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In Zeiten von Krieg und Desinformation

Bei einer pro-russischen Demonstration mit Umzug durch die Kölner Innenstadt schwenkten die Teilnehmer russische und deutsche Flaggen, kritisierten die Waffenlieferungen an die Ukraine aber auch Corona-Maßnahmen, Impfpflicht, NATO und Preissteigerungen von Gas und anderen Rohstoffen. Köln, 04.09.2022

Seit nunmehr einem Jahr führt Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein Jahr voll von Angriffen auf Zivilist*innen und kritische Infrastruktur, systematischer Folter und sexualisierter Gewalt. Während die Kämpfe insbesondere im Osten der Ukraine mit unerbitterter Härte weitergehen, schweigen die Waffen auch an einem anderen Kriegsschauplatz nicht: dem globalen Informationsfeld.

von Andrej Steinberg

Eine Flut an Desinformation begleitet Russlands Angriffskrieg und bahnt sich den Weg auch bis nach Deutschland. Hier fallen prorussische Positionen auf durchaus fruchtbaren Boden. Davon zeugt momentan die Debatte rundum die von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiierte Kundgebung „Aufstand für den Frieden,“ die am 25. Februar am Brandenburger Tor stattfinden soll. Knapp 600.000 Menschen (Stand: Redaktionsschluss)unterschrieben die Petition, mit der die beiden zu einem Ende der Waffenlieferungen an Kyiv aufrufen. Der Text stellt die Bereitstellung von Kriegsgerät einer Verhandlungslösung entgegen. Die Implikation: Nicht der russische Aggressor, sondern die Ukraine stünde Verhandlungen im Wege. Dass Kyiv gerade dank westlicher Militärhilfen überhaupt noch in einer Position ist, in der Verhandlungen möglich scheinen, fällt unter den Tisch. Gleichsam klammert die Petition zumindest die Kriegsschuld Russlands nicht aus.

In Interviews grenzen Wagenknecht und Schwarzer sich indes nicht von jenen ab, die das entschieden anders sehen. Folglich mobilisieren auch Teile der AfD und rechtsextreme Szenegrößen wie der Herausgeber des rechtsextremen Compact-Magazins Jürgen Elsässer für den 25. Februar ­– Kreise, die den USA zumindest eine Mitschuld am Krieg unterstellen und damit jene Täter-Opfer-Umkehr reproduzieren, die im Kern kremlnaher Propaganda liegt. Deutschlands extreme Rechte hat die oftmals verschwörungsideologische und demokratiefeindliche Kritik an der Ukrainepolitik der Bundesregierung längst als Mobilisierungsinstrument entdeckt. Wir blicken zurück.

Verschwörungs-Szene entdeckte den Angriffskrieg

Seit März 2022 häuften sich Berichte über Russlandfahnen bei pandemieleugnerischen Kundgebungen. Die allgemeine Aufmerksamkeit begann damals, sich von der Pandemie zum Kriegsgeschehen zu verlagern. Verschwörungsideolog*innen bauten den Krieg konsequenterweise in ihre kruden Erzählungen ein. Das antisemitische Desinformationsmedium Auf1 behauptet beispielsweise bis heute, dass der Krieg Teil eines Planes der „Globalisten“ sei, eine „neue Weltordnung“ zu errichten. Die bislang unaufgeklärte Sprengung der Gas-Pipeline Nord Stream deuten Verschwörungsideolog*innen und Rechtsextreme wie der Thüringer AfD-Kader Björn Höcke ebenfalls als einen US-amerikanischen Sabotageakt, um Deutschland in den Untergang zu treiben. Die kaum belegte Enthüllungsgeschichte des US-amerikanischen Journalisten Seymour Hersch gibt dieser Erzählung momentan starken Auftrieb.

Auch Russlands Regierung befeuert derartige Verschwörungsnarrative. Sie heizt den Diskurs um die Pipepline-Sprengungen an und streut seit langem Desinformationen zu vermeintlichen US-Biowaffenlaboren in der Ukraine. Mit Erfolg: Die Lüge über die Labore teilten beispielsweise Protagonist*innen der Querdenken-Bewegung, Anhänger*innen der QAnon-Verschwörungsideologie und der prorussische Blogger Thomas Röper, der dort den wahren Ursprung der Covid-19-Pandemie entdeckt haben will.

