu Antonio Stiftung seit 1990 zählt und den davon staatlich anerkannten 83 Fällen. Im Umgang mit den Betroffenen von rechter Gewalt gab es in der Vergangenheit Behördenversagen und Fälle von institutionellem Rassismus. Auch wuchs das Misstrauen gegenüber den Polizeibehörden, insbesondere nach den von Polizei-Computern versandten Drohungen gegen die NSU-Nebenklageanwältin Seda-Basay-Yildiz oder dem Auffliegen polizeiinterner Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten.

Von Moritz Aschemeyer

Der Opferfonds CURA der Amadeu Antonio Stiftung unterstützt seit 2004 Betroffene von Hassgewalt, also Menschen, die von antisemitischen, rassistischen, rechtsextremen und anderen menschenverachtenden Angriffen betroffen sind. Ein weiteres Anliegen des Fonds ist die Stärkung von Betroffenen-Perspektiven, insbesondere durch Öffentlichkeitsarbeit und die Dokumentation von rechten Gewalttaten.

Am 13. Februar organisiert CURA gemeinsam mit der Amadeu Antonio Stiftung den Tageskongress „Hassgewalt begegnen – Betroffene stärken“ in Berlin. Wir sprachen mit der Projektleiterin von CURA, Sarah Haupenthal.

Belltower.News: Was ist aus Ihrer Arbeitserfahrung derzeit das größte Problem im Bereich Hasskriminalität?
Sarah Haupenthal: Hasskriminalität bezeichnet zunächst einmal alle kriminellen Handlungen, die aufgrund von homofeindlichen, rassistischen, antisemitischen oder anderen menschenverachtenden Motiven begangen werden. Dazu zählen auch Fälle von Hate Speech im Internet. Bei CURA haben wir aber weniger mit Vorfällen von Hate Speech zu tun, sondern vor allem mit Menschen, die Opfer von physischen Angriffen oder Angriffsversuchen wurden. Dabei stoßen wir immer wieder auf strukturelle Hindernisse, die sich den Betroffenen stellen. Dazu zählen insbesondere Schwierigkeiten und Widerstände von staatlicher Seite, die Spezifik der Taten anzuerkennen. Kriminalität, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit enthält, ist für die Betroffenen immer auch eine Erfahrung gesellschaftlicher Exklusion. Rechte Gewalttaten sind immer auch „Botschaftstaten“, sie treffen den Einzelnen immer als Repräsentanten einer gesellschaftlichen Gruppe.

Woran scheitert die Anerkennung der Taten als Hasskriminalität?
Es gibt den Paragraphen 46 im Strafgesetzbuch, der etwa bei Rassismus oder Antisemitismus strafverschärfend wirkt. Es ist zunächst einmal sehr sinnvoll, dass es dieses juristische Instrument zur Verurteilung von Hasskriminalität gibt. Die konkrete Anwendung gestaltet sich aber oft schwierig, etwa aufgrund ungenügendem Wissen von Richter*innen. Das kann dazu führen, dass mögliche menschenverachtende Tatmotive nicht ausreichend geprüft und Verfahren vorzeitig beendet werden. Und gerade für die Betroffenen solcher Gewalttaten sind das erneute Ohnmachtserfahrungen. Daher spricht man in solchen Fällen auch von einer sogenannten „sekundären Viktimisierung“. Auf der polizeilichen Ebene gibt es das Problem, dass die Einordnung von Straftatbeständen sehr stark abhängig ist von den einzelnen Beamt*innen, die als erstes vor Ort sind. Hier fehlt es häufig an Wissen, oder eben an dem Willen, z.B. mögliche rassistische Motive zu sehen oder aufzunehmen.

