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Eine Erfolgsgeschichte im Porträt

Bollwerk der Demokratie: Das Netzwerk für Demokratische Kultur in Wurzen

Das Netzwerk für demokratische Kultur in Wurzen wird immer wieder massiv angegriffen. Dem Vorwurf, ein »Hetz werk« zu sein, entgegnen die Engagierten mit einem eindeutigen Banner. © NdK e.V.

Ende der 1990er ist Wurzen eine Nazihochburg. Doch es gibt Widerstand: Das NDK, gefördert von der Amadeu Antonio Stiftung. Ein Besuch.

von Charlotte Sauerland und Viola Schmidt

Mitten in der Wurzener Innenstadt befindet sich das Haus des Netzwerks für Demokratische Kultur e.V., kurz: NDK. Ein zivilgesellschaftliches Bollwerk gegen rechtsextreme Umtriebe in der sächsischen Stadt. Vor dem denkmalgeschützten Domherrenhaus sitzen Jens Kretschmar, Ingo Stange und Martina Glass auf Bierbänken. Bei Kaffee und Mohnkuchen erzählen sie – von den Neonazis, den Widerständen, den Erfolgen.

Die Geschichte des NDK ist eng verknüpft mit der Amadeu Antonio Stiftung. Und sie beginnt 1999 in einer Fahrradwerkstatt eines Hinterhofs. Anetta Kahane, die erst vor einem Jahr die Stiftung ins Leben gerufen hat, trommelt alle zusammen: Ökos, Punks und Christ*innen – eben alle, die in Wurzen etwas gegen Nazis machen wollen. Auch dabei: Jens und Ingo, damals 26 und 28 Jahre alt. Ingo erinnert sich an das erste Treffen: „Anetta hat ganz schön gepowert“, lacht er. „Das war ein bisschen wie ein Arschtritt – positiv gesprochen.“

Zwei Jahre später geht für die Engagierten aus Wurzen ein Traum in Erfüllung. Die Amadeu Antonio Stiftung sammelt Spenden, bürgt mit für einen Kredit und ermöglicht so den Kauf des alten Domherrenhauses, in dem sie bis heute sitzen. Über Jahre sanieren die Ehrenamtlichen das Vereinshaus und machen es zu einem Kultur- und Bürger*innenzentrum, einem Zufluchtsort.

Dass Anfang der Nullerjahre so ein Ort in Wurzen entsteht, ist alles andere als selbstverständlich. „In den 90ern war hier zeitweise die Hölle los“, erinnert sich Jens und zählt Prügeleien, Brandschatzen, rechtsextreme Propaganda und Demos auf: „Leute wurden zu Hause in ihren Wohnungen angegriffen.“ Die NPD feiert damals Erfolge, besetzt 1996 ein Haus als „Nationales Zentrum“ und zieht 1999 erstmals in den Stadtrat. Tagsüber treffen sich Rechtsextreme im staatlich finanzierten Jugendclub. Abends ziehen sie durch die Straßen, auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer. Stadt- und Landespolitik schauen lange weg. Rechte Gewalt wird geleugnet und verharmlost. Und die, die etwas dagegen tun, werden als Nestbeschmutzer verunglimpft.

Von der Fahrrad- zur Demokratiewerkstatt

Trotz aller Widerstände gibt das NDK nicht klein bei. Das Haus bietet einen nazifreien Raum für Konzerte und Partys. Brothers Keepers, Udo Lindenberg, Clueso – bekannte Musiker*innen kommen in den Anfangsjahren zu Besuch, um Flagge zu zeigen. Von Beginn an steht das NDK für demokratische Kultur, politische Bildung, Austausch und Solidarität. Zweieinhalb Jahrzehnte ist Ingos Engagement im NDK zum Vollzeitjob geworden, er gestaltet dort unter anderem Bildungsangebote und betreut Veranstaltungen. Jens sitzt inzwischen für die Linkspartei im Wurzener Stadtrat und ist im Vorstand des Vereins.

Martina ist seit 2010 dabei und übernahm 2016 die Geschäftsführung. Sie berichtet von unzähligen Projekten, viele von der Amadeu Antonio Stiftung gefördert – von einem Unterstützer*innennetzwerk für Geflüchtete über Interviews von Jugendlichen aus Leipzig mit Betroffenen rechter Gewalt bis hin zu einer ehrenamtlichen Redaktionsgruppe, die dem Misstrauen und der Verächtlichmachung gegenüber den Medien etwas entgegensetzen will, und ein Stadtmagazin von und für Bürger*innen herausgibt.

Von der Fahrradwerkstatt bis ins Domherrenhaus war es ein langer Weg. Heute ist das NDK überregional bekannt und geschätzt, hat mehrfach Preise bekommen. Fördermittel gibt es mittlerweile auch von staatlichen Stellen. Dennoch ist die finanzielle Situation alles andere als rosig, eine dauerhafte Finanzierung hat das NDK nicht.
24 Jahre nach der Gründung gibt es immer noch viel zu tun. Die oberen Stockwerke des Hauses sind zurzeit eine Baustelle. Hier entsteht ein Tagungshaus auf drei Etagen – Seminarräume für Jugend- und Erwachsenengruppen sowie Büros für das Netzwerk. Ein großes Bauprojekt, für das auch diesmal wieder die Amadeu Antonio Stiftung bürgt. Neben einer professionellen Bauleitung helfen auch NDK-Unterstützer*innen. Denn demokratische Kultur in Wurzen bleibt Handarbeit.

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Kommentar

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Am Freitagabend wurde der sächsische SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Matthias Ecke, in Dresden beim Plakatieren für die Europawahl angegriffen und so schwer verletzt, dass er nicht ansprechbar war. Unsere Gedanken und unsere volle Solidarität sind bei Matthias Ecke und seinen Angehörigen. So erschüttert wir über den extremen Angriff sind, so wenig darf er uns überraschen. Es ist die logische Konsequenz aus “Wir werden sie jagen”, der von Alexander Gauland nach der Bundestagswahl 2017 vorgegebenen Stoßrichtung. Rechtsextremer Hass und Hetze fallen auf fruchtbaren Boden.

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