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In eigener Sache

Kommentar zu Brandanschlägen: „Wer jetzt nicht widerspricht, zündelt mit“

Robert Lüdecke, Pressesprecher der Amadeu Antonio Stiftung (Quelle: Screenshot RTL)

Nach dem jüngsten Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft diese Woche in Mecklenburg-Vorpommern kommt eine Interviewanfrage nach der nächsten beim Presseteam der Amadeu Antonio Stiftung an. In einem Kommentar erklärt unser Pressesprecher Robert Lüdecke, was das mit ihm macht. Und warum er sich an 2015 erinnert fühlt.

Nachdem diese Woche in Mecklenburg-Vorpommern eine Flüchtlingsunterkunft niedergebrannt wurde, sollte ich wieder einmal erklären, wie das passieren konnte, wie schrecklich das ist und was jetzt passieren müsste.

Ich bin ehrlich, ich habe ziemlich gestammelt, aber auch weil ich gedanklich wirklich nicht ganz dabei war. Denn schon als die ersten Presseanfragen kamen, fühlte ich mich sofort zurückversetzt in die Jahre 2015, 2016.

Damals habe ich einige Wochen lang nicht viel anderes getan, als jeden Tag in zehn bis 15 Interviews zu erklären, wie unfassbar massiv die Gewalt gegen Geflüchtete um sich greift. Wie brutal die Rechten ihrer Hetze freien Lauf lassen und wie das unmittelbar in Gewalt umschlägt.

Wir reden hier von Molotowcocktails auf Wohnhäuser, darüber, dass Menschen schwangere Frauen in Teiche schubsen, weil sie ein Kopftuch tragen. Kinderwagen mit Säuglingen darin, die umgeworfen werden, Angriffe mit abgebrochenen Flaschen direkt ins Gesicht, Männer, die ihre Schäferhunde auf Geflüchtete hetzen – oder auf Menschen, die sie für solche halten. Und die überwiegende Zahl dieser Vorfälle am helllichten Tag, unvermittelt und ohne jede Scham.

Wir haben diese Fälle gezählt und dokumentiert und tun das bis heute. 2015 wurden in fast 1.200 Fällen Geflüchtete angegriffen, in 2016 dokumentierten wir schon über 3.500. In beiden Jahren zusammen waren es 230 Brandanschläge, im Schnitt also einer an jedem dritten Tag.

Und mit jedem dieser Interviews wurde es schwieriger, das auszuhalten. Die immer gleiche Frage, woher das kommt, wie so etwas sein kann, ob dieser oder jener jetzt ein besonders schlimmer Fall sei und ob es nicht einfach daran liege, dass Menschen frustriert sind und nicht wissen, wohin mit ihrer Wut.

Nein, dieser und jener Fall war nicht schlimmer als ein anderer, erst letzte Woche gab es genau so einen nur wenige Kilometer weiter. Nein, dieser hier ist jetzt kein Einzelfall, das ist genau das, was Menschen hier tagtäglich erleben, die eigentlich Schutz vor Krieg, Verfolgung, Vertreibung suchen oder einfach nicht wollen, dass ihre Kinder verhungern.

Jedes dieser Interviews war belastend, immer wieder die gleiche schreckliche Geschichte in immer wieder neuer Form, an einem anderen Ort, aber doch nur ein Puzzleteil in einem Flächenbrand roher Hetze und Gewalt.

Und plötzlich war das Interesse der Medien weg.

Natürlich, es gibt auch andere Themen, bewegend, erschütternd, interessant. Das Leben der Menschen geht weiter, vor allem, wenn sie selbst unmittelbar gar nichts damit zu tun haben, zwar besorgt sind, aber von all dieser Gewalt doch nur aus den Medien erfahren.

Während die Zeitungen über anderes berichteten, blieb die Gewalt die gleiche. Sie machte keine Pause, bis heute nicht. Und auch wenn uns seither Krise nach Krise begleitet, die Rechten mit immer neuer Wut und Provokation die Massen aufzuwiegeln versuchen: Ihr Rassismus, ihre Verachtung für „die Anderen“, sie war immer da.

Seit Wochen macht die AfD wieder Stimmung mit unverhohlenem Rassismus. Sie weiß genau, dafür ist ihr Publikum immer empfänglich, vor allem wenn Corona oder Energiekrise zwar die Menschen bewegen, aber den Rechtsextremen nicht einmal die plumpesten Lösungen einfallen.

Das Thema Flucht und Migration hingegen: ein Dauerthema, das fertig in der Schublade liegt. Die sozialen Medien der AfD sind längst wieder voll mit bedrohlichen Bildern von Stacheldraht und grimmig dreinblickenden Migrant*innen und der Forderung nach geschlossenen Grenzen, nach Aufnahmestopp und Abschiebung. Die Rechtsextremen malen in dunkelsten Farben das Bild eines „neuen 2015“, das uns bevorstünde.

Und ich will auch kein neues 2015. Ich will keine täglichen Berichte von Hass gegen Asylsuchende, von Bedrohungen und Angriffen. Ich will nicht wieder in Interview um Interview erklären, wie erschüttert ich bin und was jetzt passieren muss – was dann doch nicht passiert.

Ich will, dass die Rassisten in ihre Schranken gewiesen werden, sofort und mit aller Deutlichkeit. Egal ob es eine AfD ist, eine linke Sahra Wagenknecht oder ein CDU-Chef Friedrich Merz.

Ich will, dass wir als demokratische Gesellschaft nicht einen Moment davon abrücken, dass Menschen unseren Schutz verdienen und bekommen, wenn sie flüchten – und das ohne Wenn und Aber. Ich will, dass endlich begriffen wird, dass all das zu einem großangelegten Angriff gegen unsere Demokratie, unsere Werte und unsere Gesellschaft gehört. Wer jetzt nicht widerspricht und diesen Rassismus ächtet, zündelt mit.

Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist längst zehn nach zwölf. Der Zeitpunkt, endlich etwas zu tun, ist jetzt.

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