von Axel Salheiser und Christoph Richter
Ob Corona oder Klima, Flucht oder Krieg: In populistischer Manier nutzt die extreme Rechte Krisenthemen, um Unzufriedenheit mit der Politik und den demokratischen Institutionen anzustacheln und Menschen zu wütenden Protesten gegen „das System“ zu mobilisieren. Das sehen wir aktuell vor allem anhand von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine und den stark steigenden Preisen, die vom Gashahn bis zum Quark im Supermarkt reichen. Mit „dem System“ meinen die rechten Agitator*innen aber nicht die Gesellschaftsordnung, die auf Ungleichheit und Ausbeutung von Mensch und Natur beruht. Sie meinen auch nicht die Produktions- und Lebensweise in der sogenannten westlichen Welt, die mit der Nutzung fossiler Rohstoffe das Klima ins Wanken gebracht hat und mit der wir uns in die Abhängigkeit von menschenfeindlichen Despoten und Aggressoren begeben haben. Der Feind der extremen Rechten ist die offene, liberale Demokratie, in der Menschenrechte oberste Priorität haben, wo es um kollektive Verantwortung und Solidarität geht – und wo vernunftgeleitete, konsensorientierte Politik auch die Frage nach den eigenen Privilegien stellen muss. In Putin sehen die extremen Rechten einen Verbündeten gegen „westliche Werte“, gegen den Liberalismus, gegen „Gayropa“ und für einen autoritären, rücksichtslosen Nationalismus.
Was „Klimarassismus“ bedeutet
„Klimarassismus“ ist ein Leitprinzip unserer Ge- sellschaft, das auf globaler Ungleichheit aufbaut. Es zielt darauf ab, Privilegien zu verteidigen. Mutwillig oder aus Ignoranz werden die Kosten für den eigenen Wohlstand exportiert: Nach Afrika, wo sich die Wüsten und Müllhalden mit unserem Abfall ausbreiten. In die Weltmeere, in denen die Pegel und Wassertemperaturen steigen und sich Unmengen von Plastikmüll ansammeln. Oder in die Polarregionen und die Permafrost-Gebiete, wo immer mehr Eis abschmilzt und klimaschädliches CO 2 freigesetzt wird. Stabilisiert wird das System des Klimarassismus durch Ideologien, mit denen der Status quo gerechtfertigt und Veränderung abgewehrt wird. Eine dieser Ideologien ist der Ethnozentrismus, der das eigene „Volk“, die eigene „Kultur“ und Lebensweise zum Maßstab der Prioritätensetzung erhebt: „Wir und unser Wohlstand zuerst! Das Boot ist voll – neben uns die Sintflut!“ Eine andere wichtige Ideologie ist der Libertarismus, der „Freiheit“ als Wert verabsolutiert. „Libertäres“ Denken kreist um die Interessen des Individuums. Kollektive Verantwortung wird abgelehnt, und Solidaritätsnormen werden als „sozialistische Gängelei“, als Einfallstor für eine Diktatur denunziert. Ethnozentrismus und Libertarismus sind rechte Ideologien, denn sie liefern Rechtfertigungen für strukturelle Ungleichheit. Immer geht es um Eigeninteressen und die Abwehr der
Zuständigkeit für die Probleme unserer Welt. Die Folgen des selbstproduzierten Klimawandels und die vom Klimarassismus verursachten Konflikte werden immer stärker zum Gegenstand politischer und sozialer Auseinandersetzungen. Dies kann vor allem dann eskalieren, wenn antidemokratische Akteur*innen alles daran setzen, eine Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft in Klimafragen voranzutreiben. Deshalb agitiert die extreme Rechte gegen Klimaschutz-Aktivist*innen und eine progressive Klimapolitik.
Soziale Fragen als Deckmante
Bei den aktuellen Protesten auf der Straße und im Internet zeigt sich, wie die Themen Energiekrise, Ukrainekrieg, Corona, Klimawandel und Demokratiefeindschaft miteinander verwoben werden. Dabei spielen antisemitische Verschwörungserzählungen eine wichtige Rolle: Die angeblich von geheimen Mächten geplante und gesteuerte „Neue Weltordnung“, der „Great Reset“, die „Umvolkung“ – all das sind Erzählungen, mit denen zum Sturm auf die Demokratie und zum „Widerstand“ gegen demokratisch gewählte Politiker*innen geblasen wird. Unter dem Deckmantel der sozialen Frage wird nun an die Anti-Asyl-Agitation angeschlossen: „Was kümmert uns das Leid in der Ukraine, wenn unsere Arbeitsplätze gefährdet sind, das Benzin und das Gas für die Heizungteurer werden?“ Selbstverständlich muss die Politik soziale Härten abfedern, sie muss die Bedürfnisse und Sorgen vieler Menschen ernst nehmen. Gleichzeitig ist aber die Sorge berechtigt, dass sich in diesem Herbst und Winter mehr Menschen hinter antidemokratischen Strateg*innen und Demagog*innen versammeln werden als jemals zuvor. Die demokratische Zivilgesellschaft muss sich dagegenstellen – Menschenrechte und solidarisches Engagement verteidigen, die Unterstützung von Bedürftigen in Krisenzeiten organisieren und Gerechtigkeitsfragen stellen, ohne populistische Reflexe zu bedienen. Wir brauchen breite Bündnisse über Milieu- und Parteigrenzen hinweg, die den Antidemokrat*innen gemeinsam die Stirn bieten und den Weg durch die Krisen gestalten. Eine soziale, ökonomische und ökologische Transformation der Gesellschaft wird ohne diese Bündnisse nicht möglich sein. Wir tragen eine globale Verantwortung dafür, dass diese Transformation gelingt.