Der hohe Vertrauensgrad, den sich russische Propagandamedien wie RT DE unter Pandemie-Leugner*innen erarbeiteten, begünstigte bei ihnen die Übernahme prorussischer Positionen. Der deutschsprachige Auslandssender des Kreml verbreitete während der Pandemie regelmäßig Desinformationen zur Covid-19-Impfung.

Desinformation suchte neue Wege

Jene Falschmeldungen bescherten RT DE schon zu Pandemiezeiten das Aus auf YouTube. Unmittelbar nach Kriegsbeginn erhielt der kremlfinanzierte Auslandssender sodann ein Sendeverbot in der gesamten EU. Seine Inhalte verbreiten sich dennoch weiter – bis heute. Dafür sorgt eine Reihe an eigens dafür eingerichteten Webseiten sowie Social-Media-Kanäle, die Verlinkungen zu den Texten und Videos streuen.

Dennoch kann von einem gewissen Reichweitenverlust von RT DE ausgegangen werden. In der Folge gewannen andere Verbreitungswege an Bedeutung. Desinformationskanäle zum Kriegsgeschehen verzeichneten vor allem auf Telegram in den ersten Kriegsmonaten rapide Wachstumsschübe. Am bekanntesten ist hier der bei Querdenker*innen und Rechtsextremen beliebte Kanal der „Kreml-Influencerin“ Alina Lipp. Am 14. Februar 2022 hatte er lediglich 2000 Follower*innen, am 1. März 2022 waren es bereits 50.000. Ein Jahr später ist er bei etwa 180.000 Abonnent*innen angelangt.

Lipps Kanal funktioniert ähnlich wie andere prorussische Social-Media-Outlets: Viele Betreiber*innen haben Russischkenntnisse, sie kommentieren die Geschehnisse in Deutschland und übersetzen propagandistische Falschmeldungen russischen Ursprungs. Derartige Kanäle gewähren einer deutschsprachigen Leser*innenschaft Zugang zur gesamten Bandbreite der Propagandaerzählungen des Kreml.

„Sie haben den Krieg begonnen, wir tun alles um ihn zu stoppen.“

Das gesamte Repertoire seiner Propaganda gab Präsident Wladmir Putin jüngst in seiner viel beachteten Ansprache vom 21. Februar 2023 zum Besten. Die Rede zur Lage der Nation belegt eindringlich, dass die Propagandamaschine auf der Wiederholung des Immergleichen basiert. Seit acht Jahren setzt sie etwa auf den von Putin wiederholten Claim, in Kyiv herrsche seit den proeuropäischen Euormaidan-Protesten aus dem Jahr 2014 ein „neonazistisches Regime“, das eine Marionette „westlicher Eliten“ sei. Laut Putin, der erneut die verschwörungsideologische Rede von den „Eliten“ aufgriff, habe „der Westen“ die zu einem „Anti-Russland“ mutierte Ukraine für den großen Krieg gegen Russland vorbereitet. Sogar die Stationierung von Atomwaffen soll im Gespräch gewesen sein. Vor genau einem Jahr rechtfertigte Putin den Beginn seiner “militärischen Spezialoperation” mit der selben Täter-Opfer-Umkehr.

Um Russlands Aggression zu einem angemessenen Verteidigungsakt umzudeuten, griff Putin auch auf andere Dauerbrenner kremlnaher Propaganda zurück. Das “Kyiver Regime” habe die Bevölkerung im Osten der Ukraine demnach massiv unterdrückt und im Donbas einen Genzoid vom Zaun gebrochen ­­­­­– selbstverständlich mit Zustimmung ihrer „westlichen Herren.“ Die zentrale Rolle Russlands bei der langjährigen Gewalteskalation in der Ostukraine ließ der Präsident erwartungsgemäß unerwähnt.