Ist das ein strukturelles Problem? Hat es mit rechten Einstellungen in Polizei und Justiz zu tun?
Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Antisemitismus und andere Formen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind ein strukturelles Problem in unserer gesamten Gesellschaft. Natürlich schließt dies auch Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz mit ein. Das Problem in der öffentlichen Debatte darüber ist, dass es immer wieder den Versuch gibt, davon abzulenken und nach öffentlich bekannt gewordenen Fällen von rechtsextremen oder rassistischen Einstellungen oder sogar Taten z.B. in der Polizei diese als „Einzelfälle“ charakterisiert werden und behauptet wird, es gäbe nicht genug Belege für ein strukturelles Problem. Aber allein wenn man sich diese Fälle anguckt, sieht man, dass diese meistens eingebettet sind in eine zumindest akzeptierende, wenn nicht gutheißende Umgebung. Wenn ein Polizist seinem Vorgesetztem eine 88 als Abschiedsgruß sendet und dies dann erst bei einer anderen Gelegenheit zufällig herauskommt, dann ist es schwer zu glauben, dass dieser Polizist als „Einzeltäter“ gehandelt hat. Er konnte davon ausgehen, dass er diese Nachricht an seinen Vorgesetzten schreiben kann, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen hat – und er hatte damit recht. Abgesehen davon gibt es ein umfangreiches Erfahrungswissen von Betroffenen im Umgang mit Ermittlungsbehörden und Justiz, das zeigt, dass es starke Defizite in der Anerkennung von menschenverachtenden Motiven auf allen Ebenen gibt. Dieses Wissen zu ignorieren und zu behaupten, wir hätten keine Belege, finde ich anmaßend und unverschämt den Betroffenen gegenüber.

Wie gesagt, strukturelle Formen von vorteilsbehafteten und abwertenden Einstellungen gibt es in allen Teilen der Gesellschaft. Was Polizei und Justiz als staatliche Institution aber von anderen gesellschaftlichen Bereichen unterscheidet, ist, dass diese die Aufgabe haben, allen Menschen zu ihrer Unversehrtheit und ihrem Recht zu verhelfen. Deswegen halten wir es für besonders wichtig, dass in diesen Institutionen Verfahren geschaffen werden, die strukturell eingreifen und die Gleichbehandlung der Bürger*innen verbessern. Allein 17 Disziplinarverfahren wegen möglicher rechtsmotivierter Straftaten hat die Berliner Polizei im vergangenen Jahr gegen Beamte eingeleitet, berichtete kürzlich die Morgenpost. Vor einem halben Jahr ist bekannt geworden, dass die Berliner Polizei rechtsextreme Vorfälle in den eigenen Reihen nicht systematisch erfasst. Polizeipräsidentin Barbara Sykow kündigte daraufhin an, stärker gegen das Problem vorzugehen.

Hat sich aus Ihrer Perspektive in den letzten Monaten etwas getan?
Es ist begrüßenswert, dass es wohl mittlerweile auch in der Polizei ein Problembewusstsein gibt und die Thematik auch öffentlich angegangen wird. Was wir uns darüber hinaus wünschen würden, ist eine effiziente Strafverfolgung auch innerhalb der Polizei. Disziplinarverfahren haben meist milde Konsequenzen wie Versetzungen –  aus Außenperspektive ist das kaum nachvollziehbar.

Ein zentrales Anliegen von CURA ist es, die Betroffenen zu stärken. Nach dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) stellte man sich die Frage, warum die Ermittlungen anfänglich vor allem gegen das Umfeld der Opfer liefen und Rechtsextremismus als Tatmotiv quasi nicht behandelt wurde. Was berichten Betroffene über den Umgang der Polizei mit Hassverbrechen?
Das unterscheidet sich momentan nicht besonders von anderen Formen von Kriminalität. Bestimmte Betroffenengruppen werden besonders stark ausgefragt oder gar vorverurteilt. Aussagen werden teilweise nicht ernst genommen. Das ist ein großes Problem.

Wie ist das Vertrauen in die Behörden?
Hier gilt es natürlich zwischen verschiedenen Opfergruppen zu unterscheiden, die entsprechend auch unterschiedliche Erfahrungen machen. Daher ist es schwierig, verallgemeinernde Aussagen darüber zu treffen. Was sich allerdings flächendeckend zeigt, ist, dass ein Problem für viele darin besteht, polizeiliches Fehlverhalten anzuzeigen und eine Sanktionierung dessen zu erwirken. Deswegen kann man an dieser Stelle von fehlendem Vertrauen sprechen.

Der Opferfonds CURA hat eine Tagung mit vier verschiedenen Panels organisiert, zu denen neben Betroffenenvertreter*innen auch Repräsentant*innen aus Politik und Exekutive eingeladen sind.  Was sehen Sie als zentrale Aufgaben für Staat und Polizei, um in der Zukunft besser gegen Hasskriminalität vorzugehen und die Betroffenen dabei nicht erneut in Situationen zu bringen, die sie zu Opfern machen?
Als einen wichtigen Punkt würde ich die systematische Integration des Themenkomplexes Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in die Ausbildung der Polizeibeamt*innen und Jurist*innen nennen. Wissen und ein angemessener Umgang etwa mit Rassismus, Antisemitismus oder Antiziganismus darf kein Randthema sein, sondern muss an zentraler Stelle verhandelt werden. Insbesondere Polizist*innen der mittleren Dienstebene, die im Alltag mit potentiell Betroffenen zu tun haben, sollten geschult werden. Was weiterhin angegangen werden muss, ist die justizielle Praxis. Richter*innen müssen wegen der aus gutem Grund hochzuhaltenden Unabhängigkeit der Justiz nicht zu Fortbildungen „gezwungen“ werden, die sich etwa mit Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit befassen. Hier muss es andere Wege geben. Einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung vor Gericht z.B. mit dem Thema Rassismus, leisten aktuell engagierte Nebenklagevertreter*innen. Dies hängt aber von der Einzelinitiative von Betroffenen oder Unterstützerkreisen ab, das ist leider kein systematischer Umgang mit dem Problem.

Welche institutionellen Maßnahmen braucht es, um das Vertrauen in die Ermittlungsbehörden wiederherzustellen?
Es gibt viele verschiedene Ansätze und Forderungen zur Stärkung der Perspektive Betroffener von menschenverachtenden Einstellungen und vorteilsmotivierten Straftaten und zu ihrem Schutz innerhalb von Ermittlungs- und Gerichtsverfahren. Alle zu nennen würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Unserer Konferenz soll den Raum genau dafür bieten. Ein wichtiger Punkt, der oftmals gefordert wird, ist das Einrichten unabhängiger Polizeibeschwerdestellen. Hier lohnt sich z.B. ein Blick nach Großbritannien. Dort gibt es externe Kontrollstellen wie das Independent Office for Police Conduct (IOPC), das polizeiliches Fehlverhalten untersucht und dagegen vorgeht. In Deutschland ermittelt bisher im Zweifelsfall die Polizei gegen eigene Kolleg*innen, was zu Hindernissen in den Ermittlungen führen kann. Es gibt auch schon hierzulande Konzepte für die Einsetzung unabhängiger Polizeibeauftragter auf Bundes- und Länderebene. In Berlin gibt es bereits einen Gesetzentwurf für eine solche Stelle. Allerdings werden die bisherigen Konzept von Expert*innen eher als zahnlose Tiger bezeichnet, da sie nicht die benötigten Ressourcen für eine konsequente Ermittlung von angezeigten Fällen einplanen.

Am 13. Februar veranstaltet der Opferfonds CURA gemeinsam mit der Amadeu-Antonio-Stiftung den Tageskongress „Hassgewalt begegnen – Betroffene stäken“ im Roten Rathaus. Mehr Informationen zum vorläufigen Programm der ganztägigen Konferenz finden Sie hier.

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Kommentar

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