Auch wenn Putin vom gesamten Westen und der NATO spricht, benennt sein Propagandaapparat insbesondere die USA (oder auch “die Angelsachsen”) als Hauptgegner. Europa und Deutschland haben in der Propaganda einen ambivalenteren Platz. Denn einerseits seien sie Opfer der Vereinigten Staaten, die Europa zu selbstmörderischen Sanktionen gegen Russland zwängen. Andererseits sei „Gayropa“ jedoch ein Hort familienzersetzender Werte und der „Russophobie“.

Ein kurzer Trend: prorussische Autokorsos

Die herbeifantasierte Feindschaft gegenüber Russland, die Erzählung von der vermeintlichen „Russophobie“ entfaltete in Deutschland insbesondere in den ersten Kriegsmonaten mobilisierende Wirkungen. Teilweise verifizierte Berichte über Anfeindungen gegen russischsprachige Menschen in Deutschland machten damals die Runde. Daneben verbreiteten Desinformationsakteur*innen jedoch eine Reihe an spektakulären Falschmeldungen: Die Rede war von Geflüchteten aus der Ukraine, die hier russlanddeutsche Spätaussiedler*innen ermorden würden. In der aufgeheizten Stimmung veranstalteten Menschen mit postsowjetischem Migrationshintergrund vor allem im April 2022 in mehreren deutschen Städten Autokorsos. Die mit Russlandfahnen geschmückten Fahrzeuge sollten laut eigener Angabe ein Zeichen sein gegen die Diskriminierung Russischsprachiger. Wer genauer hinsah, erkannte indes Zustimmungsbekundungen mit dem Angriffskrieg.

Der Trend für derartige Veranstaltungen scheint abgeflacht. Doch zumindest die AfD versucht weiterhin, mit der „Russophobie“-Erzählung bei russischsprachigen Wähler*innen Kapital zu schlagen. Dafür gründete sie mit VADAR einen eigenen Verein, dessen Finanzierung laut Tagesschau-Recherchen große Fragezeichen offenlässt.

Antiamerikanismus in der AfD

Generell dominiert in der AfD ein prorussischer Kurs. Seit April wetterte sie gegen die Sanktionen und überhöhte systematisch die negativen Auswirkungen für Deutschland. Als ideologische Brücke zwischen dem Kreml und den rechten Rändern der Partei fungiert der geteilte Antiamerikanismus. Einige AfD-Politiker gründeten gemeinsam mit Jürgen Elsässer den Verein „Ostwind“, mit dem Ziel die extreme Rechte für einen prorussischen Kurs zu konsolidieren.

Bei der Gründungsveranstaltung Ende Januar 2023 bezeichnete der AfD-Kader Hans-Thomas Tillschneider das Bekenntnis zu Russland als ein „Akt der Souveränität“. Denn Deutschland sei fremdbestimmt und stehe unter US-amerikanischem Einfluss, den es mit Hilfe von Russland abzustreifen gelte. Auch der rechtsextreme Fraktionschef der Thüringer AfD Björn Höcke beschrieb die USA bei einer Rede in Gera im vergangenen Herbst als eine „raumfremde Macht“, der die Bundesregierung Untertan sei. Russland – darin sind sich Tillschneider und Höcke mit Putin einig – kämpfe hingegen gegen das US-geführte „Regenbogenimperium“ und somit gegen die der AfD verhassten Queerrechte und nicht-traditionelle Familienkonzepte. Auch Bundessprecher Tino Chrupalla benannte die USA im ZDF-Morgenmagazin am 6. Februar 2023 – ganz im Sinne russischer Propaganda – als „Haupttreiber“ und „Hauptprofiteur“ des Krieges.

Eine geplante Reise in den Donbas mussten Tillschneider und zwei Parteigenossen im September 2022 nach herber Kritik abbrechen. Russischsprachige AfD-Kader wie Eugen Schmidt oder Olga Petersen waren derweil im Januar 2023 zu Gast im russischen Propagandafernsehen.

Desinformation befeuerte Hetze gegen Geflüchtete

Wie zu erwarten, mischte die AfD auch bei der Hetze gegen ukrainische Geflüchtete mit. Derartige Anfeindungen wurden maßgeblich durch Desinformationen angeheizt, die wohl zumindest teilweise von staatlichen russischen Akteur*innen in Umlauf gegeben wurden. Auf Telegram und Co. zirkulierten etwa gefälschte, russischsprachige Videos, die mit deutschen Untertiteln versehen Ukrainer*innen Vandalismus und Arbeitsscheue vorwarfen. Auch erfundene Behauptungen über die Erschleichung von Sozialleistungen verbreiteten sich auf WhatsApp, Telegram und verschwörungsideologischen Blogs. Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gab sie zum Besten und warnte Ende September in einem Interview mit BILD TV vor einem „ukrainischen Sozialtourismus”. Eine völlig grundlose Behauptung, für die Merz sich später entschuldigen musste.

Im Oktober 2022 erreichte die Stimmungsmache gegen ukrainische Geflüchtete einen ersten traurigen Höhepunkt. In Mecklenburg-Vorpommern brannte damals eine Flüchtlingsunterkunft, am Tag zuvor entdeckte die Polizei Hakenkreuz-Schmierereien am Gebäude. Damit nicht genug, gewinnt Rassistisch motivierte Hetze gegen Geflüchtete in Sachsen dieses Jahr erneut an Zulauf.

Energieproteste bleiben erfolglos

Weitaus bedeutender für demokratiefeindliche Mobilisierungen wurde im Sommer 2022 jedoch ein anderer Themenkreis: Sanktion, Inflation und Energieversorgung. Die Pandemie hatte endgültig an Sogkraft eingebüßt, die überwiegende Mehrheit des rechtsextremen und pandemieleugnersichen Spektrums diskreditierte die Bundesregierung stattdessen mit dem Vorwurf einer Politik gegen die Interessen des eigenen Volkes. Demagog*innen wie Jürgen Elsässer riefen unter den Stichworten „Heißer Herbst“ und „Wutwinter“ zu Massenkundgebungen. Auch die AfD nahm sich dem Thema an ­– ihr Motto: „Unser Land zuerst!“ Kremlnahe Desinformationskanäle behaupteten ebenfalls seit dem Sommer, dass die Sanktionen Europa weitaus stärker treffen würden als Russland. Sie malten eine Deindustrialiserung Europas sowie massive soziale Verelendungen an die Wand.

Nach einigen größeren Kundgebungen, wie etwa in Leipzig, büßte die Bewegung ihr Mobilisierungspotenzial spätestens zum November ein. Auch der vor allem von Elsässer herbeigesehnte Schulterschluss mit linken Kräften konnte nicht gelingen.

Friedensbewegte Rechtsextreme

Als neuesten Versuch den Krieg für die eigenen Zwecke auszuschlachten, tritt bei der extremen Rechten deshalb die Opposition gegen Waffenlieferungen auf den Plan. Man gibt sich friedensbewegt: Die AfD debattierte im Januar über einen Friedensplan, der die russischen Gebietsgewinne in der Ukraine weitestgehend festschreiben würde. Chrupalla bringt die rechtsradikalen Demokratiefeinde als „Friedenspartei“ in Stellung.

Auf die Frage nach dem Umgang mit Rechtsextremen bei der Demonstration am 25. Februar, gab Sahra Wagenknecht dem Spiegel zu verstehen, dass jeder willkommen sei, „der ehrlichen Herzens für Frieden und für Verhandlungen demonstrieren möchte.“ Ist die von Rechts erträumte Querfront – der Schulterschluß mit linken Pazifist*innen und Nato-Gegner*innen gegen die Regierungspolitik – zum Greifen nah? Zumindest das aktuell auf beiden Seiten verstärkt beobachtbare antiamerikanische Ressentiment liefert eine gefährliche ideologische Gemeinsamkeit.

Weitere Informationen zur Desinformationskampagne des Kreml, der Verbreitung prorussischer Desinformation in Deutschland und Handlungsempfehlungen finden Sie in unserer neuen Publikation: „»Eine Waffe im Informationskrieg« Demokratiefeindliche Narrative in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.“ (Link)

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